2020 war ein Krisenjahr, im März stand plötzlich Corona vor der Tür – und ging so schnell nicht wieder weg. 2021 war ein Krisenjahr, das Virus blieb und veränderte sich. 2022, so hofften viele, würde endlich etwas ruhiger werden. Weit gefehlt, dieses Jahr war auch noch von Corona geprägt, dann aber, von Ende Februar an, überlagert vom russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Die Weltordnung wurde erschüttert.

Im Presseclub-Podcast des Politikjournals Rundblick werfen Claudia Wohlsperger (NDR), Elisabeth Woldt (Hannoversche Allgemeine Zeitung), Stefan Idel (Nordwest-Zeitung) und Niklas Kleinwächter (Politikjournal Rundblick) den Blick zurück auf dieses ereignisreiche Jahr. Podcast hier anhören: Podigee | Spotify | Apple-Podcast

Lassen das Jahr 2022 im Presseclub-Podcast Revue passieren (von links): Stefan Idel, Niklas Kleinwächter, Claudia Wohlsperger und Elisabeth Woldt. | Foto: Lada

Niklas Kleinwächter: Erinnert Ihr Euch noch an die „Winterruhe“ vor einem Jahr? Es gab den sogenannten „Lockdown light“, man stritt vor Gericht über die 2G-Regel, die Ungeimpfte außen vor lassen wollte. Was hattet Ihr damals für ein Gefühl?

Stefan Idel: Ich war irgendwie froh, dass sich die Corona-Zeit dem Ende zuneigen würde. Das hoffte ich zumindest, alles wirkte irgendwie wie der Ausklang der Krise.

Elisabeth Woldt: Zu der Zeit war der Umgang mit Corona schon zu einer journalistischen Routine übergegangen. Man schaute auf die Zahlen und Regeln, ordnete die Sachverhalte ein. Als störend empfand ich die damals zunehmende Polarisierung bei diesem Thema, der sich zuspitzende Streit um Kleinigkeiten.

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Claudia Wohlsperger: Bis Ende März war das recht anstrengend, vor allem im unendlichen Streit zwischen Bund und Ländern, sowie innerhalb der Bundesregierung. Die FDP pochte auf ihren „Freedom Day“ – die Zeiten, in der alle an einem Strang gezogen haben, waren vorbei. Und das hat es auch schwieriger gemacht, sich ändernde Regeln sinnvoll zu kommunizieren.

Niklas Kleinwächter: Viele Regeln waren auch deshalb nicht mehr vermittelbar, weil die Politik erkennbar nicht mehr geschlossen dahinter stand.

Claudia Wohlsperger: Die Große Koalition in Niedersachsen hat sich stets im „Team Vorsicht“ verortet. Nun aber galt das neue Bundesinfektionsschutzgesetz und es musste gelockert werden – obwohl auf der anderen Seite die Inzidenzen damals immens waren.

„Mich hat gestört, dass die Impfung mit ‚Freiheit‘ gleichgesetzt wurde – obwohl doch auch zur Freiheit gehört, sich nicht impfen zu lassen.“

Stefan Idel: Mich hat gestört, dass die Impfung mit „Freiheit“ gleichgesetzt wurde – obwohl doch auch zur Freiheit gehört, sich nicht impfen zu lassen. Der eigentliche Skandal ist, dass die Politik am Ende die Pflegekräfte wieder im Regen stehen ließ.

Niklas Kleinwächter: Manchmal wäre als Voraussetzung für den Eintritt in bestimmte Bereiche ein aktueller Test viel sinnvoller gewesen als der geforderte Impfnachweis. Aber dann kam die „einrichtungsbezogene Impfpflicht“, die für die Mitarbeiter im Gesundheitsbereich einen Zwang bedeutete, eine Drohkulisse.

Stefan Idel und Niklas Kleinwächter | Foto: Lada

Elisabeth Woldt: Und das kam dann noch sehr spät…

Claudia Wohlsperger: Noch dazu in einem Bereich, den Pflegeheimen, in dem es sowieso schon eine sehr hohe Impfquote gab. Diese „einrichtungsbezogene Impfpflicht“ ist aus meiner Sicht ein Überbleibsel der Debatte über die allgemeine Impfpflicht, die von der Politik nicht durchgesetzt wurde. Man wollte wohl wenigstens in einem Bereich zeigen, dass man eine solche Pflicht verlangen kann bei dem Ernst der Lage.

Niklas Kleinwächter: Erinnert Ihr Euch noch an den 26. April, den Tag der letzten Corona-PK? Für mich war das ein besonderer Moment, als die Glaswände zwischen den Sitzplätzen im Raum der Landespressekonferenz abmontiert wurden. Das war das Signal, nun in Eigenverantwortung handeln zu müssen. In der Tat haben wir dann ja noch Raum zwischen den Plätzen gelassen, weil uns ganz geheuer die Situation auch nicht war – es ja bis heute auch nicht ist.

Claudia Wohlsperger: Ich selbst gehöre zu den vorsichtigen Menschen, aber im Sommer spürte ich, dass ich mich auch mal ohne Maske bewegen wollte. Manches ist so widersprüchlich. Stephan Weil etwa hatte in der Corona-Hochphase erklärt, das Händeschütteln werde womöglich für immer verschwinden. In der konstituierenden Landtagssitzung wurden so viele Hände geschüttelt, dass ich schon nach 30 Minuten das Bedürfnis verspürte, mir die Hände waschen zu müssen.



Niklas Kleinwächter: Gerade viele Minister, glaube ich, haben große Probleme mit dieser Distanz.

Elisabeth Woldt: Man darf den kulturellen Wert dieser Geste nicht vergessen: Für viele Menschen ist das Händeschütteln ein Ausdruck der Verbindlichkeit, der Bestätigung eines Kontaktes. Ja, ich hätte auch gedacht, dass sich diese Kulturform ändert.

Niklas Kleinwächter: Denkt zurück an den 24. Februar, den Morgen nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine. Wir sind aufgewacht in einer anderen Welt – und ich war positiv überrascht, wie angemessen der Landtag damit umgegangen ist. Ging Euch das auch so?

Stefan Idel: Die Aggression hat sich in den Tagen vor dem Überfall ja allmählich aufgebaut. So habe ich den 24. Februar nicht mehr als Zäsur empfunden wie etwa 9/11. Ich war eher traurig, dass es der Politik nicht gelungen war, diese Eskalationsspirale zu stoppen.

Claudia Wohlsperger: Das war so ein besonderer Moment. Eigentlich hatte ich Homeoffice, bin dann aber doch in den Sender gefahren – weil ich dachte, da werden jetzt vor Ort helfende Hände gebraucht.

„Das war schon eine ungewöhnliche Situation, eine Mischung aus Schockstarre und einer typischen journalistischen Reaktion.“

Elisabeth Woldt: Das war schon eine ungewöhnliche Situation, eine Mischung aus Schockstarre und einer typischen journalistischen Reaktion: Man funktioniert, leistet routiniert die nötigen Handgriffe – und wird ja auch besonders gefordert in der Aufgabe, für das Publikum die Ereignisse gut einzuordnen.

Niklas Kleinwächter: Die Landtagsdebatte an dem Tag empfand ich als Sternstunde. Seht Ihr das auch so?

Stefan Idel: Es stimmt: Die vielbeschworene „Gemeinsamkeit der Demokraten“ war spürbar. Besonders ist mir der damalige CDU-Fraktionschef Dirk Toepffer in Erinnerung geblieben, der ja den Tränen nah war.

Niklas Kleinwächter: Eine Welle der Hilfsbereitschaft für die Flüchtlinge aus der Ukraine war die Folge. Lässt das inzwischen nach?

Elisabeth Woldt: Es ist eine Krisenmüdigkeit spürbar. Die Leute nehmen die Ereignisse hin, reden aber nicht mehr so viel darüber. Vielleicht stumpfen einige ab.

Stefan Idel: Viele Leute haben eigene Probleme, kommen mit dem Geld nicht mehr zurecht – oder wissen nicht, wie sie kommende Rechnungen bezahlen sollen.

Claudia Wohlsperger: Das stimmt. Mit dem Herbst kamen an der Kaffeemaschine im Büro viele ähnliche Fragen: Heizt Ihr schon? Viele sind jetzt sehr stark mit sich selbst beschäftigt.

Claudia Wohlsperger und Elisabeth Woldt | Foto: Lada

Niklas Kleinwächter: Haben der Krieg und die Notwendigkeit, rasch darauf zu reagieren, auch positives bewirkt – etwa die Beschleunigung der Planungen?

Stefan Idel: Um ehrlich zu sein: Die Planungen für das LNG-Terminal in Wilhelmshaven waren schon lange fertig, sie sind nur 2019 eingestellt worden – mangels Bedarf. Das war verständlich, denn wir hatten ja das günstige russische Gas über Nord-Stream bekommen. Tatsächlich wurden also bestehende alte Pläne reaktiviert. Was wirklich eine Leistung ist, sind Planung und Bau der Gas-Pipeline nach Etzel. Inwieweit die Anlegerbrücke auf Stahlpfählen über die Jahre den Belastungen standhalten wird, bleibt abzuwarten. In jedem Fall muss für Wasserstoff-Importe nachgerüstet werden.

Claudia Wohlsperger: Ich muss an einen Satz von Heiger Scholz während einer Corona-Debatte denken: „Wer unbürokratisch sagt, meint meist irgendwie illegal“. Auch bei der LNG-Planung sind Umweltverträglichkeitsprüfungen übersprungen worden. Bernd Althusmann hat mal gefordert, das LNG-Projekt solle eine Blaupause für sämtliche Planungen sein. Da möchte ich doch deutlich widersprechen.

Niklas Kleinwächter: 2022 war das Jahr der Landtagswahl. Wie habt Ihr den Wahlkampf wahrgenommen?

Claudia Wohlsperger: Ich finde es erstaunlich, wie wenig landespolitische Fragen eine Rolle gespielt haben. Den Wahlkampf habe ich als eher lahm in Erinnerung.

Elisabeth Woldt: Selbst das Thema Bildungspolitik hat nicht gezündet, obwohl es hier doch eine Menge Anhaltspunkte für intensive Debatten gegeben hat.

Claudia Wohlsperger: Die Alternative zum Amtsinhaber Stephan Weil war ein älterer weißer Mann. Althusmann war nicht der Inbegriff von jung, spritzig und dynamisch…

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Niklas Kleinwächter: Tatsächlich habe auch ich die beiden als ähnlich wahrgenommen. Da konnte Weil dann landen mit seiner Botschaft, in Krisenzeiten das Sicherheitsversprechen abzugeben.

Stefan Idel: Hinzu kommt, dass Althusmann als Wirtschaftsminister seine Möglichkeiten nicht ausgeschöpft hat. Wer war in der Wahrnehmung der eigentliche Wirtschaftsminister? Es war Olaf Lies.

Niklas Kleinwächter: Wie beurteilt Ihr die Opposition?

Stefan Idel: Die FDP fehlt schon als kluge und liberale Stimme. Wer weiß, wann die AfD die Maske fallen lässt? Ich glaube, die FDP kommt in fünf Jahren wieder.

„Es wird schwierig für die CDU. Sie wird nicht umhinkommen, in manchen Fragen gemeinsam mit der AfD abzustimmen.“

Claudia Wohlsperger: Es wird schwierig für die CDU. Sie wird nicht umhinkommen, in manchen Fragen gemeinsam mit der AfD abzustimmen.

Niklas Kleinwächter: Welche großen Ereignisse stehen im neuen Jahr bevor?

Claudia Wohlsperger: Das Projekt des Klimawandels ist prägend, der Ausbau der Erneuerbaren Energien muss an Fahrt aufnehmen.



Elisabeth Woldt: Es geht um Energiesicherheit, um den Ausbau der LNG-Terminals – und darum, erste Schritte in Richtung Wasserstofftechnologie zu setzen.

Stefan Idel: Ich hoffe sehr, dass 2023, das Jahr ohne Wahlen, nicht vollständig mit rot-grünen Arbeitsgruppentagungen bestückt wird. Davor graut mir ein wenig. Wir brauchen schnelle Entscheidungen.

Elisabeth Woldt: Wir müssen aufpassen, dass nicht noch mehr Menschen meinen, sie würden in der Demokratie nicht richtig repräsentiert. Da hilft es dann auch nicht, ein paar Stellen für Beauftragte im Kampf gegen Rechtsextremismus einzurichten.