Der Plan ist schon älter als ein Jahr, aber jetzt hat ihn Bundesarbeitsminister Hubertus Heil im Lichte der Corona-Krise neu verpackt und als Innovation angepriesen: Wer möchte und vom Arbeitsablauf die Chance dazu hat, soll seine Arbeit künftig auch vom eigenen Zuhause aus erledigen können. Ein „Rechtsanspruch auf Home-Office“ solle gesetzlich verankert werden. Ist das sinnvoll? Die Rundblick-Redaktion streitet darüber in einem Pro und Contra.

Pro & Contra: Klaus Wallbaum (li.) & Martin Brüning

Pro: Die Arbeit von zuhause aus wird kein Alleinstellungsmerkmal von IT-Unternehmen bleiben. Home-Office wird sich branchenübergreifend durchsetzen. Ein Gesetz kann bei dieser Entwicklung helfen, meint Martin Brüning.

Laut Duden ist das Home-Office ein mit Rechner und Kommunikationstechnik ausgestatteter Arbeitsplatz in der eigenen Wohnung. Was viele Arbeitnehmer gerade mitten in der Corona-Krise erleben, geht über den Begriff weit hinaus. Das parallele Betreuen der Kinder bei gleichzeitig geschlossenen Schulen, Kindergärten und Spielplätzen hat mit dem ursprünglichen Sinn von Home-Office nichts zu tun und verleidet so manchen Arbeitnehmern die Erfahrung mit diesem Instrument. Dabei gehört dem Home-Office die Zukunft, ob mit oder ohne Gesetz. Und das nicht nur wegen der Corona-Krise, in der sich der Anteil derjenigen, die von zuhause aus arbeiten, von 12 auf 25 Prozent verdoppelt haben soll und die ebenfalls gezeigt: Wenn gerade Arbeit liegen bleibt, dann liegt es zumeist nicht am Home-Office.


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Ob es den rechtlichen Rahmen, den Arbeitsminister Hubertus Heil plant, wirklich braucht, darüber kann man geteilter Meinung sein. Sicher ist allerdings, dass es nicht allein um die Frage geht, ob ein solches Gesetz überhaupt nötig ist, sondern darum, dass von einem solchen Gesetz eine wichtige Signalwirkung ausgehen wird. Damit wird deutlich, dass Arbeit im Home-Office nicht etwas ist, was irgendwann auf uns zukommt. Die Frage stellt sich bereits heute im Hier und Jetzt. Und die Corona-Krise zeigt, dass – bei allen oben beschriebenen Nachteilen – die Arbeit zuhause kein Alleinstellungsmerkmal von IT-Unternehmen bleiben muss. Home-Office wird sich branchenübergreifend durchsetzen. Es ist sinnvoll, weil…

…man Familie und Beruf so besser vereinbaren kann: Dabei darf man sich nicht von der aktuellen Situation blenden lassen. Im Normalfall werden die Kinder natürlich wieder in den Kindergarten, zur Schule oder auch zu Oma und Opa gehen können. Der Zeitdruck auf dem Weg zwischen Wohnung,  Kindergarten und Arbeitsplatz kann am frühen Morgen damit gedrosselt werden. Auch der Wiedereinstieg zum Beispiel nach der Geburt eines Kindes kann so leichter gelingen. Daran dürften viele Unternehmen großes Interesse haben, die Mitarbeiterinnen möglichst schnell wieder an Bord haben wollen. Wer schon im Home-Office gearbeitet hat, lernte vor allem die Möglichkeit schätzen, die Arbeit flexibler einteilen zu können.

Wer schon im Home-Office gearbeitet hat, lernte vor allem die Möglichkeit schätzen, die Arbeit flexibler einteilen zu können.

…sich Unternehmenskultur verändert: Die besten Mitarbeiter sind die, die am längsten im Büro sind. Nur mit Krawatte ist Mann richtig angezogen. Und das Duzen ist im Unternehmen nicht respektvoll genug. Drei Regeln, die schon bei vielen Firmen auf dem Müllhaufen der Unternehmenskultur gelandet sind. Inzwischen werden auch die Konferenzreigen mit zahlreichen Mitarbeitern teilweise kritisch gesehen. Braucht man das noch oder kann das weg?

Mitarbeiter, die schon in vielen Konferenz-Endlosschleifen mit fragwürdigen Ergebnissen saßen, wissen: Wenn man nur die Hälfte der Meetings streicht, bleiben vermutlich immer noch zu viele übrig. Und viele Mitarbeiter und Unternehmen lernen gerade, für welche Konferenzen persönliche Anwesenheit nötig und für welche sie schlichtweg überflüssig ist. Unternehmen werden in der digitalen Zukunft flexibler – das wird sich automatisch auch auf die bisherige Präsenzkultur im Unternehmen auswirken. Gefragt sind die besten Ideen – ob die Mitarbeiter sie am Büro-Schreibtisch, auf dem Fahrrad oder in der Badewanne haben, ist völlig zweitrangig.

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…es den Berufsverkehr entlastet: Die Schule beginnt um acht, im Büro sitzt man um neun, die Geschäfte öffnen um zehn. So kann man seit Jahrzehnten einem deutschen Kind die Uhr beibringen, und es zeigt nur, wie geistig unflexibel dieses Land ist. Die Folge ist, dass Millionen Büroangestellte je nach Wohn- und Arbeitsort irgendwann zwischen sieben und 8.30 Uhr in ihre Autos steigen, um zur Arbeit zu fahren. Warum? Weil es immer schon so gemacht wurde. An dieser Stelle hätte mehr Home-Office einen begrüßenswerten ökologischen Nebeneffekt, denn wer um neun Uhr nicht zwingend am Schreibtisch sitzen oder persönlich der Konferenz beiwohnen muss, steigt auch erst gar nicht ins Auto, um ins Büro zu fahren. Home-Office bietet die Chance, den Berufsverkehr ein wenig zu entzerren und ist damit eine von vielen Antworten auf die Frage, wie der Verkehr der Zukunft aussehen soll: flexibler.

Natürlich muss das Konzept zum Unternehmen passen, und klar ist auch, dass die schöne neue Home-Office-Welt an vielen Berufen vorbeigeht. Wer hinter der Ladentheke oder in der Backstube steht, Flugzeuge fliegt oder Busse fährt, Kinder unterrichtet oder Häuser baut, wird das weiterhin nicht vom heimischen Schreibtisch aus machen können. Viele Arbeitnehmer aber werden die Möglichkeit zur Heimarbeit haben und in einem künftig immer stärkeren Arbeitnehmermarkt vielleicht auch einfordern.

Unternehmen sollten sich darauf einrichten in dem Wissen, dass es dabei Herausforderungen gibt. Nicht jeder Arbeitnehmer bringt die nötige Selbstdisziplin und -motivation mit, andere verlieren die Zeit zu ihren Ungunsten aus den Augen. Auch an dieser Stelle könnte ein Gesetz helfen, dass einen für beide Seiten – Arbeitgeber und Arbeitnehmer – fairen Rahmen setzt. Bisher war das Home-Office in vielen Betrieben mehr Wunsch als Wirklichkeit. Jetzt hat viele Unternehmen die Wirklichkeit eingeholt. Die grundsätzlichen Wünsche aller Beteiligten sollte man nun noch in Gesetzesform gießen.

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Contra: Heimarbeit ist gut und richtig – und sie sollte auch, im Zuge der immer besser werdenden technischen Möglichkeiten, ausgeweitet werden. Allein der Rechtsanspruch darauf führt in die falsche Richtung. Denn ein wichtiger Maßstab für ein solches Angebot muss die Tatsache bleiben, dass der Arbeitsprozess für alle Beteiligten möglichst effektiv und erfüllend sein muss, meint Klaus Wallbaum.

Wenn die Corona-Krise hoffentlich lieber schneller als langsamer vorüber ist, wird man die Frage diskutieren, ob denn auch etwas Positives daraus abzuleiten wäre. Was also „das Heilsame“ an dieser Krise war. Sicher dürfte dort ganz vorn die Veränderung im Arbeitsprozess stehen. Ganz viele Menschen mussten zwangsläufig ihre Tätigkeit von zuhause aus erledigen – sie wurden per Skype zu Video-Konferenzen zugeschaltet oder haben Aufgaben aus dem Büro abends mitgenommen und am nächsten Tag dann am eigenen Küchentisch bearbeitet. Das war in der Corona-Zeit holprig und häufig nur improvisiert, denn zum einen waren nicht überall die technischen Voraussetzungen optimal, außerdem fiel für viele Betroffene die Heimarbeit mit der Kinderbetreuung zusammen, weil Kindergärten und Schulen geschlossen waren.

Trotzdem ist die Zunahme an Heimarbeit ein zwangsläufiger Ausdruck der Veränderung im Arbeitsprozess, die auch mit der Digitalisierung einhergeht – spontane neue Projekte wird es häufiger geben als sonst, die Notwendigkeit einer Tätigkeit zu vorgegebenen Zeiten an vorgegebenen Orten (weil nur dort die Maschinen sind) wird immer weniger wichtig werden. Insofern ist die Corona-Krise eine Bewährungsprobe für die Arbeitswelt in der Zukunft.

Die Frage ist nur, was in den anderen Fällen passiert, in denen Mitarbeiter die Heimarbeit nutzen, um sich vom Produktionsprozess abzukoppeln, in denen sie auf einmal schwer erreichbar werden und wegen der fehlenden Ansprache in eine Phase weitaus geringerer Produktivität abzugleiten drohen.

Das mag sich auch Bundesarbeitsminister Heil gedacht haben, als er nun von einem Recht auf Heimarbeit sprach und nebenbei – ganz Sozialdemokrat – auch wieder an den alten Klassengegensatz „Wir hier unten und die da oben“ erinnerte. Wenn denn die Arbeitgeber erwarteten, dass die Arbeitnehmer die strengen Arbeitszeitregeln lockern, dann müssten die Arbeitnehmer im Gegenzug auch von zuhause aus arbeiten können, so sie das auch möchten, erläuterte der Bundesarbeitsminister. Streng genommen würde der Heil-Plan also bedeuten, dass ein Arbeitnehmer immer dann, wenn die Arbeitsprozesse es ermöglichen, Heimarbeit für sich reklamieren und das im Konfliktfall auch gegenüber ihrem widerstrebenden Arbeitgeber durchsetzen können.

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Überall da, wo motivierte Mitarbeiter zugange sind und alle ein gemeinsames Interesse am Fortschritt des Unternehmens haben, dürfte das gut gelingen, weil ein Konflikt gar nicht erst entsteht. Das starke Engagement des Arbeitnehmers kann ergänzt werden durch eine Flexibilität und Freiheit in der Art und Weise, wie die Pflichten erfüllt werden. Tatsächlich könnten private Erledigungen verknüpft werden mit beruflichen Aufgaben, das ist effektiv und erhöht die Zufriedenheit. Die Frage ist nur, was in den anderen Fällen passiert, in denen Mitarbeiter die Heimarbeit nutzen, um sich vom Produktionsprozess abzukoppeln, in denen sie auf einmal schwer erreichbar werden und wegen der fehlenden Ansprache – und auch Kontrolle – durch Vorgesetzte und Kollegen in eine Phase weitaus geringerer Produktivität abzugleiten drohen.

Die Kollegen, von denen ihr Pflichtbewusstsein und ihr starker Einsatz bekannt ist, würden stärker belastet – womöglich sind es oft solche, die jeden Tag ins Büro gehen.

Nimmt man Heils Vorschläge ernst, so müsste der Arbeitgeber einlenken, die Firma müsste notfalls ihren Arbeitsprozess informell neu organisieren: Die Kollegen, von denen ihr Pflichtbewusstsein und ihr starker Einsatz bekannt ist, würden stärker belastet – womöglich sind es oft solche, die jeden Tag ins Büro gehen. Die anderen, die ihren Heimarbeitsplatz verteidigen und deren Leistung dann womöglich in Grenzen bleibt, würden in dieser Rolle geduldet, man würde sie von allen vordringlichen und eiligen Aufgaben entbinden. Das hieße, diese würden noch stärker von den Abläufen im Betrieb abgekoppelt werden als sonst

Schon heute kennt jeder Chef im Büro die Leistungsträger und die Sonderlinge, schon heute sind Aufgaben ungleich verteilt. Aber die Anwesenheit der schwächeren Kollegen im Büro gibt immerhin noch ein Mindestmaß an sozialer Kontrolle und die Chance, solche Ungerechtigkeiten in der Arbeitsbelastung anzusprechen und abzustellen. Wenn sich die weniger leistungsstarken Mitarbeiter erst einmal in die innere Emigration ihres eigenen Heimarbeitsplatzes verabschiedet haben, verschwinden sie aus dem Blickfeld und entziehen sich so jeder Chance einer innerbetrieblichen Reorganisation.

Deshalb ist es wichtig, das Veto des Arbeitgebers vorzusehen – es soll niemand, der für gute Arbeit die soziale Kontrolle der Kollegen braucht, die Chance bekommen, sich in der Heimarbeit zu isolieren. Die Zeche müsste am Ende das ganze Team bezahlen.

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