Erst waren es Unklarheiten in ihrem Lebenslauf, jetzt kommt der Vorwurf des Plagiats in ihrem jüngsten Buch hinzu. Zeigt die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock gerade, dass sie für das Amt der Kanzlerin nicht geeignet ist, weil sie es mit wichtigen Dingen nicht so genau nimmt? Die Rundblick-Redaktion streitet darüber in einem Pro und Contra.

Aus der Traum vom Kanzleramt? Die Rundblick-Redaktion streitet darüber, ob Baerbocks Patzer ihr den Wahlsieg kosten könnten – Bild: Grüne-Fraktion BT; GettyImages/lindsay_imagery

PRO: Lebenslauf, Nebeneinkünfte, Plagiat – klingt schlimm, ist aber halb so wild. Bei näherer Betrachtung sind die Fehler eigentlich kaum der Rede wert, doch sie hätten vermieden werden können. Der eigentliche Skandal ist, wie unvorbereitet die Grünen offenbar in dieses Rennen um die Nachfolge Angela Merkels gestartet sind, meint Niklas Kleinwächter.

Es ging doch so gut los für die Grünen. Der Programmentwurf stand schon Anfang des Jahres fest und löste (zunächst zumindest) keine übermäßige Irritation aus. Zur selben Zeit sorgten die ewigen Regierungsparteien CDU und CSU mit ihren Maskendeals für Untergangsstimmung in der Unionsfraktion. Die Schwarzen zerlegten sich gegenseitig, während die Grünen mit jedem Auftritt Ge- und Entschlossenheit signalisierten. Als es dann zur Kür der Kanzlerkandidatin kam, gaben erneut die Grünen den Takt vor, während sich die Schwesterparteien CDU und CSU öffentlich zankten und die Entscheidung mehrfach vertagten. Die sonst so staatstragenden Christdemokraten wirkten ausgezehrt, führungs- und programmlos – während die Grünen den Ausgang der parteiinternen Beratung über die Spitzenkandidatur sogar mehrere Tage geheimhalten und das Verkündungszeremoniell perfekt inszenieren konnten. All das wurde goutiert von den Wählern – die Grünen schnellten in den Umfragen nach oben, die Zahlen für die Union sausten hinunter.

In der Detailbetrachtung sind diese Mängel wohl eher zu vernachlässigen, die Skandale sind eigentlich Skandälchen. Doch hängenbleiben wird: Die kann es nicht.

Doch das ist inzwischen alles wieder vorbei. Nach und nach kam ein Skandal nach dem anderen ans Tageslicht. Die Angaben in Annalena Baerbocks Lebenslauf stimmten nicht so ganz. Dann hatte sie vergessen, eine Bonuszahlung aus dem vergangenen Jahr korrekt als Nebeneinkunft beim Bundestagspräsidenten zu melden. Und nun zur Krönung der Plagiatsvorwurf: Baerbock hat ein programmatisches Buch geschrieben, was vielleicht auch verzichtbar gewesen wäre. Aber das tun ja derzeit alle, die was auf sich halten und was werden wollen – zum Beispiel auch Friedrich Merz. In Baerbocks Buch tauchen nun einige Stellen auf, die man auch anderswo schon mal gelesen haben könnte. Abgeschrieben hat Baerbock demnach angeblich bei einem Fachmagazin für Internationale Politik oder bei der Bundeszentrale für politische Bildung.

War das jetzt so schlimm? Als Mensch, der mit dem Schreiben von Texten sein Geld verdient, finde ich es immer etwas respektlos, wenn man einfach irgendwo einen Absatz kopiert. Aber die konkreten Fälle im Buch von Annalena Baerbock sind inhaltlich, wissenschaftlich und politisch so bedeutungslos, dass es auch kaum der Rede wert ist. Auch geht es denen, die das nun öffentlich lautstark kritisieren, weniger um den Schutz geistigen Eigentums. Viele, die das Vorgehen an den Stammtischen landauf, landab nun anprangern werden, haben womöglich noch nie einen Text der Bundeszentrale für politische Bildung oder der Zeitschrift für Internationale Politik gelesen – geschweige denn selber einmal einen politisch-programmatischen Text verfasst.

Worum es geht, ist nur die Aneinanderreihung in den Schlagzeilen: Lebenslauf, Nebeneinkünfte, Plagiat. In der Detailbetrachtung sind diese Mängel wohl eher zu vernachlässigen, die Skandale sind eigentlich Skandälchen. Doch hängenbleiben wird: Die kann es nicht.

Der Imageschaden ist da – und dabei wäre er in allen drei Fällen so vermeidbar gewesen. Man hätte damit rechnen müssen!

Ist das nun unfair? Vielleicht ja, aber Wahlkampf ist nun einmal nicht immer fair. Nun muss man allerdings bei den zahlreichen Attacken, die derzeit gegen Annalena Baerbock gefahren werden, noch einmal fein unterscheiden. Falschmeldungen, Fake-Nachrichten und manipulierte Bildchen, die im Internet kursieren, sind nicht nur dumm, sondern auch gefährlich.

Beim derzeitigen Dreiklang aus Lebenslauf, Nebeneinkünften und Plagiat verhält es sich allerdings anders. Den eigentlichen Skandal erkennt man dabei nicht, indem man tiefer in die drei Einzelfälle eintaucht, sondern indem man einen Schritt zurücktritt und das Geschehen von Ferne betrachtet. Der Imageschaden ist da – und dabei wäre er in allen drei Fällen so vermeidbar gewesen. Man hätte damit rechnen müssen!

Ein wesentlicher Grund für die Härte der Auseinandersetzungen dürfte sein, dass eine grüne Kanzlerkandidatur mit Aussicht auf Erfolg für die beiden langjährigen Volksparteien eine ziemliche Demütigung darstellen muss. Nicht nur für die Union, die eine Zeitlang der Juniorpartner der Ökopartei hätte werden können, sondern auch für die in den Umfragen auf 17 Prozent geschrumpfte SPD. Linkes Bündnis hin oder her – wie unerbittlich die Sozialdemokraten gegenüber den einstigen Freunden von den Grünen auftreten können, kann man im Kleinen gerade in Hannover beobachten, wo die SPD den Verlust des Oberbürgermeisteramtes an die Grünen bei weitem noch nicht verkraftet hat.

Dass sich das Team in der Grünen-Parteizentrale zu Beginn des Jahres aber nicht die Zeit genommen hat, um sich genau auf solche Schmutzeleien vorzubereiten, um selber nach all den Fehlern im strahlenden Antlitz ihrer werdenden Kandidatin zu suchen, ist der eigentliche Fehler, der den Grünen nun womöglich den erhofften Erdrutschsieg kosten wird.

Kurzum: Dass Annalena Baerbock weder von der Union noch von der SPD mit Samthandschuhen angefasst wird, war absolut klar und wird von beiden Lagern seit Wochen unübersehbar so praktiziert. Dass sich das Team in der Grünen-Parteizentrale zu Beginn des Jahres aber nicht die Zeit genommen hat, um sich genau auf solche Schmutzeleien vorzubereiten, um selber nach all den Fehlern im strahlenden Antlitz ihrer werdenden Kandidatin zu suchen, ist der eigentliche Fehler, der den Grünen nun womöglich den erhofften Erdrutschsieg kosten wird.

Wenn man nicht nur an der Oberfläche kratzt und den Wahlkampf um das Kanzleramt nicht nur auf eine einzige Person fokussiert, wird wohl eher deutlich: Nicht Annalena Baerbock hat es verbockt, sondern die Strategen der Grünen, die ihre Kandidatur und Kampagne schlampig vorbereitet haben. Und das ist vielleicht noch viel schlimmer, denn eine Kanzlerin ist letztlich auch nur so gut wie das Team, das mit ihr ins Kanzleramt einziehen wird.

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CONTRA: Gegenwärtig werden übertriebene Maßstäbe an Annalena Baerbock angelegt. Das ist vorübergehend. In Kürze werden wir das auch bei Armin Laschet erleben, vielleicht sogar bei Olaf Scholz. Daher ist zu raten, die „Enthüllungen“ über die Grünen-Kanzlerkandidatin nicht zu ernst zu nehmen, meint Klaus Wallbaum.

Ja, es stimmt – viele Politiker der Grünen treten immer noch mit einem Heiligenschein auf. Sie tun so, als hätten sie nicht nur das bessere Programm für die Zukunft Deutschlands, sondern auch die besseren Akteure für dessen Umsetzung. Hier gilt der Satz, dass derjenige, der sich selbst erhöht, erniedrigt werden wird. Bei Annalena Baerbock, die als Kanzlerkandidatin nun mal die oberste Repräsentantin der Grünen ist, wird das gerade mehr als deutlich. Die Berichte über die mehrfache Nachbesserung ihres Lebenslaufes sind keine Nebensächlichkeit, sondern treffen ins Herz. Die Hinweise auf angebliche Plagiate in ihrem jüngsten Buch tun das auch. Woran liegt das?

Einem Politiker, der vor allem als entschlossener Techniker der Macht auftritt, verzeiht man solche Fehler eher als einem, dessen Kernkapital nicht die Macher-Qualität, sondern vor allem die eigene Glaubwürdigkeit ist. Über Jahre traten viele Grünen so auf, als sei die wichtigste Wahlempfehlung für sie eine höhere moralische Messlatte.

Die Grünen mögen höhere ethische Maßstäbe haben – aber in der Praxis erfüllen sie diese oft nicht. Ihnen passieren Fehler und Patzer, wie sie den Politikern der anderen Parteien auch widerfahren.

Was wir derzeit erleben, ist eine Vermenschlichung von Baerbock und ihren Leuten. Die Grünen mögen höhere ethische Maßstäbe haben – aber in der Praxis erfüllen sie diese oft nicht. Ihnen passieren Fehler und Patzer, wie sie den Politikern der anderen Parteien auch widerfahren. Das muss nun keine bittere Erkenntnis für die Grünen sein, denn zum einen widerfahren ihren Repräsentanten solche Dinge nicht zum ersten Mal (Bonusmeilen-Affäre von Cem Özdemir und Rezzo Schlauch 2002), zum anderen sind die Anhänger durchaus bereit zu verzeihen.

Insofern mag die Strategie der Grünen-Wahlkampfzentrale, die jüngsten Plagiatsvorwürfe gegen Baerbock barsch zurückzuweisen und – anders als bei den Fehlern im Lebenslauf – nicht klein beizugeben, durchaus ihre Berechtigung haben. Das Empörungspotenzial über Baerbocks Versäumnisse und Pannen ist irgendwann ausgereizt, irgendwann ist es dann auch mal gut.

Dass Baerbock (oder ein Ghostwriter) an einigen Stellen fast wörtlich abgeschrieben hat, ohne die Quelle zu nennen oder sogar zu zitieren, ist eine Nachlässigkeit, eine Unsauberkeit, die der Qualität des Buches abträglich ist – und vermutlich mit dem Zeitdruck entschuldigt werden kann. Aber es ist, anders als bei einer Doktorarbeit, eben keine grobe Verletzung wissenschaftlicher Ansprüche.

Noch etwas anderes kommt hinzu: Nicht jeder Plagiatsvorwurf trifft nun ins Schwarze. Wenn jemand eine Doktorarbeit verfasst und nach erfolgreicher Prüfung einen Titel trägt, vermittelt er nach außen den Anspruch, mit eigenen Gedanken und Formulierungen die Forschung zu einem bestimmten Sachverhalt vorangebracht zu haben. Hier müssen unbedingt strenge Regeln gelten, denn niemand soll sich mit fremden Federn schmücken und eine Auszeichnung für etwas bekommen, was in Wahrheit anderen zuzurechnen ist. Die besondere Strenge bedeutet hier, dass Regeln der Zitierweise und korrekten Quellenbeschreibung überaus genau genommen werden. Dass Titel nach einer sorgfältigen Nachprüfung entzogen werden, wie es bei etlichen Politikern und Personen des öffentlichen Interesses schon vorgekommen ist, liegt daher nah. Baerbocks jüngstes Buch ist nun aber keine Doktorarbeit, sondern eine gezielte Veröffentlichung im Vorfeld eines Wahlkampfes.

Davon finden sich, über die vergangenen Jahre und Jahrzehnte verteilt, hunderte Beispiele. Es werden kurz vor der Wahl von den Spitzenkandidaten oder über die Spitzenkandidaten Bücher geschrieben, die dann Gesprächsstoff liefern und den Politiker in einem positiven Licht erscheinen lassen sollen. Dass Baerbock (oder ein Ghostwriter) an einigen Stellen fast wörtlich abgeschrieben hat, ohne die Quelle zu nennen oder sogar zu zitieren, ist eine Nachlässigkeit, eine Unsauberkeit, die der Qualität des Buches abträglich ist – und vermutlich mit dem Zeitdruck entschuldigt werden kann. Aber es ist, anders als bei einer Doktorarbeit, eben keine grobe Verletzung wissenschaftlicher Ansprüche.

Man sollte also die Kirche im Dorf lassen. Auch über Armin Laschet und Olaf Scholz dürfte es auch Negatives zu erzählen geben, unschöne Äußerungen oder Verhaltensweisen, die wegen der Flüchtigkeit ihrer Herstellung strengen Kriterien der Überprüfung nicht stand halten. Vermutlich dauert es nicht lange, bis wir darüber einiges lesen werden.

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