Soll der Staat mit einer sogenannten „Übergewinnsteuer“ krisenbedingte „Zufallsgewinne“ abschöpfen? Darüber diskutieren die Rundblick-Chefredakteure Christian Wilhelm Link und Klaus Wallbaum. / Foto: Henning Scheffen, Canva

Italien hat es schon vorgemacht, Ungarn auch – und in den USA wird die Debatte ebenfalls geführt. Soll der Staat mit einer sogenannten „Übergewinnsteuer“ die Gewinne beispielsweise der Mineralölkonzerne abschöpfen, die derzeit an den kräftig gestiegenen Benzin- und Ölpreisen kräftig verdienen? Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil hat sich dafür offen gezeigt, die Grünen spenden Applaus für die Idee. Die FDP indes, die in der Bundesregierung den Finanzminister stellt, ist dagegen und sperrt sich. Am Freitag berät der Bundesrat erstmals über den Vorschlag. Die Rundblick-Redaktion streitet aus diesem Anlass in einem Pro und Contra über das Thema.

Pro

Die EU-Kommission hat ihren Mitgliedstaaten schon im März grünes Licht dafür gegeben, krisenbedingte „Zufallsgewinne“ abzuschöpfen, um die Verbraucher zu entlasten. In anderen Ländern sind solche Sondersteuern schon auf dem Weg, nur Deutschland kommt mal wieder nicht in die Gänge, ärgert sich Christian Wilhelm Link.

Stellen Sie sich das einmal vor: Sie bestellen an der Eisdiele ein Waffeleis mit zwei Kugeln Stracciatella und Sahne. Zu ihrem Glück ist allerdings die Sahnemaschine defekt und sie verzeichnen einen nie dagewesenen Rekordgewinn an Schlagsahne, ohne dafür extra bezahlen zu müssen. Nun will aber ihre Begleitung, die selbst nur einen kümmerlichen Sahnerest abbekommen hat, etwas von ihrem Schlagrahmreichtum abschöpfen. Was machen Sie jetzt? Ganz einfach: Sie rufen Finanzminister Christian Lindner (FDP) an, der ihrer Begleiterin oder ihrem Begleiter erklärt, warum das überhaupt nicht in Ordnung ist.

Genau das passiert gerade bei den Gas- und Ölkonzernen. Während die Verbraucher über noch nie dagewesene Preissteigerungen stöhnen, sich einschränken und teilweise eine nicht unerhebliche Menge ihres Einkommens für Nachzahlungen zurücklegen müssen, verdienen die Energiekonzerne sprichwörtlich doppelt und dreifach. Dummerweise aber nicht aufgrund von Innovation oder erhöhter Produktion, sondern einfach nur deswegen, weil ohne ihr Zutun die Weltmarktpreise gestiegen sind. Großbritannien und Italien haben als Reaktion darauf bereits eine sogenannte Übergewinnsteuer eingeführt. In Deutschland streitet die Ampelkoalition dagegen noch, ob man Mineralölkonzerne mit einer Sondersteuer belegen darf oder ob wir dadurch in die Planwirtschaft zurückfallen. 

„Bei der Übergewinnsteuer geht es auch darum, ein Zeichen zu setzen, dass die Politik zumindest um den sozialen Ausgleich bemüht ist.“

„Mit Blick auf die sogenannte Übergewinnsteuer will ich sagen, dass ihre Auswirkungen – falls man sie überhaupt einführt – kaum zu prognostizieren sind. Es besteht die große Gefahr, dass das Gegenteil von dem erreicht wird, was die Befürworter wollen“, sagt Bundesfinanzminister Lindner. Eine interessante Einschätzung von dem Mann, der trotz genau solcher Bedenken den Tankrabatt durchgeboxt hat. Aber es ist ja nie zu spät, noch dazuzulernen. Und bei der Einschätzung des finanziellen Nutzens einer Übergewinnsteuer gebe ich dem FDP-Chef sogar recht. Ob der Staat am Ende dadurch nennenswerte Zusatzeinnahmen erzielt, ist eher unklar. Aber so entscheidend ist das auch gar nicht. Bei der Übergewinnsteuer geht es auch darum, ein Zeichen zu setzen, dass die Politik zumindest um den sozialen Ausgleich bemüht ist. Warum sollen sich die Bürger damit abfinden, dass ihre Privatvermögen radikal von der Inflation dezimiert werden, während einige Unternehmen immer neue Rekordgewinne einfahren? Und wie man einen Ausgleich zwischen diesen beiden Extremen schafft, liegt ja auf der Hand.

„Es ist eine Frage der ökonomischen Vernunft und der Fairness, sich zumindest einen Teil dieser Sonderprofite zurückzuholen, um sie für die Finanzierung der notwendigen Entlastungspakete zu nutzen“, sagt Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD), der den Stein „Übergewinnsteuer“ über eine Bundesratsinitiative in Deutschland überhaupt ins Rollen gebracht hat. Der gebürtige Hildesheimer ist zwar promovierter Jurist, das hindert die Gegner seiner Idee aber nicht daran, geradezu reflexartig die Verfassungsmäßigkeit einer solchen Steuer anzuzweifeln. Dabei ist dieser Zug längst abgefahren. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestags hat schon am 31. März eine gründliche Ausarbeitung zu dem Thema vorgelegt. Fazit: Sofern die Übergewinnsteuer sachlich gerechtfertigt und angemessen gestaltet wird, steht einer Einführung eigentlich nichts im Weg.

Tankstellenketten freuen sich über sprudelnde Gewinne

Dass es zufällige Übergewinne gibt, ist auf jeden Fall unstrittig. Der britische Mineralölkonzern BP, zu dem auch die Tankstellenkette Aral gehört, verzeichnete Anfang 2022 den höchsten Quartalsgewinn seit zehn Jahren. Bei Shell (plus 147 Prozent), Total (plus 190 Prozent) und ExxonMobile mit seiner Tankstellenkette Esso (plus 220 Prozent) sprudeln ebenfalls die Gewinne. Auch die Quartalszahlen 2022 von Wintershall Dea sprechen eine klare Sprache. Obwohl der deutsche Gas- und Ölkonzern mit Sitz in Celle die Produktion im Vergleich zum Vorjahr nur um zwei Prozent gesteigert hat, ist der Betriebsgewinn um 161 Prozent gestiegen. 

Der Bundesfinanzminister warnt davor, dass eine Übergewinnsteuer auch die Hersteller von Impfstoffen, Wind- und Solarkraftanlagen oder Halbleitern treffen würde. „Die machen Profite, weil sie dank ihres Könnens Knappheiten beseitigen. All denen möchte ich keine Impulse nehmen, mehr zu produzieren“, sagt Lindner. Das ist aber eigentlich gar keine Kritik an der Übergewinnsteuer selbst, sondern beschreibt nur die Aufgabe, eine solche Steuer richtig zu gestalten. Ziel des Ganzen ist doch gerade, die Gewinne abzuschöpfen, die nicht durch Risikobereitschaft, Effizienzsteigerung oder Innovation zustande gekommen sind. Und selbst diese Übergewinne gehen ja nicht zu 100 Prozent verloren.

„Ich vermisse bei der Ampelkoalition in dieser außergewöhnlichen Wirtschaftskrise ein wenig den Mut zu mehr sozialer Marktwirtschaft.“

Bei der Abschöpfung von Übergewinnen muss man auch gar nicht bei den Ölkonzernen haltmachen. Von der anhaltenden Corona-Krise und dem Krieg in der Ukraine profitieren auch noch andere: die Energiekonzerne, Versandhändler Amazon, die Rüstungsindustrie sowie all jene, die sich durch Spekulationen mit Getreide und anderen Rohstoffen ein goldenes Näschen verdienen. Und dann sind da auch noch die deutschen Autobauer, die trotz gleichbleibender oder geringerer Verkaufszahlen deutliche Gewinnsteigerungen verbuchen. Ich vermisse bei der Ampelkoalition in dieser außergewöhnlichen Wirtschaftskrise ein wenig den Mut zu mehr sozialer Marktwirtschaft, den selbst grundsätzlich wirtschaftsliberale Staaten wie Großbritannien zeigen. In der Ampelkoalition gibt es aber offenbar sehr unterschiedliche Ansichten dazu, wie der Staat seine Rolle als Hüter der sozialen Ordnung auszufüllen hat. Ich bin gespannt, wie SPD, Grüne und FDP hier noch zusammenfinden. Denn das nächste Entlastungspaket ist nur noch eine Frage der Zeit und muss irgendwie gegenfinanziert werden.

Contra

Steuererhöhungen für die Kriegsgewinnler mögen derzeit populär sein, doch sie sind rechtlich in Deutschland höchst problematisch. Daher sollte man von einer Idee, die vor den Gerichten keinen Bestand haben dürfte, lieber absehen. Wenn schon Steuererhöhungen, dann bitte wasserdicht, klar geregelt und nachvollziehbar, meint Klaus Wallbaum.

Die Sache mit den Steuererhöhungen ist immer so verzwickt: Eine einfache Lösung, wie bei der Vermögensteuer, ist zwar einleuchtend und einfach zu kommunizieren. Doch die Zahl der davon betroffenen Steuerpflichtigen wäre vermutlich nicht allzu gering, also dürfte mit erheblichen Widerständen zu rechnen sein. Engt man den Kreis der Steuerpflichtigen hingegen immer weiter ein, indem verschiedene Bedingungen formuliert werden, die erfüllt sein müssen, dann ist am Ende nur eine überschaubare Gruppe steuerpflichtig. Aber alle Regeln der Beschränkung und näheren Bestimmung selbst müssen dann unangreifbar sein, damit das Konstrukt jeder juristischen Überprüfung stand hält. Das ist genau das Problem dieser „Übergewinnsteuer“. Da hilft auch der Hinweis des DGB Niedersachsen, es gebe ja eine EU-Richtlinie zu dieser Steuer und damit sei „Rechtssicherheit geschaffen“ worden, nicht viel. Wenn schon Richtlinien knifflige Rechtsfragen lösen könnten, wäre die Welt viel einfacher…

„In dieser Sichtweise war der eingeführte „Tank-Rabatt“ ein riesiger Fehler, denn durch den Verzicht auf die staatlichen Steuereinnahmen verdienen die Konzerne umso mehr.“

Der Ruf nach einer Sonder-Abgabe der Reichen ist ja richtig, stößt auf große Zustimmung in der Bevölkerung und kann als laute Wehklage über fehlende Gerechtigkeit verstanden werden: In der Krise steigen die Preise an der Tanksäule, obwohl die berechtigte Vermutung besteht, dass die Einkaufspreise der Konzerne sehr viel geringer sind als die Verkaufspreise an der Zapfsäule. Die Verunsicherung der Bevölkerung angesichts des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine wird von einigen schamlos für Spekulationsgewinne ausgenutzt. Was läge da näher, als jene Branchen, die angesichts des Krieges und der Krise enorme Gewinne einstreichen, besonders zu besteuern? In dieser Sichtweise war der eingeführte „Tank-Rabatt“ ein riesiger Fehler, denn durch den Verzicht auf die staatlichen Steuereinnahmen sinkt der Preis, noch mehr Leute tanken ihre Autos voll – und die Konzerne verdienen umso mehr.

„Übergewinnsteuer“ bietet einige juristische Fallstricke

Richtig, der Hinweis auf Italien und Ungarn zeigt, dass die Idee der „Übergewinnsteuer“ nicht aus der Luft gegriffen ist. So etwas hat es schon mal gegeben – und es gibt es jetzt auch in Europa. Nun möchte man den Italienern und Ungarn nicht zu nahe treten, aber die politische Kultur in manchen Staaten sieht anders aus als bei uns, dort werden zunächst Fakten geschaffen ohne Blick auf die juristischen Feinheiten – zumal auch die juristischen Fallstricke nicht in jedem Staat ähnlich eng geknüpft sind wie in Deutschland. Hierzulande empfiehlt es sich, eine neue Steuer erst dann einzuführen, wenn das Konzept juristisch wasserdicht ausgestaltet ist.

Dabei geht es um schwierige Abgrenzungsfragen: Wenn der Mineralölkonzern besteuert wird, findet das allgemein Beifall. Aber Bundesfinanzminister Christian Lindner, Gegner der Übergewinnsteuer, meinte jüngst, dass man konsequenterweise dann auch Hersteller von Impfstoffen, von Windkraft- und Solaranlagen und von Halbleitern, die in der Krise besonders nachgefragt sind, einbeziehen müsse. Aber das, fügte Lindner hinzu, wolle er nicht. Diese Äußerung weist schon auf die Schwierigkeit hin: Wie kann man juristisch sauber eine Grenze ziehen zwischen denen, die man belasten möchte, und jenen, die man gerade jetzt verschonen will, weil man auf ihr Wohlwollen und ihre Zusammenarbeit angewiesen ist? Und wie lässt sich klar definieren, dass ein hoher Gewinn die Folge der Krisensituation ist? Wann trifft diese Beschreibung zu, wann nicht mehr?

„Aber populäre Forderungen an sich ersetzen keine gute Politik. Womöglich führt an einer höheren Besteuerung von Vermögenden jetzt kein Weg mehr vorbei.“

Das Thema ist sicher nicht unlösbar. Aber auf der anderen Seite lassen die politischen Forderungen von Herrn Klingbeil über Frau Lang bis zu Olaf Lies in Niedersachsen diese Differenzierung noch vermissen. Die Rufe nach der neuen Steuer machen sich gut, zumal in Wahlkampfzeiten und in einer Epoche, in der die Inflation eine neue Ungerechtigkeit zwischen den Reichen oben und den weniger Vermögenden unten erzeugt. Aber populäre Forderungen an sich ersetzen keine gute Politik. Womöglich führt an einer höheren Besteuerung von Vermögenden jetzt kein Weg mehr vorbei. Die Politik sollte darüber in einen Wettbewerb der guten Ideen eintreten. Viel Zeit bleibt nicht, denn die Geldentwertung wird jeden Tag dramatischer. Der Vorschlag von Bernd Althusmann, die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel abzuschaffen, wäre ein überlegenswertes Modell zur Entlastung breiter Schichten. Aber auch das könnte nur ein Teil eines jetzt nötigen politischen Programms sein.