Darum geht es: Die Landesregierung will die Ladenöffnungszeiten am Sonntag neu regeln. Nach einem aktuellen Gesetzentwurf soll eine Öffnung an vier Sonntagen möglich sein. Einzelne Stadtbereiche sollen an einem fünften und einzelne Geschäfte an einem sechsten Sonntag öffnen dürfen. Braucht es mehr oder weniger Sonntagsöffnungen in Niedersachsen? Dazu ein Pro & Contra von Martin Brüning und Klaus Wallbaum.

Pro: Martin Brüning (li.), Contra: Klaus Wallbaum - Foto: DqM

Pro: Martin Brüning (li.), Contra: Klaus Wallbaum – Foto: DqM

 

PRO: Die Ladenöffnungszeiten sind ein bürokratischer Anachronismus, durch den selbst viele Politiker nicht mehr durchblicken. Gebt endlich den Sonntag frei und verschont uns mit Euren absurden Ausnahmeregelungen, meint Martin Brüning.

 

Die christlichen Werte spielen in Deutschland inzwischen zumeist eine Rolle, wenn es gerade passt. Wer mit dem Islam ein Problem hat, der bringt gerne unsere christliche Wertegrundlage ins Spiel. Und auch in der Debatte um die Ladenöffnungszeiten am Sonntag spielen auf einmal wieder christliche Werte eine Rolle, während am Sonntagvormittag die Pastoren in den Kirchen vor weitgehend leeren Reihen predigen und die wenigen Besucher der Gottesdienste die 60 Jahre-Grenze zumeist deutlich überschritten haben. Und während vor ein paar Jahren in einer infratest-Umfrage drei Viertel der Befragten gegen die Sonntagsöffnung votierten, rennen die Massen am verkaufsoffenen Sonntag dann doch in die Innenstadt, als ob es kein Morgen gäbe.

Ganz ehrlich sind die Verbraucher nicht. Arbeiten will am Sonntag lieber niemand, aber einkaufen geht man dann doch ganz gern. Kein Wunder also, dass die Politik nur Regelungskrücken zustande bringt, die alle irgendwie ein bisschen zufrieden stellen sollen. Die Formel lautet 3 mal K plus H: ein bisschen Kirche, ein bisschen Kunden, ein bisschen Kommunen und auch den Handel nicht vergessen. Heraus kommt dabei natürlich der reine Irrsinn. So dürfen wir am Sonntag an der Tankstelle unser Auto nicht waschen, aber durchaus die Zeitung und einen Schokoriegel kaufen. Hinter der Kasse sitzt dabei natürlich trotzdem jemand – da spielt es keine Rolle, was wir kaufen dürfen und was nicht. Und wer es am Sonntag innerhalb der erlaubten drei Stunden nicht zum Bäcker schafft, hat hoffentlich Aufbackbrötchen in der Tiefkühlruhe. Der Bäcker darf natürlich nur „außerhalb der ortsüblichen Gottesdienstzeiten“ öffnen, denn in dieser Gottesdienstzeit sitzen wir hier im christlichen Abendland ja alle in der… na, das haben Sie ja schon im ersten Absatz gelesen.

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Das System ist so lächerlich, dass man es eigentlich nur noch komplett einstampfen kann. Die Öffnungszeiten haben auch gar nichts mit der zunehmen Konkurrenz im Internet zu tun, die dem Handel zu schaffen machen. Die Ladenöffnungszeiten sind ein lächerlicher, bürokratischer Anachronismus, durch den selbst viele Politiker nicht mehr durchblicken. Gebt endlich den Sonntag frei und verschont uns mit Euren absurden Ausnahmeregelungen!

Auch eine vollständige Freigabe der Ladenöffnungszeiten würde dabei nicht zur vollkommenen Konsumenten-Freiheit führen. Verkaufsoffene Sonntage blieben schon allein deshalb bei den allermeisten Geschäften die Ausnahme, weil sich eine generelle Sonntagsöffnung für die Händler gar nicht lohnt. Denn die durchschnittliche Zahl der Sonntagskunden könnten die zu zahlenden Zulagen für die Mitarbeiter nicht wett machen. Und diese Mitarbeiter müssten auch nicht mehr arbeiten als früher. Denn mit der Freigabe der Ladenöffnungszeiten würde schließlich nicht das Arbeitszeitgesetz außer Kraft gesetzt.

Dennoch könnte es punktuell zu einer Belebung der Innenstädte führen und viele dadurch interessanter machen. Seien wir doch ehrlich: Der durchschnittliche Sonntag ist in den meisten Städten hierzulande vom Totensonntag nicht zu unterscheiden. Die Deutschen schätzen ja seit einiger Zeit wieder das urbane Leben – da müsste die Stadt am Sonntag nicht unbedingt zum Dorf mutieren.

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CONTRA: Der Sonntag sollte prinzipiell – bis auf wenige Ausnahmen – einkaufsfrei bleiben, meint Klaus Wallbaum.

 

Natürlich kann man mit dem Schutz der Arbeitnehmer argumentieren – oder auch damit, dass kleine Betriebe immer dann, wenn es um mehr Freiheiten für Unternehmen an sich geht, benachteiligt sind. Wo nur der Inhaber oder sein Partner hinter der Theke steht, ist natürlich nicht so viel Flexibilität möglich wie in einem Betrieb, der eine stattliche Zahl an Mitarbeitern hat. Deshalb sind jene, die gegen eine völlige Freigabe der Ladenschlusszeiten streiten, immer auch Anwälte der Kleinbetriebe und des Mittelstandes. Aber diese Argumente werden schwächer, denn die Arbeitswelt ändert sich natürlich. Der Vormarsch des Internets verändert das Kaufverhalten und die Ansprüche der Käufer. Die Leute halten sich immer weniger an strenge Zeitvorgaben für ihren Einkauf – und wenn der Einzelhandel mit der Konkurrenz im Netz mithalten will, muss er sich stärker öffnen, mehr Möglichkeiten bieten. Nur: Ein Tag in der Woche, der Sonntag, sollte davor geschützt bleiben. Und zwar aus kulturellen Gründen.

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Die christliche Tradition ist das eine, man kann sie nicht einfach vom Tisch wischen mit der Bemerkung, dass die Zahl der Kirchgänger und Gläubigen sowieso ständig schwinde. Die Tradition hat einen Sinn, der unabhängig davon besteht, wie stark die Lebenswirklichkeit der meisten Menschen sich gerade danach ausrichtet. Die tiefere Bedeutung des freien Sonntags – oder auch des freien Wochenendes – liegt in der Muße. Die Menschen sollen abschalten, runterfahren, sich besinnen. Natürlich darf der Staat die Bürger weder bevormunden noch erziehen, der muss ihre Eigenständigkeit akzeptieren. Jeder soll selbst entscheiden können, wann er für sich eine Pause einlegt.

Nur ist die Wirklichkeit in der hektischen Zeit oft so, dass die Pausen einfach wegfallen. Das gilt heute, im Zeitalter von Computern, Handys und digitalen Daten, viel stärker als früher. Der einkaufsfreie Sonntag kann eine gute Antwort darauf sein – nicht als staatliche Vorgabe für das Verhalten der Menschen, die in einer freien Gesellschaft sowieso tun und lassen können, was sie wollen. Die Regel ist vielmehr Ausdruck einer Sonntagsruhe als gesellschaftlichem Konsens, als allgemeine Vereinbarung über eine Ruhezeit, die ja nie allumfassend und absolut sein kann, zumal in Gaststätten, Redaktionen, Polizeistationen, Krankenhäusern und vielen anderen Einrichtungen natürlich rund um die Uhr gearbeitet werden muss.

In einer Zeit der Reizüberflutung, in der alte Gewissheiten verloren gehen, in der der politische Diskurs zunehmend verroht und abstumpft, in der Autoritäten wie Politiker, Medien und Wissenschaftler an Ansehen verlieren und in der die Hektik des Alltags immer mehr gesteigert wird, ist die Entschleunigung eine notwendige Antwort. Die Hoffnung, mit dem Schutz des einkaufsfreien Sonntags dies erreichen zu können, ist sicher übertrieben. Es geht eigentlich nur um ein Zeichen. Seit vielen Jahrhunderten hat in unserer Kultur eine besondere Bedeutung als Tag der Ruhe und des Ausspannens. Daran sollte festgehalten werden – im sicheren Gefühl, dass immer mehr Betriebsamkeit, immer mehr Konsum und immer mehr Aktivität den Menschen auf Dauer überfordern müssen. Was wir brauchen, ist mehr Besinnung auf uns selbst.

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