Es gibt Gewinner und Profiteure, es gibt auf der anderen Seite Verlierer und Frustrierte. Die Corona-Krise hat die Gesellschaft in der Bundesrepublik tüchtig durcheinandergewirbelt. Nimmt die Spaltung noch zu – oder ist das gar nicht so gravierend? Wo verlaufen die Trennlinien? Die Rundblick-Redaktion widmet sich dem Thema in einem Pro und Contra.

Pro & Contra: Klaus Wallbaum (li.) & Martin Brüning

PRO: Wir sollten uns davor hüten, großzügig über Fehler und Schwächen hinwegzusehen. Die Corona-Krise hat zu einer Verschiebung der Belastungen geführt – und das betrifft ganz viele Menschen. Zur Gerechtigkeit gehört, dass man die Mängel klar benennt und versucht, Schräglagen zu korrigieren, meint Klaus Wallbaum.

Die Corona-Krise hat so vieles auf den Kopf gestellt, alte Gewissheiten sind binnen weniger Tage über Bord geworfen worden. Mitarbeiter von Reisebüros, Gaststätten, bestimmten Einzelhandelsgeschäften, Industriekonzernen und sogar Redaktionen wurden über die Kurzarbeit nach Hause geschickt, „Kurzarbeit Null“ hieß dann: ohne Tätigkeit, bei Fortzahlung nur eines Teils der Bezüge. Das Personal in den Supermärkten musste Sonderschichten fahren. In vielen Büros wurde die Mannschaft in zwei Hälften geteilt, die eine blieb die eine Woche zuhause, die andere dann die nächste. So wurde gewährleistet, dass sich die Kollegen möglichst nicht begegnen und nicht gegenseitig anstecken. Falls eine Besatzung krankheitsbedingt ausgefallen wäre, hätte die andere sofort einspringen können und sollen.


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Viele Dinge sind in der Not und mit guter Absicht geregelt worden. Viele Firmen und Verwaltungen bewiesen ihr organisatorisches Geschick – und die Mitarbeiter zeigten solidarisches Verhalten. Zug um Zug kehrt nun die Normalität zurück, und in einigen Wochen werden einige Grundregeln (Abstand halten, Masken tragen, Hygiene beachten) die bisher noch strengen Verbote und Schließungen ablösen. Gehen wir dann, aufatmend, wieder zum Alltag der Zeit von vor Anfang März über und vergessen all das Unangenehme der Corona-Krise? Das wäre leichtfertig. Denn wir müssen aufpassen, dass sich Neid und Missgunst nicht verschärfen. Dass die Stärkeren mehr tun, um den Schwächeren zu helfen, findet allgemeine Zustimmung. Aber es darf nicht dazu kommen, dass die Zuverlässigen sich engagieren, damit diejenigen kürzer treten können, die schon immer gern der Arbeit ausgewichen sind. Dazu wird es nötig, die Corona-Zeit aufzuarbeiten und nachträglich zu beleuchten. Hier ein paar Ansatzpunkte:

Was läuft im Home-Office? Eltern, die gezwungen waren, zuhause ihre kleinen Kinder zu betreuen und nebenher ihre Arbeit zu leisten, sind in der Tat stark belastet worden – oft viel stärker als jene, die weiter das Büro besuchen durften. Es gibt auf der anderen Seite aber auch Fälle, in denen Mitarbeiter die Heimarbeit als Chance aufgenommen haben, sich den beruflichen Pflichten und der Erreichbarkeit zu entziehen. In Teams sind dann solche Kollegen stärker belastet, die ins Büro gehen und dort den Teil derer übernehmen, die im Home-Office sind. Vieles musste zu Beginn der Corona-Krise überstürzt geregelt werden. Nun aber, mit etwas Abstand, ist Aufarbeitung angesagt. Jeder Betrieb und jede Behörde muss prüfen, inwieweit es verbindliche Regeln geben muss, nach denen eine erfolgreiche Einbindung der Mitarbeiter in Heimarbeit gelingen kann. Ein „Schlupfloch in die Aus-Zeit“ von der Arbeit darf auf keinen Fall entstehen. Daher sollte das von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil voreilig angepriesene „Recht auf Heimarbeit“ nicht von vornherein an möglichst wenig Kontrollen, Regeln und Auflagen geknüpft werden. Diese Idee ist kein Schritt zur Vertrauensbildung, wenn Vorkehrungen gegen den Missbrauch fehlen.

Wie wird die Risiko-Gruppe eingebunden? Eine Ungerechtigkeit kann entstehen, wenn Mitglieder der Risikogruppe (Menschen über 60 mit Vorerkrankungen, Übergewichtige) an den Rand des Arbeitsprozesses gedrängt werden, ausgesondert werden – oder auch, wenn sie sich auf eigenen Wunsch von der Teamarbeit mit anderen absondern wollen. Nötig sind feste Regeln und Aufgaben für diese Menschen gerade für den Fall, dass sie aus gesundheitlichen Gründen nicht ins Büro gehen oder als ältere Lehrkräfte nicht vor der Klasse unterrichten können. Die bisherige übliche Praxis in Niedersachsen, dass Lehrer frühzeitig aus dem Dienst ausscheiden und dann in Pension gehen, kann für die Zukunft keine Lösung mehr sein. Denn sie ist geeignet, Unfrieden zu stiften. Eine wichtige Aufgabe besteht deshalb darin, Brücken zu bauen für jene, die aus gesundheitlichen Gründen nur noch begrenzte Außenkontakte haben dürfen, deren Rat und Tat aber nach wie vor gebraucht wird – und auch gefordert sein sollte. Konkret muss es ein Beschäftigungsprogramm für solche Lehrer geben, die nicht mehr in der Schule unterrichten. Sie könnten im Home-Office Kinder betreuen, die im Homeschooling sind. Oder sie könnten in der Schulverwaltung aktiv werden.

Welche Branche wird gestützt, welche nicht? Dass die Corona-Soforthilfen an alle ausgezahlt wurden, die wegen der Ansteckungsgefahr ihre Geschäfte schließen mussten, ist vernünftig gewesen. Trotzdem wird es künftig nötig sein, die Berechtigung in Einzelfällen nachzuprüfen und bei Verstößen Geld zurückzufordern – was ja auch bereits geschieht. Noch entscheidender wird die Frage sein, welche Branche und welche Firmen über Zuschüsse, Kreditbeihilfen oder staatliche Beteiligungen mittel- und langfristig gestützt und gefördert werden sollen. Eine transparente und nachvollziehbare Begründung ist unverzichtbar – umso mehr, als es eine klare und absolut unangreifbare Regelung vermutlich nicht geben wird. Die Gesellschaft wird bereit sein, spezielle staatliche Hilfen für besondere Branchen zu tolerieren, auch wenn andere leer ausgehen. Vermutlich gelingt das aber nur, wenn die Kriterien für staatliche Unterstützung nachvollziehbar, gut begründet und überzeugend sind.

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Wie weit geht der Datenschutz? Eine wichtige Frage wird sein, ob die drastischen Kontaktverbote mit ihren verheerenden Folgen nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für das soziale Miteinander und die Psyche vieler Menschen, beim nächsten Ausbruch einer Pandemie verhindert werden können. Immer stärker stellt sich heraus, dass dies durchaus möglich wäre – aber nur um den Preis, dass jeder Bürger mehr Daten preis gibt. Das betrifft Daten über sein Bewegungsprofil und seine Aufenthaltsorte, aber auch Daten zu seinem Gesundheitsstatus. In der gesättigten, verwöhnten deutschen Gesellschaft der Vor-Corona-Zeit wäre das undenkbar gewesen. Heute weiß man: Es ist eine Abwägungsfrage, denn ein Zuviel an Datenschutz kann bewirken, dass – wie geschehen – Ausgangssperren und Kontaktverbote verhängt werden müssen. Daher ist eine neue, entspannte Sicht auf dieses Thema notwendig. Das umso mehr, als ganz viele Menschen heute schon freiwillig ihre persönlichsten Daten US-Großkonzernen wie Facebook anvertrauen. Ob die gegenwärtige Corona-App leistungsfähig genug sein wird, darf angesichts der vielen Begrenzungen wohl eher bezweifelt werden.

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CONTRA: Die Krise hat zwischenzeitlich die Sensibilität für gesellschaftliche Ungleichheit wieder verschärft, einige Risse sind in der Krise tiefer geworden. Doch nach Corona wird es wieder heißen: business as usual,  meint Martin Brüning.

Die Corona-Krise wirkt wie ein Brennglas, durch das gesellschaftliche Ungleichheiten viel stärker wahrgenommen werden als zuvor. Frauen sind plötzlich wieder die Verlierer, wenn die Kindertagesstätte nicht öffnet. Geringverdiener machen sich größere Sorgen, dass es im Betrieb Kurzarbeit geben könnte, weil die gehobene Mittelschicht die Krise notfalls auch eine Zeitlang durch das besser gefüllte Sparkonto ausgleichen kann. Kinder mit schlechteren Bedingungen und aus einem schwierigeren sozialen Umfeld leiden unter den Schulausfällen mehr als Kinder, die sich – aus welchen Gründen auch immer – mit der Schule leichter tun. Zudem stellten Forscher der Universität Mannheim fest: Je niedriger der Schulabschluss, desto seltener können Angestellte ins Homeoffice wechseln. Während die Supermarktkassiererin unter erschwerten Bedingungen hinter Plexiglasscheiben schuften muss, machen andere es sich im Homeoffice mit dem Notebook auf dem heimischen Sofa bequem, wobei an der Stelle nicht ganz klar ist, wer hier den Nachteil erleidet. So ist es durchaus möglich, dass die Kassiererin froh ist, dass sie, wenn auch unter erschwerten Bedingungen, weiter zur Arbeit gehen kann, während anderen das Homeoffice im heimischen Wohnzimmer schwer aufs Gemüt geht.

Die Krise macht uns nicht ungleicher, sie hebt die nur die bestehenden Ungleichheiten stärker hervor. Das extremste Beispiel sind die bereits seit Jahren unethischen Arbeitsbedingungen in  der Fleischbranche, deren Folgen in der Corona-Krise nun dramatisch sind. Aber auch an anderer Stelle wird nun das verstärkt, was bereits vorher existiert hat. Im Büro fällt nun noch stärker auf, wer ranklotzt und wer die Zügel schleifen lässt, weil die Arbeit zwar weiter geleistet werden muss, allerdings unter erschwerten Bedingungen. Und die wirtschaftlichen Ungleichheiten können in der Krise existenzielle Ausmaße annehmen. Von einer „Hierarchie der Not“ spricht der Sozialwissenschaftler Stefan Sell. Je niedriger der Lohn, wie zum Beispiel in der Gastronomie oder im Einzelhandel, desto größer sind die Probleme.

Und nach der Krise? Wird es wieder „business as usual“ geben. Es war nett, dass Menschen auf Balkonen standen, um für das Pflegepersonal zu klatschen, aber fragte man dieselben Menschen, wieviel weniger Nettogehalt man denn akzeptieren würde, damit Pflegekräfte besser bezahlt werden können, würde das Ergebnis wohl ernüchternd ausfallen. Der Geringverdiener wird morgen nicht reich, und der Investmentbanker wird morgen nicht zum Geringverdiener. All diejenigen, die sich hochmotiviert gerade neue Fahrräder kaufen, merken spätestens im Oktober und November, dass wir in der kühlgemäßigten Klimazone wohnen, in der auch niedrigere Temperaturen und Regengüsse zum Wetter dazugehören. Das Auto wird trotz einer positiven Einstellung zum Klimaschutz dann wieder aus der Garage geholt, das Fahrrad wiederum landet in der Garage. Die Faulen im Büro bleiben faul, die Fleißigen bleiben fleißig, ältere Männer in Führungspositionen werden nach wie vor lieber Männer einstellen. Wenn es gut läuft und es schnell genug geht, werden vielleicht ein paar Regeln für die Fleischbranche geändert, die aber vermutlich schon am nächsten Trick arbeitet, um diese neuen Regeln  zu umgehen. Die Spaltung bleibt erhalten, allein gehört sie wieder zur sogenannten Normalität.

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Positiv kann man sehen, dass die Krise die Sensibilität für gesellschaftliche Ungleichheit wieder verschärft hat. Negativ bleibt aber die eindimensionale Debatte darüber. Nach wie vor wird in den öffentlichen Debatten alles in Euro bemessen. Wie arm ist eine Gesellschaft, in der es nur noch um Geld geht? Wie arm ist eine Gesellschaft, in der darüber diskutiert werden muss, dass Pflegekräfte, Supermarktkassiererinnen, Busfahrer oder Polizisten Respekt verdienen? Ab wieviel Euro fühlt man sich respektiert? Und wer ist eigentlich auf die verrückte Idee gekommen, den Unterrichtsausfall in Verlusten beim späteren Lebenseinkommen zu bemessen? Diese alarmistische Rechnung des  Ifo-Zentrums für Bildungsökonomik, das der Gesamtheit und Unvorhersehbarkeit eines gesamten Lebens nicht im Geringsten Rechnung trägt, reiht sich ein in eine Ökonomisierung der gesamten Debatten. Eine menschlichere Gesellschaft lässt sich nicht in Euro bemessen. Dass das aus der Krise gelernt wird, ist leider nicht abzusehen.

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