Es geht um Sparprogramme, um die angemessene Finanzierung – und auch um die Frage einer Sonderstellung gegenüber den privaten Wettbewerbern. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht derzeit stark unter Rechtfertigungsdruck. In der Politik werden Stimmen laut, die eine drastische Strukturreform verlangen. Ist das, was unter den Dächern von ARD, ZDF und anderen angeboten wird, noch zu erhalten? Die Redaktion des Politikjournals Rundblick streitet darüber in einem Pro und Contra.

Und nicht vergessen: abschalten. – Foto: Maxiphoto / Getty Images

Pro: Die Öffentlich-Rechtlichen brauchen eine neue Maß-und-Mitte-Strategie. Das bedeutet: Maß halten bei den aktuell überbordenden Strukturen – und die politische Schlagseite beseitigen. Nur so bleibt die nötige gesellschaftlicher Akzeptanz in der Breite erhalten, meint Martin Brüning.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat im Jahr 2021 gleich zwei Probleme. Er befindet sich in einer politischen Schieflage, die dazu führt, dass sich die Skepsis ob mancher Berichterstattung inzwischen ins bürgerliche Lager frisst. Und er hat über die Jahre eine finanzielle und strukturelle Übermacht entwickelt, die sich inzwischen zu einem „Too big to fail“-Problem ausgewachsen hat. An beiden Problemen tragen nicht zwangsweise die Intendanten und Sender durchweg selbst schuld, sondern auch Politik und Gesellschaft, die zu lange unbequeme Diskussionen gescheut haben. Das führte dazu, dass Lautsprecher allerorten unsinnige Forderungen aufstellen oder teilweise abstruse Vorwürfe erheben – und eine sachlich-fachliche Diskussion um die Zukunft eines öffentlich-rechtlichen Systems, das mehr denn je eine zentrale Bedeutung hat, kaum noch möglich erscheint.

So sehr die Öffentlich-Rechtlichen heute das Schild der unbedingten Objektivität hochhalten, so deutlich wird der rot-grüne Tunnelblick in den Redaktionen doch immer wieder.

Die Diskussion um die politische Tendenz in den öffentlich-rechtlichen Sendern ist dabei nicht neu. Schon vor Jahrzehnten war zum Beispiel der Hessische Rundfunk in Teilen der Gesellschaft als „Rotfunk“ verschrien, und wer in Berlin (West) wohnte und in den 80ern die Diepgen-CDU wählte, schaltete im Auto nicht den SFB, sondern lieber den Rias oder später mit Hundert,6 einen der ersten privaten Radiosender der Stadt ein. SFB rot, Hundert,6 tiefschwarz – so einfach war die Welt damals.

So sehr die Öffentlich-Rechtlichen heute das Schild der unbedingten Objektivität hochhalten, so deutlich wird der rot-grüne Tunnelblick in den Redaktionen doch immer wieder. Da werden die Grünen nach ihrem mickrigen Ergebnis in Sachsen-Anhalt bei einer ARD-Moderatorin zum „Wahlgewinner“ oder ein RBB-TV-Reporter lobt auf einer propalästinensischen Demonstration die „sehr gute Atmosphäre“ und die hübschen Kostüme und Kopftücher, während hinter ihm die Parole „Kindermörder Israel“ skandiert wird.

Die Redakteure, die bei einer Wahl bei CDU oder FDP ihr Kreuz machen, lassen sich allerhöchstens mit einer überdimensionalen Lupe finden – wenn überhaupt.

Man könnte all die zahlreichen Beispiele der vergangenen Monate als Einzelfälle abtun. Fehler passieren. Aber in der Gesamtsicht muss man feststellen, dass es eine politische Schlagseite in den Redaktionen gibt. Die Redakteure, die bei einer Wahl bei CDU oder FDP ihr Kreuz machen, lassen sich allerhöchstens mit einer überdimensionalen Lupe finden – wenn überhaupt. Von Kritikern wird immer wieder eine Umfrage hervorgeholt, die Volontäre der RBB-Ausbildungsschule EMS unter ARD- und Deutschlandradio-Volontären initiiert hatten. In der Sonntagsfrage hatte sich 57 Prozent für die Grünen, 23,4 für die Linke und 11,7 Prozent für die SPD entschieden. Vor der CDU mit drei Prozent kamen noch die „Anderen“ mit 3,9 Prozent. Und nur 1,3 Prozent der Volontäre würden sich für die FDP entscheiden.

Einfacher und authentischer wäre es, wenn politische Journalisten offen zu ihren Meinungen stehen könnten, statt ständig das Mantra der journalistischen Objektivität zu bemühen.

Nun wird bei der Einstellung von Volontären nicht nach deren politischer Einstellung gefragt, und das ist auch richtig so. Aber die Umfrage zeigt, dass Redaktionen sich vom allgemeinen Stimmungsbild vor dem Funkhaus abkoppeln können. Das kann auch nicht im Sinne der Sender selbst sein. Einfacher und authentischer wäre es, wenn politische Journalisten offen zu ihren Meinungen stehen könnten, statt ständig das Mantra der journalistischen Objektivität zu bemühen. Dann darf es aber keine rot-grüne Einheitsmeinung sein. Die vielbeschworene Objektivität gerät leider schon in täglichen Redaktionskonferenz an ihre Grenzen, weil es natürlich auch von der Sozialisation und Haltung der Teilnehmer abhängt, welche Themen ausgewählt und wie sie angegangen werden.

Jahrelang hat man die Schlagseite hingenommen, heute nun muss man sich die ungemütlichen Fragen gefallen lassen. Wo sind die konservativen und liberalen Kommentatoren? Warum weiß man schon, bevor die TV-Doku im Bereich Politik/Wirtschaft überhaupt beginnt, welche Richtung der Beitrag wohl einschlagen wird? Die Inhalte von ARD und ZDF sind erwartbar, die Sender sollten das ändern, um sich in der Breite der Gesellschaft die inhaltliche Akzeptanz zu erhalten.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sieht sich als Hohepriester des deutschen Journalismus, während er der 371-jährigen deutschen Zeitungskultur das Grab mit aushebt.

Die Diskussion trifft die Öffentlich-Rechtlichen in einer Situation der vermeintlichen Stärke. Die Zahl der Sender ist immer weiter gewachsen, was zwischen allen „Sokos“, Kochsendungen und Quizshows nicht automatisch positiv auf die Qualität eingezahlt hat, aber das nur am Rande. Das Wachstum hat aber auch dazu geführt, dass der Wettbewerb nicht mehr funktioniert. Sowohl die privaten TV- und Hörfunksender können finanziell nicht mehr mithalten, auch die Zeitungen können den Konkurrenzkampf gegen die vermeintlich kostenlosen Angebote der ARD-Stationen nicht gewinnen.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sieht sich als Hohepriester des deutschen Journalismus, während er der 371-jährigen deutschen Zeitungskultur das Grab mit aushebt. Das führt dazu,  dass die Diskussion ungemütlich und auch aus dem Zeitungslager mit ständigen Tritten gegen öffentlich-rechtliche Schienbeine flankiert wird. Selbstkritik ist dabei keine Stärke der Protagonisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wie der ARD-Koordinator der Berichterstattung zur Bundestagswahl, Rainald Becker, bewies, als er FDP-Reformvorschläge auf Twitter sofort mit dem Vorwurf des Populismus geißelte. Es wäre aber gut, wenn strukturelle Größe und die sich daraus ergebende Macht mit charakterlicher Größe und dem Mut zur ehrlichen Selbstkritik einhergingen.

Am Ende werden ARD, ZDF und Deutschlandradio nur mit einer Maß-und-Mitte-Strategie den Rückhalt einer breiten Mehrheit finden. Das bedeutet: Das nötige Maß bei künftigen Strukturen halten und eine ausgewogene und kritische Berichterstattung ermöglichen, durch die sich weder der CDU-Wähler in Sachsen-Anhalt noch die Grünen-Wählerin in Hamburg benachteiligt sehen. Keine leichte Aufgabe, aber auch nicht vollkommen unmöglich.

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Contra: Bevor wir Strukturen abschaffen, die sich insgesamt über Jahrzehnte bewährt haben, sollten wir genau prüfen – worin liegen die Vorwürfe begründet, die wir erheben? Und: Lassen sich diese Missstände abstellen? In der Reform liegt die Kraft, meint Klaus Wallbaum.

Zur bitteren Wirklichkeit von ARD und ZDF gehört leider auch, dass viele ihrer Vertreter es ihren letzten Anhängern so unglaublich schwer machen, sie mit guten Argumenten zu verteidigen. Was wird den öffentlich-rechtlichen, über eine Zwangsabgabe finanzierten Medien vor allem vorgeworfen? Es ist etwas, das seit Beginn der Corona-Krise deutlicher und nachdrücklicher als je zuvor artikuliert wurde – und zwar von den sogenannten „Querdenkern“ und scharfen Kritikern der Corona-Politik. Es ist der Vorwurf der Einseitigkeit, der mangelnden Empathie für die Positionen, die in den Entscheidungen von Kanzlerin und Ministerpräsidenten keine Berücksichtigung gefunden haben. Nun gibt es diese Kritiker der Corona-Politik sowohl auf der Rechten, verbreitet vor allem unter AfD-Anhängern, aber auch auf der Linken – und sogar in Kreisen, die bisher zur treuen Anhängerschaft von SPD, CDU, Grünen und FDP gehört haben. Das macht diese Gruppen so stark, denn man kann sie nicht mit einem Achselzucken als „Gefahr von rechts“ wegwischen. Aber im öffentlich-rechtlichen Rundfunk fühlen sie sich überhört und übersehen.

Allein, die Fernsehsender selbst machen es einem dann verdammt schwer, sie zu verteidigen.

Noch einmal: Wenn dann von „Staatsfunk“ die Rede ist oder von fehlender Objektivität der Journalisten, wenn Begriffe gewählt werden, die vor ein paar Jahren noch in „Lügenpresse“ gipfelten, dann möchten viele die starken Fernsehsender der ARD oder des ZDF gern verteidigen und sagen: Seht mal hin, ihr irrt. Die sind nicht so, wie ihr sie darstellt. Allein, die Fernsehsender selbst machen es einem dann verdammt schwer.

Ein schönes Beispiel bietet die vor wenigen Tagen ausgestrahlte Sondersendung zum 60. Geburtstag des Politikmagazins „Panorama“, die abends nach 22 Uhr gezeigt wurde. Die Moderatorin Anja Reschke, die recht häufig im Fernsehen auftritt, stellte die Kritik an der Regierungsarbeit als eigentliche Leitschnur der Sendung dar – nicht etwa die Durchdringung von Problemen und eine sauber recherchierte Analyse. Die Haltung, also die Kritik an der Regierung, ist ihr Maßstab, machte Reschke deutlich – nicht der von Rudolf Augstein genannte Grundsatz, man solle „schreiben, was ist“.

Dort prägt die „Haltung“ die Linie und verdrängt den Rat des seligen Hanns-Joachim Friedrichs: Ein guter Journalist dürfe sich nie mit einer Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten.

In dieser Sendung, die geprägt war von Selbst-Beweihräucherung und Oberflächlichkeit, schilderte Reschke, wie sie einen Zuschauer besuchte, der sie nach einer Sendung wegen Reschkes Gender-Sprache beschimpft hatte. Sie stellte ihn zur Rede und fragte nach seinen Ansichten (ein höchst lobenswerter Schritt) – und erhielt als Reaktion die Äußerung eines älteren Herrn, der nicht nur das Gendern ablehnt, sondern zudem Frauen keine handwerklichen Tätigkeiten zutraut. So blieb hängen: Wer gegen das Gendern ist, ist auch gegen Frauen. Offenbar wollte Reschke damit zeigen, wie rückständig all jene sind, die „Panorama“ scharf kritisieren. Diese Szene passt nun zum belehrende, besserwisserische und gegenüber Kritikern ignorante Auftreten so mancher Vertreter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Dort prägt die „Haltung“ die Linie und verdrängt den Rat des seligen Hanns-Joachim Friedrichs: Ein guter Journalist dürfe sich nie mit einer Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten.

Der NDR kann wegen der Breite seines Korrespondentennetzes und der Stärke seines Recherchepools (gemeinsam mit Partnern) zu Recht als Leitmedium in Norddeutschland angesehen werden, er schlägt die unter Auflagenverlusten krächzenden Tageszeitungen in dieser Rolle um Längen.

Hätte Reschke sich handwerklich korrekt mit der Kritik an ihrem Gendern auseinandergesetzt, dann hätte sie die stärksten Argumente der stärksten Kritiker – und das sind häufig Frauen – erwähnt. So aber erscheint ihre Darstellung nur billig. Nun kann man einwenden, dass ARD und ZDF Gott sei Dank nicht geprägt werden von Personen wie Reschke. Man kann sogar anerkennen, dass Reschke selbst zahlreiche Sendungen begleitet in einer journalistisch völlig korrekten Form. Und in der Tat könnten ARD und ZDF eine beeindruckende Selbstdarstellung liefern: Die „Tagesschau“ und das „Heute-Journal“ sind (trotz des nervigen Genderns von Petra Gerster) immer noch die seriösesten Nachrichtenformate, sie sind um Längen besser als ihre private Konkurrenz von RTL und Sat 1. Der Deutschlandfunk ist ein Qualitätssender. Der NDR kann wegen der Breite seines Korrespondentennetzes und der Stärke seines Recherchepools (gemeinsam mit Partnern) zu Recht als Leitmedium in Norddeutschland angesehen werden, er schlägt die unter Auflagenverlusten krächzenden Tageszeitungen in dieser Rolle um Längen.

Aber an sensiblen Stellen, und Politikmagazine wie „Panorama“, „Report“, „Monitor“ und einst „ZDF-Magazin“ sind seit Jahrzehnten solche gewesen oder sind es immer noch, bricht eben immer wieder der neue Stil durch, der die Gesinnung ganz bewusst über die Recherche stellt. Das ist, fürwahr, nicht allein ein Problem der öffentlich-rechtlichen. Es spricht für die Sinnkrise des Journalismus an sich und zeigt nur, wie verunsichert die Branche ist. Aber umso mehr wären jetzt ARD und ZDF gefordert, dort gegen zu halten und deutlicher die Leitgedanken von Rudolf Augstein und Hanns-Joachim Friedrichs in den Mittelpunkt zu rücken. Von großen und starken Medien, als die die öffentlich-rechtlichen immer noch gelten, muss man in einer Zeit der Orientierungslosigkeit eine solche Aufgabe erwarten dürfen. Aber leider ist die entsprechende Ethik höchstens noch bei einem Teil der Akteure in der Redaktion vorhanden.

Übrigens geht es nicht um Ausgewogenheit. Die besten Geschichten im „ZDF-Magazin“ und auch bei „Panorama“ waren in den achtziger Jahren auch nicht ausgewogen – aber sie waren häufig trotzdem gut recherchiert, von großer Relevanz und sauber auf ihren Wahrheitsgehalt abgeklopft. Heute kann man da schon mal öfter Zweifel haben.

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