Deutschland steht eine neue Mediendebatte ins Haus: Der Satiriker Jan Böhmermann hat für das Zweite Deutsche Fernsehen die Praktiken der Klatschpresse entlarvt – und mit einem gefälschten Magazin, das er 500.000-mal drucken und im Handel verkaufen ließ, für großes Aufsehen gesorgt. Durfte er das tun? Ist seine Aktion berechtigt gewesen? Die Rundblick-Redaktion streitet darüber in einem Pro und Contra.

PRO: Jan Böhmermanns Satire ist eine beitragsfinanzierte Attacke auf die Verlage, die unter der Dominanz der Öffentlich-Rechtlichen zu leiden haben. Geht es aber um boulevardesken Unsinn, hätte der ZDF-Quatschmacher im eigenen öffentlich-rechtlichen Umfeld eigentlich genügend zu kritisieren, meint Martin Brüning.

„Meine Chefin wollte mich töten – Tru Doku“. „Das Rätsel, warum wir weinen“. „Warum baden Deutsche so gerne nackt?“ Das sind keine Titel aus niveaulosen Klatschzeitschriften der vergangenen Tage, sondern Themen des öffentlich-rechtlichen Jugendangebots „funk“. Das hat sich der Satiriker Jan Böhmermann als Ziel seiner Attacke allerdings nicht ausgesucht, sondern private Verlage, die ihren Quatsch nicht durch Zwangsbeiträge finanziert bekommen, sondern an den Kiosken des Landes ihr Geld am Markt verdienen müssen.

Nun muss man über die Themen, die in diesen Zeitschriften behandelt werden und die Böhmermann aufgegriffen hat, nicht lange streiten. Die Menschen geben ihr Geld immer wieder für Unsinn aus, und das reicht von kruden Geschichten aus den Königshäusern dieser Welt bis zu schwarz-gefärbten Tiefkühlpizzen von halb-prominenten Youtubern. Mit Satire über überflüssige und halb-seriöse Produkte könnte man tägliche Satiresendungen ohne Ende füllen.

Noch problematischer ist aber, dass die Grenzen von Unseriosität und Unsinn in zahlreichen Medien auch abseits der Yellow Press fließend geworden sind. Im Kampf um Klicks werden in den sozialen Medien Überschriften inhaltlich gebogen, bis sie kaum noch zum Text passen.

Genau deswegen ist es so auffällig, welches Ziel sich Böhmermann ausgesucht hat, und das ist gleich in mehrfacher Hinsicht problematisch. Nicht nur, weil der ZDF-Moderator natürlich indirekt auch die Käufer solcher Zeitschriften attackiert. Man kann sich die Redaktionskonferenz im Vorfeld der Sendung gut vorstellen, in der all die Töchter und Söhne aus gutem Hause mit gesellschaftswissenschaftlich-akademischem Hintergrund und homogenem Weltbild sich der gemeinsamen Ablehnung bestimmter Medien einig wissen können. Böhmermanns Mitarbeiter bekommen solche Zeitschriften höchstens einmal beim Friseur oder beim Zahnarzt in die Hand, wenn sie ihre „Le monde diplomatique“ oder die „Titanic“ zuhause vergessen haben.

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Noch problematischer ist aber, dass die Grenzen von Unseriosität und Unsinn in zahlreichen Medien auch abseits der Yellow Press fließend geworden sind. Im Kampf um Klicks werden in den sozialen Medien Überschriften inhaltlich gebogen, bis sie kaum noch zum Text passen. Hinzu kommen die berühmtem Listen (20 Dinge, an denen Du erkennst, dass Du Pro & Contra-Leser bist). Das betrifft zahlreiche Medien, auch solche, die man damit nicht zwingend in Verbindung bringen würde. Und immer wieder sind es die Öffentlich-Rechtlichen, die sich fragen lassen müssen, ob dafür wirklich Beitragsgelder die richtige Finanzierungsquelle sind. Ein Blick auf die aktuellen Instagram-Profile macht die hochseriöse Arbeit der ARD-Sender in bunten Bildchen deutlich: „Wie meine Katze Entscheidungen trifft“: HR3, „Mein Duschkopf hat genau zwei Stufen: 1. Sabbernde Giraffe, 2. Großdemo auflösen“: NDR 2, „Was Deine Bettseite über Dich aussagt“: 1Live vom WDR.

Abseits der Debatte um ein paar Cent mehr oder weniger Rundfunkbeitrag hat die Medienkrise dazu geführt, dass die zumindest stabil finanzierten Öffentlich-Rechtlichen viel mächtiger geworden sind und inzwischen schalten und walten können, wie sie wollen. Dabei können sie sogar Beiträge in die Hand nehmen, um sich am Kiosk über die private Konkurrenz lustig zu machen.

Es gäbe also genügend vor der eigenen Tür zu kehren, Böhmermann hat sich aber die Verlage ausgesucht, um diese mit einem ausgerechnet aus Beiträgen finanzierten Print-Produkt zu attackieren. Und das hat mehr als ein Geschmäckle. Es zeigt, dass das ZDF an dieser Stelle über keinerlei Fingerspitzengefühl verfügt und über den Konflikt zwischen Öffentlich-Rechtlichen und Verlagen selbstgefällig hinweggeht. Während viele immer noch die privaten Fernseh- und Radiosender als Hauptkonkurrenten der Öffentlich-Rechtlichen sehen, stecken die Verlage schon seit Jahren in einem Überlebenskampf, der auch mit der überbordenden Berichterstattung von ARD und ZDF zu tun hat. Während sich Privatsender schon seit längerem mit der Situation arrangiert und sich weitgehend in ihre Humor-, Musik- und seichteste Unterhaltung-Nischen zurückgezogen haben, trifft die Verlage vor allem die die ARD-Berichterstattung im Internet mit voller Wucht. Wer abonniert noch eine Tageszeitung, wenn es die NDR-Berichterstattung gefühlt gratis im Netz gibt? Die ausufernde Präsenz der regionalen ARD-Fernseh- und Radiosender in sozialen Medien, auf Webseiten oder in Apps ist ein Totengräber für privatfinanzierten Journalismus.

Abseits der Debatte um ein paar Cent mehr oder weniger Rundfunkbeitrag hat die Medienkrise dazu geführt, dass die zumindest stabil finanzierten Öffentlich-Rechtlichen viel mächtiger geworden sind und inzwischen schalten und walten können, wie sie wollen. Dabei können sie sogar Beiträge in die Hand nehmen, um sich am Kiosk über die private Konkurrenz lustig zu machen. Im Zweifel ist es dann Satire, und Satire darf bekanntlich alles. Zugleich gilt aber: Satire muss man sich leisten können. Finanziell sind ARD und ZDF dazu nach wie vor in der Lage, während immer mehr Verlage aufs Geld schauen müssen. Dabei müssen sie sich nicht nur auch noch von Böhmermann verhöhnen lassen, sondern dürfen sich auch noch in Ruhe anschauen, wie ARD-Sender in den Quatsch-Boulevard abgleiten. „Kuscheln in der Löffelchenstellung“ – mehr dazu bei der NDR-Jugendwelle n-joy.

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CONTRA: Es war höchste Zeit, dass die Menschen aufgerüttelt werden und merken, wie wenig glaubwürdig die Darstellungen der Yellow Press sind. Insofern war die Aktion von Böhmermann ein überfälliger Weckruf an alle Medienkonsumenten, meint Klaus Wallbaum.

Das wirklich Böse und Verhängnisvolle an dem Begriff „Lügenpresse“, den Kritiker der freien Gesellschaftsordnung gern den Journalisten entgegenschleudern, ist die Verallgemeinerung. Ja, wir haben die Pressefreiheit in unserem Land, sie ist ein hohes Gut. Ja, diese Freiheit beruht auf Artikel 5 unseres Grundgesetzes und auf der Meinungsfreiheit, die jedem Menschen zusteht. Aber: Nein, daraus folgt nicht, dass alles, was an journalistischer Darstellung zum Kauf oder kostenlosen Konsum angeboten wird, auch nach den Grundsätzen von Wahrhaftigkeit, Gründlichkeit und dem Versuch einer objektiven Urteilsfindung erstellt worden ist. Wenn es um die Verteidigung der Pressefreiheit geht, verteidigen immer auch die seriösen Medien die weniger seriösen. Dass beide am Markt agieren, muss eine freie Gesellschaft aushalten.

Vielleicht ist gerade das Böhmermanns Verdienst: Dass die gezielte und mit Geschäftsmodellen verknüpfte Verbreitung von Un- und Halbwahrheiten eben nicht auf neue Medien, Corona-Leugner oder aktuelle Entwicklungstendenzen beschränkt ist, sondern dass sie längst zum Alltag der seit Jahrzehnten in Deutschland etablierten Medien gehört.

Jan Böhmermann hat mit seiner Aktion auf ein Problem aufmerksam gemacht, das von vielen seriösen Medien bisher oft achselzuckend betrachtet wurde. Die „gelben Blätter“ übertreiben und verbreiten Unsinn? Na und? Wer liest die schon? Außerdem ist die übliche Praxis dieser Yellow Presse schon seit Jahrzehnten so wie heute – das galt schon, bevor die Blase von Verschwörungstheorien und Falschdarstellungen im Internet, in den sozialen Medien, auf dubiosen Blogs oder in bestimmten Chat-Gruppen entstanden ist.

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Vielleicht ist gerade das Böhmermanns Verdienst: Dass die gezielte und mit Geschäftsmodellen verknüpfte Verbreitung von Un- und Halbwahrheiten eben nicht auf neue Medien, Corona-Leugner oder aktuelle Entwicklungstendenzen beschränkt ist, sondern dass sie längst zum Alltag der seit Jahrzehnten in Deutschland etablierten Medien gehört. Oder noch weiter zugespitzt: Dass dieser Trend auch vor großen, angesehenen Verlagen nicht Halt macht.

Satire darf viel, Satire sollte nicht alles dürfen. Und auf noch einem anderen Blatt steht, dass sich das ZDF mit Böhmermanns Zutun auf eine höhere Ebene hebt und auf andere Mitbewerber, die nicht gebührenfinanziert sind, herabschaut.

Das ist die eine Seite dieser Geschichte, die verdienstvolle Seite des Satirikers Böhmermann. Seine Aktion macht – hoffentlich – einem größeren Publikum bewusst, dass Presse nicht gleich Presse ist. Die einen Blätter werden gekauft, um sich zu unterhalten, die anderen, damit man eine erwartete Meinung bestätigt bekommt, die dritten, weil es um möglichst objektive Information geht. Das zu unterscheiden, wird in einer immer stärker aufgefächerten Medienlandschaft immer wichtiger.

Aber es gibt nun auch noch eine andere Seite, die ist weniger angenehm für den Enthüller und Provokateur vom ZDF. Überschreitet Böhmermann mit seiner Zuspitzung selbst journalistische Grenzen, erhebt er sich zur moralischen Instanz? Dem Youtuber Rezo, der vor zwei Jahren mit seinem Anspruch, „die CDU zerstören“ zu wollen, bombastische Wirkung erzielte, konnte eine solche Grundeinstellung vorgehalten werden. Manchmal scheint auch Böhmermann davon nicht weit entfernt zu sein, und einige seiner Aktivitäten, etwa das „Schmähgedicht“ über den türkischen Präsidenten, zeugte nicht nur von Mut zur Auseinandersetzung, sondern zugleich auch von schlechtem Geschmack und einer fragwürdigen Selbstanmaßung. Satire darf viel, Satire sollte nicht alles dürfen. Und auf noch einem anderen Blatt steht, dass sich das ZDF mit Böhmermanns Zutun auf eine höhere Ebene hebt und auf andere Mitbewerber, die nicht gebührenfinanziert sind, herabschaut. Hier gilt der alte Satz von Gustav Heinemann: Wer mit dem Zeigefinger auf andere deutet, muss sich klar sein, dass er gleichzeitig immer mit vier anderen Fingern auf sich selbst zeigt.

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