Die IG Metall hat es vorgeschlagen, die Debatte kommt kräftig in Fahrt: Mit einer Arbeitszeitverkürzung wäre es möglich, Massenentlassungen in Branchen zu vermeiden, die vor einer größeren Umstrukturierung stehen – in den schwierigen Zeiten nach der Corona-Krise allemal. Ist das ein angemessener Weg, der jetzt eingeschlagen werden soll? Die Rundblick-Redaktion streitet darüber in einem Pro und Contra.

Pro & Contra: Klaus Wallbaum (li.) & Martin Brüning

PRO: Eine Gewerkschaftskampagne mit dem Titel „Freitags gehört Vati mir“? Warum eigentlich nicht? Für die Vier-Tage-Woche gibt es auch abseits der Corona-Krise gute Argumente, meint Martin Brüning.

Nur vier Tage in der Woche arbeiten? Das geht natürlich nicht, war sich Christian Dürr, FDP-Fraktionsvize im Bundestag, in der vergangenen Woche sicher. Und dann kamen sie wieder, die gelernten Vokabeln, die jeder Wirtschaftswissenschaftler auch aufsagen könnte, wenn man ihn mitten in der Nacht aus den schönsten Träumen risse: der Wohlstand müsse gesichert werden, es braucht mehr Wachstum und mehr Arbeit. Eine Vier-Tage-Woche führte zu höheren Schulden und niedrigeren Löhnen. Nun kann man auf der einen Seite kritisch fragen, ob denn die Löhne mit dem Mehr an Arbeit in den vergangenen Jahren an den richtigen Stellen überhaupt mitgehalten haben, viel wichtiger ist aber, ob das kleine Einmaleins der Wirtschaftswissenschaft überhaupt noch als Maß herhalten kann, oder ob eine gewisse argumentative Denkfaulheit sich inzwischen lediglich darauf beschränkt, dass nicht sein kann, was nicht sein darf.


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Abseits der Diskussion, ob eine Vier-Tage-Woche speziell in der Corona-Krise das richtige Mittel sein könnte, um Arbeitsplätze in so manchem Industriebereich zu erhalten, kommt man um die Frage nicht herum, ob unser altes Denken über die klassischen Arbeitszeiten nicht einmal auf den Prüfstand gehört. Seit Jahrzehnten schleppen wir unsere bundesrepublikanische 40-Stunden-Woche mit uns herum und halten sie nach wie vor für das Maß der Dinge. Der Acht-Stunden-Tag wurde sogar schon 1918 eingeführt. 102 Jahre später kann man durchaus einmal fragen, ob das eigentlich noch zeitgemäß ist, zumal der Philosoph Bertrand Russel bereits in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts mutmaßte, dass die Arbeitszeit in der Industrie durch den technologischen Fortschritt „schon bald“ auf 20 Wochenstunden gesenkt werden könne. Heute ist der technologische Fortschritt allerorten, und das in einer Radikalität, wie man ihn sich vor ein paar Jahrzehnten kaum hätte vorstellen können. Die Debatten um unsere Arbeitszeit hinken aber weit hinterher und sind irgendwo in der Vergangenheit steckengeblieben, die Idee einer kürzeren Arbeitszeit wird gerne schnell im Bereich der „römischen Dekadenz“ verortet.

Immer lauter und auch zu Recht wird zudem die Frage gestellt, ob die ökonomische Grundeinstellung, dass Wohlstand in Zukunft durch noch mehr Wachstum und noch mehr Arbeit gesichert werden muss, eigentlich immer noch zutreffend ist.

Für eine flexiblere Arbeitszeit, vielleicht auch eine Vier-Tage-Woche, spricht, dass sie nicht automatisch mit schlechteren Arbeitsergebnissen verbunden ist. Im Gegenteil: Unternehmen, die zum Beispiel mit Sechs-Stunden-Tagen experimentieren, stellen fest, dass die Arbeitnehmer zufriedener, gesünder und leistungsfähiger sind. Was in den 40-Stunden-Wochen bisher Zeit gefressen hat, von den Zigarettenpausen bis hin zu überflüssigen und langwierigen Konferenzen, fällt teilweise weg, der Fokus richtet sich gezielt auf die Arbeit. Hinsichtlich der Produktivität wurden immer wieder keine negativen Auswirkungen festgestellt, wobei einzugestehen ist, dass die Ergebnisse nicht auf jede Branche zu übertragen sind. Personalmanager, die sich heute die Arbeitsweise der Generation Y anschauen, ahnen schon lange, dass die althergebrachten Ansichten über unsere Arbeitszeit künftig nicht mehr akzeptiert werden. Vorbei sind die Zeiten, in denen derjenige als fleißigster Mitarbeiter galt, der als erster ins Büro kam und als letzter ging. Jahrzehntelang wurde Effizienz gepredigt, die junge Generation möchte nun auch effizient arbeiten, ihre Zeit nicht mit überflüssiger Arbeit vertändeln, und sie sieht das Büro nicht mehr als zweites Zuhause an. Zudem machen andere Länder vor, dass eine kürzere Arbeitszeit nicht in den ökonomischen Abgrund führen muss. Die Niederländer, Dänen oder Norwegen arbeiten kürzer, nagen deshalb aber nicht am sprichwörtlichen Hungertuch.

Die Corona-Krise hat, es mag der Wirtschaft gefallen oder nicht, dazu geführt, dass sich mehr Menschen die Sinn-Frage stellen.

Immer lauter und auch zu Recht wird zudem die Frage gestellt, ob die ökonomische Grundeinstellung, dass Wohlstand in Zukunft durch noch mehr Wachstum und noch mehr Arbeit gesichert werden muss, eigentlich immer noch zutreffend ist. Wohin wollen wir wachsen? Macht uns das dritte Auto vor der Tür, das Zweit-Smartphone oder der Kleiderschrank, der aus allen Nähten platzt, wirklich glücklicher, oder haben wir den Punkt der Übersättigung nicht längst erreicht? Immer mehr Menschen werden sich die Frage stellen, wofür sie an den fünf Tagen in der Woche eigentlich arbeiten und ob das Produkt, das durch ihrer Hände Arbeit entsteht, auch wirklich gebraucht wird. Die „Rückkehr zum menschlichen Maß“, das wachstumskritische Werk von Ernst Friedrich Schumacher, könnte fast 50 Jahre nach seinem Erscheinen wieder in Mode kommen. Die Corona-Krise hat, es mag der Wirtschaft gefallen oder nicht, dazu geführt, dass sich mehr Menschen die Sinn-Frage stellen. Das könnte sich auch auf die Frage der Arbeitszeit auswirken, deren Gesetzmäßigkeiten nicht in Stein gemeißelt sind. Eine Gewerkschaftskampagne mit dem Titel „Freitags gehört Vati mir“? Warum eigentlich nicht?

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CONTRA: Dass die Vier-Tage-Woche derzeit als Thema in die Debatte kommt, ist durchaus naheliegend. Aber es wäre ein Fehler, sie jetzt überstürzt einzuführen und den Arbeitgebern einen vollen Lohnausgleich aufzubürden. Nötig wäre vielmehr zuvor ein totaler Umbau der Volkswirtschaft – und dafür sind andere Schritte zunächst vordringlich, meint Klaus Wallbaum.

Noch vor einem guten halben Jahr hätte niemand ernsthaft eine Debatte über die Vier-Tage-Woche starten können. Statt über Arbeitslosigkeit wurde in Deutschland über den Fachkräftemangel gesprochen, und die Auslastung der Industrie – von Teilsektoren abgesehen – war gut. Der Export brummte, wenn auch gebremst durch externe Faktoren wie den Brexit, die protektionistischen Bestrebungen der USA oder den internationalen Handelsstreit mit China. Natürlich gab es auch 2019 schon die Vorboten einer Politik des konsequenten Klimawandels mit den düsteren Wolken am Horizont, die auf einen grundsätzlichen Richtungswechsel deuteten: Weniger Kohlendioxidausstoß heißt weniger Verbrennungsmotoren und auch weniger Massenproduktion in der Landwirtschaft. Aber wer redet gern über radikale Umstellungen der Lebensweise, wenn die Wirtschaft erkennbar großartig läuft? So war es noch 2019.

Die Corona-Krise hat die Lage verändert. Manche sagen gar, wohl zu Recht, dass vielen Menschen jetzt erst die Fragwürdigkeit der bisherigen Lebensweise bewusst wird – einer Wirtschaft, die auf immer mehr Konsum und immer höhere Umdrehungen setzt, statt Bescheidenheit als Ziel anzupreisen und in mehrfacher Hinsicht Abstand zu halten. Nirgendwo wird das klarer als in der Reisebranche. Corona-Krise plus Folgen des Klimawandels bedeuten nun spürbar für unsere Gesellschaft, dass Wachstumsziele aufgegeben werden müssen und ganze Wirtschaftszweige, denen es bisher gut ging, von harten Umwälzungen betroffen sein werden. Das bedeutet offenbar Entlassungen und verpflichtende Umschulungen für viele Menschen, die wohl eher früher als später eine schwierige Überbrückungszeit schultern müssen. In vielen Sektoren dürften die Arbeitnehmer weniger zu tun haben als bisher, weil die alten Produkte keinen Absatz mehr finden und die neuen noch nicht am Markt gefragt sind. Der Gedanke ist bestechend: Statt die Belegschaft auszudünnen, bleiben alle an Bord – aber jeder arbeitet weniger, damit verteilt sich die Arbeit besser.

Eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich ist für die Unternehmen unbezahlbar, schwächt ihre Wettbewerbsfähigkeit oder führt in die Verschuldung.

Das stimmt zwar, geht aber nur auf, wenn die Betroffenen auch in Lohneinbußen einwilligen. Diese Idee klingt zwar wie ein großer solidarischer, selbstloser Beitrag, dürfte aber für jeden einzelnen die Attraktivität des Modells schwächen und damit die Begeisterung dafür enorm dämpfen. Eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich andererseits ist für die Unternehmen unbezahlbar, schwächt ihre Wettbewerbsfähigkeit oder führt in die Verschuldung. Das gilt auch, wenn der Staat solche Modelle mit Zuschüssen abfedern sollte, also als Bürge oder gar als Unternehmer auftritt. Das ist der Grund, warum der Start in eine Vier-Tage-Woche (alternativ einer Absenkung der täglichen Arbeitszeit) nicht am Beginn eines größeren Reformprozesses stehen sollte. Wichtig ist jedoch auch, dass die Debatte damit nicht schon für erledigt erklärt werden darf. Auch wenn die Einführung einer Vier-Tage-Woche derzeit nicht ratsam erscheint, ist der eigentliche Antrieb für diesen Vorschlag, nämlich ein Umbau der Volkswirtschaft bei gleichzeitigem weitgehenden Schutz bestehender Beschäftigungsverhältnisse, weiterhin berechtigt. Die Frage ist nur: Wie soll das geschehen?

In Branchen, die auf mittlere oder längere Sicht keine Zukunft mehr haben, wäre der Erhalt der Arbeitsplätze höchstens zu rechtfertigen, wenn man möglichst viele Mitarbeiter für neue Tätigkeiten schulen und qualifizieren will. Dazu kann es durchaus zweckmäßiger sein, sie aus bisherigen Unternehmen auszugliedern in neue Sektoren, die eine effektive Vorbereitung auf neue, kommende Aufgaben sicherstellen können. Auch für die Zukunft bleibt es wohl zunächst noch beim Grundprinzip, dass nur eine florierende, wachsende Wirtschaft die stabile Basis an Steuereinnahmen für den Staat schafft, die auch staatliche Leistungen in größerem Umfang sicherstellen kann. Dafür kommt es vorrangig darauf an, die Bereiche neu zu definieren, die künftig zu den Wachstumssektoren zählen können. Das ist etwa, wie die Corona-Pandemie deutlich gezeigt hat, der Bereich von Pflege und Gesundheitswirtschaft. Auch die Landschaftspflege und eine Nahrungsmittelproduktion, die auf Klasse statt Masse setzt, gehören sicherlich dazu.

Möglich ist aber auch folgende Entwicklung: Die Umstellung der Volkswirtschaft auf eine nachhaltigere, ökologische, klimagerechte und gesündere Lebensweise gelingt – aber das geschieht zu dem Preis, dass das Wirtschaftswachstum insgesamt leidet, weil auch der Export abnimmt und der Konsum im Sinne einer neuen Bescheidenheit nicht mehr im Vordergrund steht. In einem solchen Fall müssten sich die Menschen auf ein „weniger statt mehr“ einstellen – übrigens auch mit der Konsequenz, dass der Staat seine Leistungen herunterfahren muss, weil seine Einnahmen schrumpfen werden. In wirtschaftsliberalen Kreisen gilt das wohl als Horrorszenario, auch bei Anhängern eines fürsorglichen Sozialstaates dürfte das Ängste auslösen. Eine Folge einer solchen Entwicklung könnte dann auch die Arbeitszeitverkürzung auf eine Vier- oder Drei-Tage-Woche sein. Zwei Dinge sind hier nur wichtig. Erstens wird das für niemanden ohne echte Einbußen zu haben sein. Der Verzicht auf Wachstum dürfte mit weniger Wohlstand für alle einhergehen. Zweitens sollte ein solcher Schritt gründlich diskutiert und abgewogen werden – er darf deshalb nicht am Beginn eines Reformprozesses stehen.

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