Wenn die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP auf Bundesebene zustande kommen sollte, steht eine zentrale politische Forderung schon fest: Es wird dann zur Legalisierung von Cannabis kommen, entweder großzügig oder schrittweise. Für viele ist das ein Beleg für eine moderne, den jungen Leuten zugewandte Politik. Aber ist das wirklich so? Die Rundblick-Redaktion streitet darüber in einem Pro und Contra.

Cannabis Plantage
Eine Cannabis-Freigabe würde wie eine Aufforderung klingen: Berauscht Euch, bitte!

PRO: Die Kontrolle ist das Stichwort – und sie sollte dann einfacher und effektiver gelingen, wenn Cannabis nicht mehr in die Illegalität abgedrängt wird. Deshalb ist eine Reform geboten, meint Audrey-Lynn Struck.

Ganz ehrlich: Wer es darauf anlegt, kann auch schon heute Marihuana konsumieren. Bereits in der neunten Klasse wurde mir von einem damaligen Mitschüler ein Zug an einem Joint angeboten – den ich natürlich dankend ablehnte. Wann immer man im Sommer durch bestimmte Ecken in Hamburg oder Hannover geht – vorzugsweise Parks – liegt ein Hauch von Gras in der Luft. Auf welcher Studentenparty ich auch bin, entweder hat jemand Marihuana dabei oder es kennt jemand einen Dealer, der nur einen Anruf weit entfernt ist. So ist es vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis mein 13-jähriger Bruder auf so einer Party ist und den ersten Joint konsumiert. Ich hoffe nur, dass es dann sauberes Gras ist und nicht mit synthetischen Zusatzstoffen gestreckt wurde. Denn auf dem Schwarzmarkt gibt es ja keine Qualitätskontrolle. 

Das Stichwort ist Kontrolle. Kontrolle über die Lieferwege, Kontrolle über den Verkauf, Kontrolle über die Inhaltsstoffe. Es muss geprüft und verifiziert sein, dass das Marihuana nicht gestreckt ist. In Wien ist das bereits der Fall. Dort kontrolliert das Projekt „Checkit!“ anonym und kostenlos Drogen auf ihre Inhaltsstoffe und Dosierung. Mit der Kontrolle einher geht eine gründliche Überprüfung, ab welchem Einstiegsalter der Konsum generell erlaubt sein sollte, und eine gute Aufklärungsarbeit. 

Der richtige Gebrauch der Droge ist entscheidend. So wie junge Erwachsene bisher lernen, mit dem Alkohol umzugehen und ihre Grenzen auszuloten, so muss das auch im Umgang mit Marihuana geschehen. „Gesund“ wird Cannabis natürlich nie sein. Doch im Gegensatz zum Alkoholkonsum ist das Kiffen deutlich ungefährlicher. Es macht die Konsumenten weder aggressiv oder unberechenbar, noch landen danach viele mit einer Vergiftung im Krankenhaus. Ganz anders sieht es da beim gesellschaftlich akzeptierten Alkoholkonsum aus. Analysen gehen in dem Zusammenhang von jährlich rund 74.000 Todesfällen aus, heißt es beim Bundesgesundheitsministerium. Und trotzdem wird Alkohol nicht verboten, es gilt die Mündigkeit des (erwachsenen) Bürgers.

„Der Staat selbst profitiert gleich in vielerlei Hinsicht durch die Schaffung von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen und mehr Steuereinnahmen.“

Audrey-Lynn Struck, Redakteurin

Mit der Entkriminalisierung der Droge gelingt ein Schlag gegen die organisierte Kriminalität. Die illegalen Absatzmärkte bekommen Konkurrenz von legalen Shops. Auch in Sachen Anbau könnte man den mafiösen Strukturen im In- und Ausland einen großen Dämpfer verpassen, wenn in Deutschland legal und vom Staat überwacht und kontrolliert Hanf angebaut werden darf. Marihuana-Transporte aus Ländern wie Marokko, Niederlande oder Spanien wären somit überflüssig. Die Legalisierung führt auch zu einer Entlastung der Polizei und des Justizsystems, die so mehr Kapazitäten für andere Bereiche frei hätten. Allein 2020 gab es deutschlandweit über 54.000 Rauschgift-Handelsdelikte, heißt es beim Bundeskriminalamt. Darauf entfällt der Großteil der Delikte (fast 32.000) auf den Handel mit Cannabis. 

Der Staat selbst profitiert gleich in vielerlei Hinsicht durch die Schaffung von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen und mehr Steuereinnahmen. Überall in Deutschland könnten Cannabis-Shops und Cannabis-Plantagen entstehen, deren Steuern dem Staat Einnahmen in Milliardenhöhe in die Kassen spülten, heißt es in einer Studie im Auftrag des Deutschen Hanfverbands. Die Legalisierung könnte mit einer Cannabis-Steuer bereits 650 Millionen Euro einbringen, zusätzlich würde man über eine Milliarde Euro an Polizeikosten einsparen. Das ist Geld, das wir zur Bewältigung des Klimawandels und der zunehmenden Rentenproblematik gut gebrauchen könnten. Marihuana rauchen dürfen und später von der Rente leben können – das dürfte nicht nur meinen Bruder freuen, wenn er erwachsen ist.


Contra: Politik sollte sich davor hüten, unter der Überschrift „mehr Freiheit“ und „mehr Modernität“ auch vermeintlich fortschrittliche Dinge zu entscheiden, die in Wirklichkeit nur einen Hang zum Leichtsinn belegen, meint Klaus Wallbaum.

In einer politischen Debatte sollte man immer dann besonders aufmerksam sein, wenn irgendeine Forderung mit der Begleitmusik einhergeht, sie sei besonders „modern“ oder „angesagt“. Wenn ihre Protagonisten als fortschrittlich gelten oder die Kritiker als „Spießer“ oder „rückständig“, dann ist große Vorsicht geboten. Meistens ist dann der symbolische Gehalt dieser Forderung größer als der sachliche – es geht mehr um das positive Image derer, die als Rufer auftreten, als um die Bewegung bei den wirklichen Inhalten.

Mit dem Schlachtruf „Legalize it“, angelehnt an einen Musiktitel von 1976, wird nach vielen, vielen Jahren jetzt ein Thema auf die aktuelle Tagesordnung gehoben, das die Kriterien dieser Symbolpolitik voll erfüllt. Wenn es nämlich tatsächlich so wäre, dass die Legalisierung von Cannabis einen großen Erfolg in der Bekämpfung der Drogenkartelle und internationalen Dealer-Ringe in die Wege leiten könnte, dann wäre das längst geschehen. Dann würden auch die Fachleute bei der Polizei dringend dazu raten, dann gäbe es inzwischen einen starken politischen Druck zu einer Reform. Aber so ist es eben nicht. Die Frage, ob die Legalisierung den unendlichen Kreislauf von Illegalität, Abhängigkeit und kriminellen Karrieren wirksam beenden kann, ist unter Fachleuten nämlich umstritten. Es gibt viele, die das so sehen – und viele andere, die vehement widersprechen.

Der Verdacht drängt sich deshalb auf, dass die Funktion der Cannabis-Legalisierung in den Koalitionsgesprächen derzeit den Ausschlag gibt. SPD, Grüne und FDP brauchen ein leicht verständliches, einfach zu kommunizierendes Projekt, das Aufmerksamkeit auf sich zieht und jedem, der sich damit beschäftigt, sofort eine wichtige Botschaft vermittelt: Seht her, die neuen machen es anders, sind besser, sind „weniger spießig“. Das ist relativ einfach zu haben, da SPD, Grüne und FDP in der Sache nah beieinander sind – und das Vorhaben weder mit hohen Kosten noch mit heftigen Widerständen verknüpft ist. Dazu passt es noch hervorragend in die Zeit. Nach der Corona-Phase, die für viele Jugendliche mit harten Einschränkungen verknüpft ist, signalisiert die Cannabis-Freigabe eine neue Lockerheit und Offenheit, auch Jugendlichkeit, die man auch „Aufbruch“ nennen kann. Da fällt es leicht, sich von den „alten weißen Männern von der CDU“ abzugrenzen, die das immer schon anders gesehen haben und an denen bisher kein Weg vorbeiführte. Bis jetzt jedenfalls, aber jetzt wird auch alles anders.

„Wer die Legalisierung von Cannabis als Erfolg eines Freiheitskampfes rhetorisch überhöht, verharmlost die Gefahr von Drogen.“

Klaus Wallbaum, Rundblick-Chefredakteur

Wird auch alles besser? Wer die Legalisierung von Cannabis als Erfolg eines Freiheitskampfes rhetorisch überhöht, verharmlost die Gefahr von Drogen. Übermäßiger Cannabis-Konsum vernebelt nicht nur die Sinne, sondern kann auch Wachstums- und Entwicklungsstörungen verursachen. Wer Hasch raucht, ist anfälliger für härtere Drogen. Überhaupt: Dass so viele Menschen Rauschmittel brauchen, um im Leben zu bestehen, ist ja nur bedingt ein Ausdruck von freier Persönlichkeitsentfaltung. Es zeigt auch eine Fehlentwicklung an. Gerade junge Menschen sollten aufhören, so viel zu rauchen, Hasch einzunehmen, zu saufen oder Tabletten zu schlucken. Was wir eigentlich brauchen, ist eine intensive Debatte darüber, ob wir nicht viel zu ungesund leben – und ob die Verlockungen von Suchtmitteln nicht viel zu groß sind. Sollte es nicht zum guten Ton gehören, auf Rauschmittel weitgehend zu verzichten? Das wäre mal ein lohnenswertes Projekt für eine neue Koalition in Deutschland. Aber das wird vermutlich nicht kommen.