Der niedersächsische Landtag tritt zum letzten Mal in der Legislaturperiode zu einem Plenum zusammen. | Foto: Niklas Kleinwächter

Drei Tage noch hat dieser Landtag in dieser Wahlperiode Zeit, dann ist alles zu Ende. Gestern, am Mittwoch, war der Auftakt dieser Schlussrunde. Wie würden die Politiker miteinander umgehen? Schonen sich diejenigen, die vermutlich in wenigen Wochen miteinander Koalitionsgespräche führen müssen oder wollen? Oder zeigen sich die verschiedenen Seiten unabhängig von taktischen Erwägungen gegenseitig die Zähne, da es in Wahlkampfzeiten vor allem um die Profilierung geht und dies in wenigen Wochen schon vergangen sein dürfte?

Ulf Thiele | Screenshot: Plenar-TV

Wer die Abläufe verfolgt, gewinnt erste Eindrücke und kann sich seinen Reim darauf machen. Da sind zunächst die Vertreter von CDU und Grünen. Die CDU hatte am Mittwoch, in der 142. Sitzung der 18. Legislaturperiode, die Chance für eine von ihr vorgeschlagene aktuelle Debatte. Die Christdemokraten wählten die Energie- und Gaskrise. Wer nun erwartet hatte, dass CDU und Grüne in dieser Frage vorsichtig und betont rücksichtsvoll miteinander umgehen, sah sich getäuscht. Zum Auftakt griff CDU-Fraktionsvize Ulf Thiele die Grünen in der Bundesregierung an: „Die Gasumlage muss sofort weg!“ rief er und warf Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) Handlungsunfähigkeit vor.

Julia Hamburg | Screenshot: Plenar-TV

Dann ging die Grünen-Fraktionschefin Julia Hamburg nach vorn und attackierte den CDU-Ministerpräsidentenkandidaten Bernd Althusmann persönlich: Dass die CDU sich im Landtagswahlkampf derzeit gegen die Ampel-Regierung im Bund profiliere, sei schon „demokratiegefährdend“. Die CDU nehme ihre Verantwortung dafür, dass die Gesellschaft nicht gespalten werde, nicht wahr. Dabei fiel auf, dass Hamburg sich in ihrer Rede voll auf den CDU-Spitzenkandidaten konzentrierte und zu Ministerpräsident Stephan Weil von der SPD weitgehend schwieg. Die SPD schien streckenweise an den Rand der Auseinandersetzung gedrängt zu werden. Den CDU-Vorwurf, dass die Ampel-Regierung zu langsam agiere, konterte sie: „Ja, Herr Habeck und sein Ministerium arbeiten Tag und Nacht. Aber es dauert nun einmal seine Zeit.“

Die Antwort auf Hamburg folgte wenig später, als Althusmann nach vorn ging. Er unterstrich den Vorwurf der Tatenlosigkeit. Seit sieben Monaten sei klar, dass gehandelt werden müsse – aber konkrete, in Gesetze gegossene Maßnahmen der Bundesregierung fehlten noch immer. Es gebe nur allgemeine Ankündigungen. Dabei betonte Althusmann immer wieder, dass es die Parteifreunde von Hamburg gewesen seien, die in Berlin nicht die richtigen Entscheidungen getroffen hätten. Kurz danach trat FDP-Spitzenkandidat Stefan Birkner ans Mikrophon, dessen Programmatik, etwa zum Weiterbetrieb von Kernkraftwerken, derzeit gerade eine große Übereinstimmung mit den CDU-Positionen hat.

Stefan Birkner | Screenshot: Plenar-TV

Aber Birkner griff überraschenderweise in seiner Rede, wie es zuvor auch Hamburg tat, den CDU-Spitzenkandidaten an und nicht SPD und Grüne. Althusmann habe eine Wahlkampfrede gehalten, lasse den Willen zu Lösungen durch das Land vermissen und weigere sich, kurzfristig Hilfe zu leisten. Dass der CDU-Landeschef einen Energiepreisdeckel fordere, der einem staatlich garantierten Strom- und Gaspreis für eine bestimmte Höchstmenge gleichkommt, sei unseriös – denn dies würde „ein Milliardenvolumen bedeuten“ und könne, ausgegeben vom Staat, zur weiteren Verschärfung der Inflation beitragen. „Völlig lebensfremd“ sei es auch, wenn der CDU-Spitzenkandidat seine Vorbehalte gegenüber der Verstaatlichung des Stromversorgers Uniper in seiner Rede äußerte – und damit populistisch gewirkt habe.

Merkwürdig ist in den Debatten am Mittwochvormittag, dass die SPD als stärkste Fraktion etwas am Rande steht. Zwar wird das 1-Milliarde-Programm, das Stephan Weil am Montag ankündigte, von CDU, Grünen und FDP heftig kritisiert – von Grünen und FDP deshalb, weil die Große Koalition keine Bereitschaft zu einem Ad-hoc-Programm noch in dieser Wahlperiode zeige. Althusmann griff dann Weils Rede von Montag direkt an, da das Land nicht für Versäumnisse des Bundes aufkommen könne: „Das ist doch nicht mehr als das Eingeständnis, dass es die Ampel in Berlin offensichtlich nicht hinbekommt.“ Als der Wirtschaftsminister kurz danach wieder an der Regierungsbank Platz nahm, plauderte er angeregt mit dem Ministerpräsidenten. Beide schienen guter Dinge zu sein, von einer wahlkampfbedingten Störung spürte man wenig. Das galt sogar für SPD und CDU insgesamt.

Olaf Lies spricht im Landtag | Screenshot: Plenar-TV

Als wenig später CDU-Generalsekretär Sebastian Lechner in einer anderen, von der FDP beantragten Debatte nach vorn trat, rechneten viele mit hochkochenden Emotionen. Tatsächlich attackierte Lechner Grüne und SPD gleichermaßen. Viele Ankündigungen habe die Ampel-Regierung ausgesprochen, unter anderem die Lockerung des Biogas-Deckels, aber geschehen sei bisher eben noch nichts. Dass die SPD viele Positionen der Grünen mittrage, etwa in der Kernkraft-Frage, sei „doch nur dem Umstand geschuldet, dass sie mit den Grünen nach der Wahl zusammen regieren wollen“. Lechner ergänzte dazu: „Am Wahltag werden die Menschen Rot-Grün in Niedersachsen verhindern.“ Aber auch solche Zuspitzungen reizten die Sozialdemokraten nicht zu kräftigen Gegenattacken. Umweltminister Olaf Lies (SPD) rechnete Lechner und der CDU vor, dass die längere Laufzeit der Atomkraftwerke tatsächlich nicht den Effekt haben könne, den die Befürworter in diesen Tagen behaupteten.

Unterm Strich waren in der Atmosphäre dieses Plenartages mehrere Punkte auffällig: Obwohl die Große Koalition nach der Landtagswahl bald enden dürfte, zumindest wenn man die Reden von SPD- und CDU-Politikern ernst nimmt, präsentierte sie sich in dieser Sitzung noch erstaunlich stabil, sowohl in der Sache als auch emotional. Bei der FDP fällt auf, dass sie mittlerweile die schärfste Kritik an Althusmann übt. Birkner, der sich früher öfter an Weil abgearbeitet hat, schonte den Regierungschef diesmal auffällig. Und für die Grünen-Spitzenkandidatin Hamburg, die in ihrer Wahlkampfstrategie bisher Offenheit sowohl für Rot-Grün wie auch für Schwarz-Grün gezeigt hat, gilt das ebenso. Wer als Prognose für den Wahlausgang angeben möchte, dass es entweder Rot-Grün geben wird oder – falls das nicht reichen sollte – eine Ampel-Regierung in Hannover, kann sich durch die Abläufe dieses Plenartages bestärkt fühlen.