Im Juni 1982, vor genau 40 Jahren, tauchte bei der konstituierenden Sitzung des neugewählten Landtags eine neue politische Gruppierung das erste Mal auf – die Grünen. Die CDU unter Ernst Albrecht hatte damals die absolute Mehrheit errungen, die Grünen teilten sich die Oppositionsbänke mit der SPD unter Fraktionschef Karl Ravens und mit der FDP. Was haben die Grünen, die lange Zeit „die Öko-Partei“ genannt wurden, in all den Jahren erreicht? Die formelle Regierungszeit fiel recht kurz aus – es waren nur gut acht Jahre, nämlich zwischen 1990 und 1994, sowie zwischen 2013 und 2017. In gerade mal 20 Prozent der Zeit ihrer parlamentarischen Existenz haben die Grünen „an den Schalthebel der Macht gesessen“, wie man zu sagen pflegt. Aber was sind das schon für „Schalthebel“? Längst hat sich allgemein die Erkenntnis durchgesetzt, dass politische Kräfte auch aus der Opposition heraus wirken können – sofern sie eine Botschaft oder Mission haben, die zu den aktuellen Problemen und Herausforderungen passt.

Foto: Bündnis 90/Die Grünen Niedersachsen (Archiv)

Das ist nun bei den Grünen zweifellos der Fall. Gestartet waren sie als Umweltbewegung, die sich sehr stark als Anti-Atom-Bewegung generierte. Dabei spielte der Protest gegen den Bau des Atomkraftwerks in Grohnde (Kreis Hameln-Pyrmont) ebenso eine Rolle wie später der Widerstand gegen die Planungen zum atomaren Endlager in Gorleben. Das Besondere an dieser Entstehungsgeschichte ist die Verknüpfung zweier Richtungen. Auf der einen Seite standen die tendenziell eher konservativen Naturbewahrer und Wachstumskritiker, als deren wesentliche Figur der dann aus der CDU ausgetretene Bundestagsabgeordnete Herbert Gruhl aus Barsinghausen gelten kann. Auf der anderen waren Systemkritiker von links verortet.

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Viele politisch engagierte Menschen, die in ihrer Studentenzeit über die K-Gruppen aktiv wurden, entdeckten mit der Zeit die Grünen als ihre neue Heimat – und drängten dann etliche Konservative aus der Anfangszeit, auch Gruhl, aus der Organisation heraus. Das Wunder der Grünen ist eigentlich, dass es zwar diese tiefen Gegensätze und Zerstrittenheiten gab, Abspaltungen und neu entstehende Feindschaften zwischen alten Verbündeten, aber die Bewegung damit nicht schwächer wurde. Die Partei hat, auch in Niedersachsen, all das nicht nur überlebt, sie ist mit der Zeit – vor vorübergehenden Rückschlägen abgesehen – stets stärker geworden. Vielleicht, weil sie früh wichtige Themen vertreten hat, die später für immer größere Teile der Gesellschaft bedeutsam wurden.

Welche Themen sind das?

Direkte Demokratie: Die Grünen setzten früh auf „Basis-Demokratie“, wollten sich abheben von Parteien, in denen Honoratioren in Hinterzimmern die wichtigen Entscheidungen vorklären und die Masse der Mitglieder kaum mitbestimmen kann. Dieser Ansatz lebt in Wellen immer mal wieder auf, es gab neue Organisationen wie die Statt-Partei, die Piraten oder auch die AfD, in denen der Leitspruch herrschte, die Basis solle stärker beteiligt werden. Übertreibungen dieser Skepsis gegenüber dem Establishment wie das „Rotationsprinzip“ für Abgeordnete, das eine vermeintlich übermäßig starke Stellung von Parlamentariern verhindern sollte, setzten sich indes selbst bei den Grünen nicht dauerhaft durch.

Umwelt hat Vorrang: In den siebziger und achtziger Jahren standen noch der Schutz der Natur und der Umwelt im Vordergrund. Das Thema wurde immer drängender, alle etablierten Parteien nahmen Schritt für Schritt grüne Positionen auf, am Beispiel Atomkraft ist das am auffälligsten. Inzwischen ist es der Klimaschutz und die Vermeidung von CO2, die größeres Gewicht bekommen. Auch hier sind die Grünen Vorreiter, ihre Positionen sind besonders drastisch. Aber wieder ziehen die anderen Parteien nach.

Gleichberechtigung: Die Grünen waren Vorkämpfer für mehr Gleichberechtigung – mit Blick auf Frauen, die in der Politik unterrepräsentiert sind, aber auch auf benachteiligte Gruppen wie etwa Menschen mit Behinderung. Sie haben früh und konsequent so agiert, und die anderen Parteien folgten ihr später. Was die Frauenquote angeht, begibt sich jetzt, nach Jahrzehnten, auch die CDU in diese Richtung.

Quelle: Foto: Bündnis 90/Die Grünen Niedersachsen (Archiv)

Die Grünen waren auch in Niedersachsen in vielen Punkten so etwas wie ein „Frühwarnsystem“ zur Modernisierung und Liberalisierung der Gesellschaft, aber auch zur ökologischen Begrenzung des Wirkens der Wirtschaft, die in den sechziger und siebziger Jahren noch kein Bewusstsein für Nachhaltigkeit hatte und damals den Spruch „Macht Euch die Erde untertan“ wörtlich nahm. Das ist der unbestrittene Verdienst dieser Partei. Nun gibt es auch Kritiker. Manche sagen, die Grünen seien zu dirigistisch und hätten einen Hang dazu, die Menschen erziehen zu wollen – das entzündet sich dann an Tempolimits auf Straßen oder an der Kritik am Fleischkonsum.


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Andere fremdeln mit den teilweise sehr linksradikalen, systemfeindlichen Positionen, wie sie in Teilen der Grünen Jugend vertreten werden, wenn es etwa um die Rolle der Polizei gegenüber der Antifa geht oder um die Einschätzung der Gefahr von Clan-Kriminalität. Wieder andere sehen in den Grünen weniger eine politische als vielmehr eine moralische Organisation, die von vielen nur deshalb gewählt werde, weil sie dann ihr schlechtes Gewissen beruhigen können – nach dem Motto: Wer grün wählt, hat Buße für sein wenig umweltbewusstes Verhalten geleistet. Wieder andere beklagen, vor lauter Interessenvertretung für Minderheiten verlören die Grünen die breite Mehrheit aus dem Blick.



Wie auch immer: Neben der CDU, die stark von überkommenen konservativen Strukturen geprägt ist, und der SPD, die sehr stark auf die staatliche Verwaltung, die Gewerkschaften und mächtige Verbände setzt, versuchen die Grünen einen Sonderweg – sie wollen modern sein, sind gleichwohl aber gegenüber einem zu starken Sozialstaat skeptisch. Das verbindet sie mit der FDP, aber der rebellische Geist der alten K-Gruppen-Mentalität schimmert immer wieder durch, weshalb die Grünen auch nie vollends eine „staatstragende“ oder „systemtreue“ Partei sein wollen.

In der niedersächsischen Landespolitik hat die Partei immer wieder starke Figuren hervorgebracht, die später teilweise auf anderer Ebene prägend gewirkt haben. Dazu gehören Rebecca Harms und Jürgen Trittin, Helmut Lippelt, Martin Mombaur und Hans-Albert Lennartz, Waltraud Schoppe und Erwin Jordan. Helge Limburg, Brigitte Pothmer und Michel Golibrzuch müssen ebenfalls genannt werden, auch Ralf Briese, der viel zu früh gestorben ist. Wenn die niedersächsischen Grünen am 24. Juni „ihr 40-Jähriges“ im Landtag feiern, werden auch diese Namen in Erinnerung kommen. Denn Politik wird nicht zuletzt von Personen geprägt und gelebt. Selbst bei den Grünen, die gegenüber „ihrem Führungspersonal“ immer ausgesprochen reserviert sind.