Der niedersächsische Landtag hat einen Nachtragshaushalt mit einem Umfang von 2,9 Milliarden Euro beschlossen. | Foto: Niedersächsischer Landtag

Gleich zu Beginn der wichtigen Etatdebatte im Parlament tritt einer von den erfahrenen Landespolitikern ans Mikrophon und sagt ein paar Sätze, die wie eine Mahnung klingen: Die Art und Weise der zurückliegenden Haushaltsberatung in den Gremien des Landtags sei „nicht zumutbar“, erklärt der einstige Wissenschaftsminister Björn Thümler. Ein derartiges Verfahren dürfe „nur auf Notlagen beschränkt sein“ und man dürfe die Abgeordneten „nicht überfordern“: „Man kann von niemandem verlangen, so etwas Komplexes wie die Änderung eines Doppelhaushaltsplans innerhalb von drei Tagen zu erfassen.“

Björn Thümler | Foto: NDR/Screenshot

Als der CDU-Mann Thümler das sagt, immerhin in seiner neuen Rolle als Vorsitzender des Haushaltsausschusses, ist es im Plenarsaal mucksmäuschenstill. Alle Anwesenden wissen: Thümler hat Recht mit seiner Kritik. Was in Niedersachsen in den zurückliegenden drei Wochen vor der Verabschiedung des Nachtragsetats geschehen ist, verstößt in normalen Zeiten eklatant gegen das Budgetrecht des Parlaments, eines der wichtigsten Parlamentsrechte überhaupt. Das wäre eigentlich ein Fall für den Staatsgerichtshof. Doch die Zeiten sind nicht normal, denn die galoppierende Inflation bringt Unternehmen, Verbraucher und Mieter unter Druck. Viele können die drastische Anhebung der Energiepreise nicht tragen, der Staat wird als Helfer gebraucht – und zwar sofort.

Ein wesentlicher Teil des Nachtragsetats, der am Mittwoch vom Landtag beschlossen wurde, enthält die Hilfen an Betriebe und Bedürftige im Umfang von rund einer Milliarde Euro. Dieses Geld muss schnell fließen, daher legte Rot-Grün auch eine nie dagewesene Eile an den Tag. Die CDU als größte Oppositionsfraktion wollte sich nicht vorwerfen lassen, diese Nothilfen zu blockieren. Daher enthalten sich die Christdemokraten am Ende, während die AfD den rot-grünen Plan ablehnt. Die CDU äußert schon heftige Vorwürfe im Detail, aber sie begnügt sich mit dem warnenden Zeigefinger – und lässt die Dinge dann doch passieren. Zu groß wäre die Gefahr gewesen, man hätte die in die Opposition gerutschte CDU als trotzige Nein-Sager abgestempelt.

Grant Hendrik Tonne | Foto: NDR/Screenshot

Dabei gehört die Haushaltsplanung tatsächlich zu den Absonderlichkeiten in dieser ersten Phase der neuen Wahlperiode. In der Tat hatte die Landesregierung Mitte November den Etatentwurf an einem Montag im Haushaltsausschuss eingebracht und den Abgeordneten genau 48 Stunden Zeit gegeben, sich darüber Gedanken zu machen. Denn schon am darauffolgenden Mittwoch, zwei Tage später, war die Schlussberatung in diesem Ausschuss. Das ist, wie Thümler zutreffend erklärt, schon eine Form der Missachtung des Parlaments. SPD-Fraktionschef Grant Hendrik Tonne nennt es „die Zeit des starken Staates“, in der eben entschlossenes Handeln unverzichtbar sei. In Krisenzeiten müsse man so vorgehen, betont Tonne und macht damit zugleich klar, dass auch er das Eilverfahren im Grunde für außergewöhnlich hält.

Das meiste Geld nutzt Rot-Grün, um den Landeshaushalt zu entlasten und vor allem Geld für eigene Politik zu bunkern.

Ulf Thiele, CDU-Finanzexperte

Ulf Thiele | Foto: NDR/Screenshot

CDU-Fraktionsvize Ulf Thiele sagt, mit dem Rekordtempo „provoziert die Landesregierung Fehler“, im Ergebnis liege ein „schlechtes Gesetz“ vor. Da die Förderrichtlinien längst nicht fertig seien und auch der Bund noch nicht entschieden habe, wie er seine Unterstützung in der Energiekrise organisiere, wecke das Land nun falsche Erwartungen: Man gebe vor, zur schnellen Hilfe fähig zu sein – könne das aber nicht einhalten, da die Verwaltung längst noch nicht so weit sei. „In diesem Jahr wird nichts mehr ausgezahlt werden.“ Thiele rügt auch, dass Rot-Grün mit dem Nachtragsetat einen höheren Millionenbetrag zur Seite lege und sich so Reserven für die Zukunft schaffe. Das sei vermutlich nötig, sagt der frühere Finanzminister Reinhold Hilbers (CDU) in einer Zwischenfrage an seinen Nachfolger Gerald Heere (Grüne). Denn anders als mit einer 600-Millionen-Rücklage, meint Hilbers, könne Heere vermutlich seinen Etat für 2024 gar nicht mehr ausgleichen. Heere kontert auf Hilbers: Es sei doch nicht verkehrt, für die Zukunft vorzusorgen und gewappnet für eine mögliche neue Krise zu sein.

Detlev Schulz-Hendel | Foto: NDR/Screenshot

Kurz bevor der Haushalt beschlossen wird, tragen CDU und AfD noch einmal ihre Änderungsanträge vor: Stefan Marzischewski und Peer Lilienthal von der AfD beantragen einen Schuldenabbau im Umfang von mehr als 700 Millionen Euro, Thiele von der CDU schlägt noch eine Aufstockung der Zuschüsse an Unternehmen vor, außerdem ein Programm von 265 Millionen Euro für Hauseigentümer und Mieter, die mit Öl oder Holzpellets heizen und ebenfalls unter enormen Energiepreissteigerungen leiden. Philipp Raulfs (SPD) und Detlev Schulz-Hendel (Grüne) weisen diese Anträge zurück und betonen, für die von der CDU genannten Zwecke sei ohnehin schon ein beträchtlicher Ansatz im Doppelhaushalt enthalten.

Philipp Raulfs | Foto: NDR/Screenshot

So kompromisslos sich Rot-Grün und die Opposition diesen Detailfragen gegenüberstehen, so einig sind sie sich dann am Ende doch in einer wichtigen Verfahrensfrage: Verabredet wird, dass der Haushaltsausschuss über jede Ausgabe aus dem neuen Etat, der über fünf Millionen Euro hinausgeht, vorab unterrichtet werden und dann auch zustimmen muss. So soll eine parlamentarische Beteiligung sichergestellt werden. Im Vorfeld hatte nämlich die Befürchtung bestanden, die Regierung würde über die Milliardenbeträge, die im „Einzelplan 13“ des Finanzministers gebucht werden, frei und ohne Rücksprache mit den Abgeordneten verfügen können.

Der Turbo-Haushalt ist nicht die einzige Auffälligkeit in dieser Sondersitzung des Landtags, einer der ersten in der neuen rot-grünen Ära. Man spürt zum einen eine extreme Gereiztheit zwischen CDU und AfD. AfD-Sprecher Lilienthal attackiert die CDU, die angeblich in ihrem Haushaltsantrag fehlerhaft gerechnet habe, wie CDU-Fraktionsgeschäftsführerin Carina Hermann betont: Für die CDU sei es unvorstellbar, einen Vertreter der AfD als Repräsentanten des Landes zu akzeptieren – die CDU werde „niemals mit der AfD zusammenarbeiten“.



Auf der Regierungsbank fällt auf, wie vielseitig an diesem Tag Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) gefordert ist, er redet auch zu Straßenausbaugebühren und Krankenhausplanung – da die jeweiligen Fachminister verhindert sind. Ob Lies jetzt also endgültig die Allzweckwaffe der SPD geworden ist? Was die SPD angeht, aber auch einige Politiker der Grünen, erklingt im Laufe des Tages immer wieder an die CDU der Hinweis auf „ihren Finanzminister Reinhold Hilbers“. Immer dann, wenn die CDU bei Rot-Grün einen Fehler oder ein Versäumnis festzustellen glaubt, melden sich Vertreter der Koalition, die auf die Verantwortung des früher so restriktiven Finanzministers Hilbers hinweisen. Das zieht sich durch den ganzen Tag. Hilbers hingegen wirkt davon nicht angegriffen, er sitzt relativ vergnügt in der Mitte der CDU-Fraktion.

Allzweckwaffe der Landesregierung: Olaf Lies. | Foto: NDR/Screenshot