Jens Nacke (links) und Wiard Siebels wollen im Niedersächsischen Landtag künftig auch Online-Abstimmungen möglich machen. | Foto: GettyImages/Anton Sokolov, SPD, CDU

Wenn es nach den Vorstellungen der Parlamentarischen Geschäftsführer Wiard Siebels (SPD) und Jens Nacke (CDU) geht, braucht die niedersächsische Landesverfassung eine Ergänzung. Beide befürworten den Plan, die bisherigen Vorgaben für die Abstimmung über Gesetze und Entschließungen im Plenum zu verändern. Nach bisherigem Recht ist es zwingend erforderlich, dass jeder Abgeordnete persönlich anwesend sein muss und nur dann seine Stimme abgeben kann. Aus den Reihen von SPD und CDU wird jetzt empfohlen, zum einen die Video-Zuschaltung von Abgeordneten zu den Plenarsitzungen zu gestatten – und dann auch die Online-Abstimmung. „Die bisherige Rechtslage ist für eine Pandemie, wie wir sie erlebt haben, nicht hinreichend“, betonte der CDU-Politiker Nacke. Sein SPD-Kollege Siebels meinte: „Wir brauchen eine Ergänzung.“

Landesverfassung für Krieg aber nicht für Pandemie gerüstet

Die Abgeordneten äußerten sich am Montag bei der Vorstellung des Berichts des Corona-Sonderausschusses im Landtag. Das Dokument wurde an Landtagspräsidentin Gabriele Andretta übergeben. Siebels wies dabei auf Artikel 44 der Landesverfassung hin. Dieser sieht vor, dass die Landesregierung das Land mit Notverordnungen regieren darf, wenn der Landtag „durch höhere Gewalt daran gehindert ist, sich frei zu versammeln“. In diesen Fällen muss der Ältestenrat die Verordnungen nachträglich billigen, und wenn auch der Ältestenrat nicht zusammenkommen kann, agiert an seiner Stelle die Landtagspräsidentin. Wie Siebels betonte, ist diese Regelung eher gedacht für Fälle einer Naturkatastrophe oder eines Krieges, wenn die Abgeordneten etwa wegen zerbombter Städte, Straßen und Schienenwege nicht nach Hannover kommen können. Eine Pandemie aber, die über viele Monate wegen der Ansteckungsgefahr keine Präsenztreffen größerer Gruppen zulässt, sei in der Vorstellung der Verfassungsmütter und -väter nicht vorgekommen. Da das Parlament aber tagen könne, nur eben nicht in körperlicher Präsenz, solle die Landesverfassung entsprechend ergänzt werden. Sowohl Siebels als auch Nacke ließen aber offen, ob die Koalition dazu noch in dieser, im Oktober endenden Wahlperiode einen Vorschlag machen wird. In den Landtagsausschüssen sind schon Video-Beteiligungen von Abgeordneten laut Geschäftsordnung erlaubt, für die Plenarsitzungen und Gesetzesbeschlüsse gilt das aber noch nicht.

Corona-Sonderausschuss legt Abschlussbericht vor

Landtagspräsidentin Gabriele Andretta nimmt den Bericht des Corona-Sonderausschusses von Karl-Ludwig von Danwitz entgegen. | Foto: Wallbaum

Der Corona-Sonderausschuss war eingerichtet worden als Instrument zur Aufarbeitung von Versäumnissen und Fehlern zu Beginn des Corona-Krisenmanagements. Siebels und Nacke zeigten sich jetzt nach 20 Sitzungen des Gremiums ebenso wie Landtagspräsidentin Andretta zufrieden, dass die Diskussionen sachlich und konstruktiv verlaufen seien, nicht konfrontativ wie in einem Untersuchungsausschuss. Das sei Grünen und FDP zu danken. Der Ausschussvorsitzende Karl-Ludwig von Danwitz (CDU) meinte, die wichtigste Lehre sei „zukunftsgerichtetes Handeln“ – der Staat müsse besser vorbereitet sein, bevor eine nächste Pandemie komme und man beispielsweise schneller auf digitale Formen (in der Arbeitswelt oder in Schule und Hochschule) umschalten muss. Die Landtagspräsidentin meinte, Wissenschaft und Politik seien in der Pandemie nah aneinandergerückt und man merke jetzt, wie wichtig ein besserer Austausch der beiden Formen sei. Nacke willigte ein, gab aber zu bedenken, dass die wissenschaftliche Vorgehensweise, im Diskurs auch mal Dinge auszuprobieren und zu erforschen, in der Politik nicht immer nachahmenswert sei. Julia Hamburg (Grüne) regte ebenso wie Christian Grascha (FDP) einen „Pandemierat“ an, ein institutionalisiertes Expertengremium zur Beratung der Politik, dessen Mitglieder und Beschlüsse für jedermann transparent seien. „Dann wird nachvollziehbar, wer die Politik berät“, sagte Grascha. Nacke sieht es hingegen kritisch – man dürfe nicht den Eindruck erwecken, die Politik trete ihre Verantwortung an einen Kreis auserwählter Wissenschaftler ab.

Ausschuss rügt Kommunikation und Wettbewerbsverzerrung

Der Bericht des Corona-Ausschusses enthält noch einige detaillierte Feststellungen. So wird erwähnt, dass es die Kommunen als Vollzugsbehörden nicht immer leicht gehabt hätten, die Corona-Vorgaben zeitnah umzusetzen, dass die Kommunikation hier verbessert werden könne. Dass manche Waren in Supermärkten verkauft werden durften, während die Fachmärkte geschlossen sein mussten, sei wiederholt als „Wettbewerbsverzerrung“ gerügt worden. Die Gesundheitsämter bekämen in der Ausbildung und im Medizinstudium nicht die Wahrnehmung, die sie für ihre wichtige Arbeit verdient hätten. Die Vorsorge-Untersuchungen bei Herzinfarkten, Schlaganfällen und Krebs seien in den ersten Monaten der Pandemie stark zurückgegangen, weil viele Patienten wohl meinten, sie dürften diese wegen der starken Belastung der Krankenhäuser nicht beanspruchen.

Abschlussbericht des Corona-Sonderausschuss

Der Corona-Sonderausschuss unter dem Vorsitz von Karl-Ludwig von Danwitz (CDU) hatte die Aufgabe, die angesichts eines völlig neuartigen, pandemischen Krisengeschehens getroffenen Maßnahmen und deren Wirkung zu evaluieren. Am 10. Januar 2022 hat das Gremium seinen Abschlussbericht vorgelegt. Hier können Sie das Dokument als PDF herunterladen.