Der Staatsgerichtshof, höchstes Gericht des Landes, hat am Dienstag ein Urteil zur wichtigen Frage der Neutralitätspflicht von Amtspersonen gefällt. Normalerweise müssen Amtsträger wie Ministerpräsidenten, Minister, Landräte oder Bürgermeister sich im politischen Streit gemäßigt verhalten, sie dürfen ihre Amtsstellung nicht dazu nutzen, einer Partei oder bestimmten Politikern mit negativen Äußerungen oder Aufrufen zu schaden. In der Praxis aber gibt es eine Ausnahme, wie die Mitglieder des höchsten niedersächsischen Gerichts festlegten.

Es ging in dem Verfahren um Aussagen von Ministerpräsident Stephan Weil anlässlich einer Demonstration der rechtsextremen NPD am 23. November des vergangenen Jahres in Hannover. Weil ließ unter anderem die Botschaft verbreiten, die NPD wolle unter dem Deckmantel der Versammlungsfreiheit gegen die Pressefreiheit demonstrieren, er warf der Partei „rechte Hetze“ vor und warb für die Gegenkundgebung. Darin sah die NPD eine Überschreitung der Kompetenzen des Ministerpräsidenten und einen Verstoß gegen seine Pflicht zur politischen Mäßigung und Neutralität.


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Die Klage der NPD endete nun mit einer schallenden Ohrfeige für die Partei, die ihr Landesvorsitzender Manfred Dammann und sein Rechtsvertretern Frank Richter kommentarlos hinnahmen. Der Staatsgerichtshof halte den Antrag für „unbegründet“, erklärte Gerichtspräsident Thomas Smollich bei der Verkündung des Urteils. Zwar sei es richtig, dass Weil mit seinen Tweets eindeutig als Ministerpräsident gehandelt habe und nicht als Privatperson, das werde auch durch die Mitarbeiter unterstrichen, die offiziell seinen Twitter-Account betreuen. Insofern gelte grundsätzlich die Pflicht zur Zurückhaltung. Der Staat habe aber auch die Aufgabe, über seine Öffentlichkeitsarbeit und Informationspolitik „den Grundkonsens im demokratischen Gemeinwesen lebendig zu halten“, deshalb müsse die Regierung zur Wahrung „besonders geschützter Institutionen tätig werden“.

https://twitter.com/MpStephanWeil/status/1198141432768475137

Eine dieser Institutionen sei die Pressefreiheit, und der Staat habe das Recht, in seiner Öffentlichkeitsarbeit öffentlich für die freie Presse einzutreten und sie gegen maßlose Angriffe zu verteidigen. So habe die Demonstration der NPD, die sich namentlich gegen einen freien Fernsehjournalisten des NDR richtete, der einen Bericht über einen früheren SS-Mann verfasst hatte, die Einschüchterung dieses Journalisten und damit auch anderer Journalisten zum Ziel gehabt. In diesem speziellen Fall, in dem es um die Verteidigung der Pressefreiheit gegangen sei, sei „die Neutralitätspflicht von Stephan Weil eingeschränkt“ gewesen. Er sei „berechtigt“ gewesen, sich mit seinen Äußerungen „schützend vor die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu stellen“. Smollich geht sogar noch weiter: Regierungsmitgliedern werde „mehr abverlangt als eine innerlich kühle, distanzierte Haltung zu Grundrechten und Verfassung“.

Wortwahl geprägt von Sachlichkeit

Trotzdem ergänzen die Richter, dass die Wortwahl gleichwohl von Sachlichkeit geprägt sein müsse – das sei aber bei diesen von der NPD beanstandeten Tweets von Weil auch der Fall gewesen. Lange führte Smollich noch aus, dass eine als verfassungsfeindlich eingestufte Partei die Rechte aller anderen Parteien habe – solange sie nicht verboten ist. Dieser Fingerzeig mag auch für die aktuelle Debatte über die AfD wichtig sein.

Die Argumentation der Rechtsvertreter der Landesregierung, bei massiven Angriffen müsse der Ministerpräsident als Amtsperson ein Recht haben, in der Öffentlichkeit zu verbalen Gegenschlägen anzusetzen, weist der Staatsgerichtshof allerdings zurück: „Gleiches mit Gleichen zu vergelten, kommt nicht in Betracht.“ Die Ausnahme gelte hier nur, weil es um eine besonderes Verfassungsgut gehe, die Pressefreiheit. Der Staatsgerichtshof definiert die Pressefreiheit in dem Urteilsspruch sehr weitgehend: „Der Staat hat nicht nur den Auftrag, eine mediale ,Grundversorgung‘ zu gewährleisten, sondern es besteht auch die Institutsgarantie für die freie Presse, die unter anderem eine Bestand-, Entwicklungs- und Finanzierungsgarantie nach sich zieht.“