Schon als das „hohe Gericht“ zur Tür hinein kam am Dienstag um Punkt 10 Uhr, deutete sich ein eher harmonischer Verlauf dieses Tages in Bückeburg an. Der Saal war voller als sonst bei solchen Urteilsverkündungen, denn ein Reizthema wurde verhandelt – die Informationspolitik rund um den Wolf und die Wolfsabschüsse. Oft ist es so, dass die Richter ernst dreinblicken, wenn eine Seite mit einer herben Niederlage rechnen muss. Diesmal lächelten viele der Richter, und auch Gerichtspräsident Thomas Smollich schaute gütig. Der anschließende Spruch, ausführlich von Smollich begründet, wies auch in diese Richtung – Teilnehmer sollten später von einer „weisen Entscheidung“ sprechen und davon, dass der Staatsgerichtshof mit diesem Urteil um Vermittlung und Ausgleich bemüht gewesen sei. Mit anderen Worten: Jeder konnte sich als Gewinner fühlen.

Werden schutzbedürftige Interessen Dritter verletzt?

Tatsächlich standen sich zwei hohe Rechtsgüter gegenüber und gerieten in Konflikt – und im Fall der Wolfspolitik war es so, dass sich die Beamten von Umweltminister Olaf Lies (SPD) klar auf eine Seite geschlagen hatten. Das eine Rechtsgut ist in Artikel 24 der Landesverfassung festgeschrieben. Dort wird den Vertretern der Landesregierung die Pflicht auferlegt, Anfragen von Abgeordneten „nach bestem Wissen unverzüglich und vollständig“ zu beantworten. Auf der anderen Seite steht eine Einschränkung, die auch in der Verfassung steht, ein Absatz tiefer. Wenn „schutzwürdige Interessen Dritter“ verletzt werden könnten, darf die Regierung die Auskunft verweigern. Was wiegt nun schwerer, die Rechte derer, die durch eine öffentliche Antwort beeinträchtigt werden könnten – oder das Auskunftsrecht der Abgeordneten, ohne das eine wirksame parlamentarische Kontrolle des Regierungshandelns kaum möglich erscheint?

Staatsgerichts-Präsident Thomas Smollich. | Foto: Wallbaum

Das Umweltministerium entschied sich für die erste Variante, und begründet wurde das mit den Anfeindungen, denen Jäger, Schafhalter oder Behördenmitarbeiter ausgesetzt seien, sofern sie sich für das Töten gefährlicher Wölfe in ihrer Region einsetzen. Einige Reaktionen, die im Internet kursierten, wurden vor dem Staatsgerichtshof auch vorgetragen. „Finger weg vom Wolf – sonst gehen Eure Hochsitze in Flammen auf“ sei da zu lesen gewesen. Radikale Wolfschützer hätten bei Jägern, Schafhaltern und Behördenvertretern die Radmuttern der Fahrzeuge gelöst oder auch Gewalt angedroht. Beschimpfungen sind fast an der Tagesordnung, das Ministerium sieht inzwischen ein Klima der Angst.


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Nun sei der Wolf ein emotional aufgeheiztes, in der Landespolitik sehr wichtiges Thema, betonte Gerichtspräsident Smollich. Das mache einerseits das Fragerecht der Opposition hier auch besonders bedeutsam, denn zur guten Kontrolle der Regierung gehöre eine detaillierte Information. Umgekehrt seien in einer hochkochenden Debatte auch die Interessen Dritter noch einmal besonders schutzwürdig, weil besonders gefährdet. So endete die Klage der Grünen gegen Lies auch doppelgesichtig. Ja, Lies habe gegen Artikel 24 der Verfassung verstoßen, als er nicht geantwortet hat auf die Frage der Grünen-Abgeordneten Christian Meyer, Imke Byl und Helge Limburg, wie denn die Begründungen für die Ausnahmegenehmigungen zum Abschuss von Wölfen lauteten – und welche konkreten Schäden der Wolf auf welchen Weiden tatsächlich angerichtet habe.

Aus diesen Angaben, meint der Staatsgerichtshof, seien keine Rückschlüsse möglich gewesen auf die Gebiete, in denen der Wolf gejagt werden darf, und damit auch nicht auf die schutzbedürftigen Mitarbeiter, Jäger und Schäfer. Hier habe Lies also einen Verfassungsverstoß begangen. Richtig gehandelt habe der Minister allerdings, als er Angaben zu der anderen Frage der Grünen verweigerte, nämlich die nach den konkreten Gebieten und den dort lebenden Wolfsrudeln. Denn daraus, so erläuterte Smollich, hätten radikale Wolfschützer problemlos ableiten können, welcher konkrete Personenkreis damit zu tun hat – und als Adressat von Protesten und Mobbing hätte dienen können. Damit steht es also eins zu eins – in einem Punkt siegten die Grünen mit ihrer Klage, in einem Punkt bekamen Lies und sein Ministerium Recht. Hinzu kam noch ein Ratschlag des Staatsgerichtshofs: Bevor ein Ministerium eine Antwort auf eine Landtagsanfrage verweigert und schutzwürdige Interessen Dritter in Gefahr sieht, solle es bitte genau prüfen, ob wirklich etwas gegen die Auskunft spricht. Auch klärende Rückfragen seien doch möglich. Denn nur pauschale Zurückweisungen seien nicht rechtens.

Die Neuerung, die aus diesem Urteil folgt, ist wohl der Handlungsauftrag an die Landesregierung: Wenn Minister meinten, eine Information gegenüber dem Landtag zurückhalten zu können, sollten sie vorher gründlich abwägen, ob das wirklich sein müsse. Womöglich wird dieser Leitsatz aus Bückeburg in Hannover künftig noch bedeutsamer werden, sollte die Debatte um den Wolf einen allgemeinen Trend in der politischen Diskussion anzeigen. Wenn immer unerbittlicher und aggressiver gestritten wird, verknüpft mit immer mehr Attacken gegen Amtsträger und andere Personengruppen, ist dann das parlamentarische Auskunftsrecht überhaupt noch zeitgemäß? Riskiert man dann nicht beinahe ständig die Weitergabe von Daten, die von aufgewiegelten Gruppen missbraucht werden können?

Kläger und Beklagte im freundlichen Gespräch (von links): Umwelt-Staatssekretär Frank Doods unterhält sich mit Helge Limburg und Christian Meyer. | Foto: Wallbaum

In Bückeburg spielte diese Frage am Dienstag noch keine Rolle. Zunächst zeigte sich Christian Meyer (Grüne) zufrieden: Das Urteil sei ein „Stoppschild für Lies“, der Wolf sei keine Geheimsache und das Ministerium müsse künftig mitteilen, „wie viele Wölfe auf der Abschussliste stehen“. Der Grünen-Politiker Helge Limburg, der in Bückeburg als Rechtsvertreter der Kläger auftrat, sah die Teil-Niederlage mit gemischten Gefühlen: „Wir konnten doch vorher nicht wissen, welche Fragen das Ministerium nicht beantworten konnte. Es geht doch darum, mit den Fragen den Gesamtzusammenhang zu erhellen.“

Umweltministerium ist mit Urteil „sehr zufrieden“

Umwelt-Staatssekretär Frank Doods meinte, mit dem Urteil „sehr zufrieden“ zu sein. Lies selbst teilte später mit, die Hinweise des Gerichts auf weitere Detailauskünfte werde das Ministerium „gewissenhaft berücksichtigen“. Der Naturschutzbund (Nabu) erklärte: „Die bisherige Politik der Geheimhaltung ist verfassungswidrig.“ Es gehe ja nicht darum, einzelne Akteure zu identifizieren, sondern um die Überprüfung der Frage, ob die bisherigen Abschussgenehmigungen verhältnismäßig seien. So etwas sei nur mit transparenten Daten möglich.

Einer, der die Verhandlung in Bückeburg als Zuschauer recht distanziert verfolgte, war der engagierte Wolfschützer Christian Berge. Er sprach von einem „Pyrrhussieg“ der Grünen. Der Hinweis auf die Persönlichkeitsrechte täusche, denn es seien doch gerade viele Schäfer gewesen, die von sich aus in die Öffentlichkeit getreten seien. Möglichst große Transparenz über die Wolf-Abschussgenehmigungen sei unverzichtbar, wenn man wirklich nachprüfen wolle, ob das Vorgehen der Regierung gegen die Wölfe angemessen oder vielleicht doch übertrieben sei.

Wolfsschützer Christian Berge wertet das Urteil nicht unbedingt als Erfolg. | Foto: Wallbaum