Selten war das Wahlvolk so verunsichert wie dieser Tage. Die Meinungsumfragen der zurückliegenden Monate haben eines deutlich gezeigt: Die Gunst der Wähler ist wankelmütig. Gründe dafür gibt es viele, das Start-up „Voto“ aus Baden-Württemberg hat nun versucht, zumindest dem Faktor Unwissenheit etwas entgegenzusetzen.

Die digitale Wahlhilfe des Start-ups Voto ist mit dem Wahl-O-Mat zu vergleichen. / Foto: Voto

Mithilfe einer Online-Wahlhilfe, die ganz ähnlich funktioniert wie der bekannte und beliebte „Wahl-O-Mat“ der Bundeszentrale für politische Bildung, sollen sich die Bürger in Niedersachsen mit den kommunalpolitischen Fragestellungen ihrer Gemeinde auseinandersetzen. Mehr als 400 Kommunen im ganzen Land sind in der Online-Anwendung angelegt. Damit verlässt das Wahlhilfe-Programm die Bundesebene und bricht die Suche nach der richtigen Partei herunter aufs Kommunale.

Wolfsburg, Friesland und Co.: Voto begann
mit sieben Pilotgemeinden

Doch wie hat Voto es geschafft, derart viele Informationen sachgerecht zu verarbeiten? Im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick hat einer der Gründer des Start-ups, Julius Oblong, das Vorgehen skizziert. Zunächst einmal mussten Thesen formuliert werden, anhand derer sich zuerst die politischen Bewerber und schließlich die interessierten Bürger positionieren konnten. „Bei der Entwicklung der Thesen haben wir zwei verschiedene Wege verfolgt“, erläuterte Oblong. Begonnen habe man mit sieben Pilotgemeinden, in denen mithilfe von Workshops herausgearbeitet wurde, welche Fragen die Menschen bewegten. Da sich das Instrument vorrangig an eine jüngere Zielgruppe richtet, arbeitete Voto mit 16- bis 20-jährigen, teilweise in Kooperation mit den Stadtjugendringen. Ausgewählt wurden für diese Workshops die Städte und Gemeinden Wolfsburg, Barßel (Kreis Cloppenburg), Osterode am Harz (Kreis Göttingen) sowie Varel, Wangerland, Schortens und Friesland (alle vier im Kreis Friesland).

„Wir haben ein Set aus 32 Thesen zusammengetragen, die fast in
jeder Kommune relevant sind.“

Julius Oblong, Gründer von Voto

Der zweite Weg, über den Thesen ins Programm gekommen sind, führt durch Hessen. Denn dort hat Voto bereits bei der Kommunalwahl im März 2021 seine Online-Wahlhilfe angeboten. Aus diesem Durchgang haben die Jungunternehmer, die sich auch stets Unterstützung aus der Wissenschaft holen, bereits ein Bündel an politischen Thesen mitgebracht. Im Vorfeld des neuerlichen Durchgangs gab es eine Kooperation mit der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg und der TU Darmstadt. „So haben wir ein Set aus 32 Thesen zusammengetragen, die fast in jeder Kommune relevant sind“, erklärt Oblong. Anschließend haben sie noch ein wenig differenziert: So spiele die autofreie Innenstadt in den größeren Städten auch eine größere Rolle als im ländlichen Raum. Die Ausweitung von Tempo 30-Zonen sei dann wiederum auch in kleinen Gemeinden relevant.

Dies bleibt allerdings nur der erste Schritt, denn zu jeder These gehören schließlich noch zahlreiche Positionierungen der verschiedenen Parteien. Hier bediente sich Voto nun eines gewagten Tricks. „Natürlich konnten wir es nicht leisten, alle Kommunalpolitiker einzeln anzuschreiben“, sagt Oblong. Deshalb haben sie zunächst alle Parteien kontaktiert, die auf Landesebene mit einer Organisationsstruktur vertreten sind. Von diesen Parteien hat sich das Voto-Team dann die Positionen zu den standardisierten Thesen formulieren lassen. Von da an gingen sie zunächst einmal davon aus, dass diese Positionen dann auch für jede einzelne Kommune gelten. „Dass es zwischen Landespartei und kommunaler Untergliederung allerdings auch mal unterschiedliche Auffassung über die geeignetste Politik geben kann, zeigt vielleicht am deutlichsten die Straßenausbaubeitragssatzung“, sagt Oblong.

Jede kommunale Partei kann sich
auf Plattform registrieren

Deshalb bietet Voto jeder kommunalen Partei an, sich auf der Plattform zu registrieren, sich verifizieren zu lassen und die Position wieder zu überarbeiten. Bis Anfang dieser Woche hatten 673 Wahlvorschläge davon Gebrauch gemacht und auf diese Weise ihr eigenes Profil ausgefüllt. Das zeigt zwar: An dieser Stelle ist noch Luft nach oben, bei durchschnittlich fünf Parteien in 400 Gemeinden wären natürlich locker mehr als 2000 lokale Angaben die Idealvorstellung. Durch die Abkürzung über die Landesparteien ist es dem Voto-Team allerdings gelungen, flächendeckend zumindest eine grobe Richtung anzugeben. Oblong weiß auch zu berichten: „Meistens gab es eine Sog-Wirkung: Wenn eine Partei in einer Gemeinde damit begonnen hat, das Profil zu bearbeiten, zogen häufig die anderen Parteien nach.“

„Meistens gab es eine Sog-Wirkung: Wenn eine Partei in einer Gemeinde damit begonnen hat, das Profil zu bearbeiten, zogen die anderen nach.“

Julius Oblong, Gründer von Voto

Was will das Start-up damit nun erreichen? Zum einen will das gemeinnützige Unternehmen der Demokratie einen Dienst leisten, wie Oblong sagt. Mehr als 34.000 Nutzer hat die Anwendung inzwischen registriert. Gewinnabsichten stecken nicht dahinter, versichern die Anbieter. Finanzielle Unterstützung gab es diesmal etwa von der Bosch-Stiftung. Darüber hinaus erhoffen sich die Jungunternehmer neue politikwissenschaftliche Erkenntnisse zum Wahlverhalten. Wie sie vor ein paar Tagen aufgrund einer Befragung unter rund 2000 ihrer Nutzer feststellten, zeichnet sich nämlich unter den (eher jungen) Teilnehmern die Tendenz ab, im Bund zwar zu den Grünen zu tendieren (31 Prozent), auf kommunaler Ebene aber etwas weniger (24 Prozent). Neben lokalen Wählergemeinschaften profitierte davon vor allem die CDU, heißt es in einer Pressemitteilung von Voto. FDP, Linke und AfD verlören im Schritt von Bund zur Kommune hingegen besonders stark an die unabhängigen Wählergemeinschaften.