Das Leben in Niedersachsen ist im vergangenen Jahr offenbar insgesamt ein kleines bisschen sicherer geworden. Die amtliche Strafverfolgungsstatistik, die Niedersachsens Justizministerin Barbara Havliza (CDU) am Donnerstag in Hannover vorgestellt hat, weist für 2020 zumindest einen leichten Rückgang bei der Zahl der Verurteilungen auf. Im Vergleich zum vorangegangenen Betrachtungszeitraum wurden demnach knapp vier Prozent weniger Menschen strafrechtlich verurteilt: 2019 waren es noch 96.178 Verurteilungen, 2020 nur noch 66.497. Auch die Zahl der Freisprüche ging leicht zurück von 2785 auf 2531.

Niedersachsens Justizministerin Barbara Havliza (CDU) / Foto: Niklas Kleinwächter

Havliza sprach dabei von einer „Corona-Delle“ oder einem „kleinen Corona-Absacken“ innerhalb der Statistik. Zurückzuführen sei dies aber nicht darauf, dass womöglich die Dauer der Prozesse pandemiebedingt zugenommen habe und die Urteilssprüche nur verzögert wurden. „Vor allem zu Beginn des vergangenen Jahres waren die Gerichte gezwungen, Verhandlungen aufzuheben“, erläuterte Havliza. Das habe damit zusammengehangen, dass man die Gefährlichkeit des Corona-Virus noch nicht habe einschätzen und Schutzkonzepte nicht unmittelbar habe umsetzen können. „Die Strafgerichte haben die Situation aber sehr schnell in den Griff bekommen.“ Insgesamt habe sich die Prozessdauer im Mittel über das Jahr verteilt nur um 12 Tage verlängert – von statistischen 4,4 auf 4,8 Monate.

Die Corona-Delle führt die Justizministerin vielmehr auf die veränderte Gesamtsituation zurück: „Kriminalität ist Teil der Gesellschaft. Wenn sich die Gesellschaft verändert, verändert sich auch die Kriminalität.“ Grob gesagt: Weil sich der Alltag der Menschen im Corona-Jahr massiv verändert hat, gab es auch weniger Alltagskriminalität wie beispielweise Taschendiebstahl oder Schwarzfahren.

Je älter die Gesellschaft, desto weniger Schlägereien

Die konkreten Effekte erläuterte Thomas Hackner, Leiter der Strafrechtsabteilung im niedersächsischen Justizministerium: Bei den Straftaten gegen das Leben verzeichnet die Statistik einen Rückgang auf insgesamt 124 Verurteilte, 2019 waren es noch 149. Hackner begründete diese Tendenz unter anderem damit, dass die Anzahl der fahrlässigen Tötungen zurückgegangen sei, weil es beispielsweise weniger solcher Fälle innerhalb von Verkehrsunfällen gegeben habe. Dass es weniger gesellschaftliche Zusammenkünfte gab, sei ein weiterer Faktor.

Thomas Hackner, Leiter der Strafrechtsabteilung im Justizministerium / Foto: Niklas Kleinwächter

Bei den Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit weist die Statistik auch einen Rückgang aus, allerdings vollzieht sich dieser bereits über viele Jahre. Hackner bezeichnete dies als gesellschaftlichen Megatrend, der auch mit dem demographischen Wandel zu tun habe. Kurz gesagt: Die Menschen werden älter und damit körperlich schwächer und mental vernünftiger, weshalb es zu weniger Prügeleien komme.

Allein im Bereich der Einbruchkriminalität kann die Strafverfolgungsstatistik derzeit noch nicht die tatsächliche Entwicklung wiedergeben. Hier liegen die Zahlen der Verurteilungen nach wie vor hoch, obwohl die Einbrüche pandemiebedingt zurückgegangen seien, erklärte Hackner. Die statistische Verzerrung ergebe sich dadurch, dass die Prozesse meist sehr lange andauern, weil es sich häufig um ganze Einbruchserien handele. Der Effekt des vergangenen Jahres werde sich also voraussichtlich erst im kommenden Jahr auch in die Statistik widerspiegeln.

„Respektlosigkeit greift insgesamt um sich und richtet sich gegen Privatpersonen, aber auch vermehrt gegen Amts- und Mandatsträger.“

Eine Corona-Delle der anderen Art gab es jedoch im Bereich der Beleidigungen. Hier zeigt die Strafverfolgungsstatistik einen Anstieg auf 2588 Verurteilungen. Hackner begründete dies zum Teil damit, dass die Menschen aufgrund der Pandemie mehr Zeit zuhause und damit im Internet verbracht haben, wo die Schwelle zur Beleidigung gemeinhin niedriger liege. „Das erklärt aber nicht allein den Anstieg“, sagte der Abteilungsleiter. „Respektlosigkeit greift insgesamt um sich und richtet sich gegen Privatpersonen, aber auch vermehrt gegen Amts- und Mandatsträger“, berichtete Hackner. Dieser Trend korreliere mit dem „nicht signifikanten Rückgang“ im Bereich der Straftaten gegen Vollstreckungsbeamte, die sich beispielsweise bei Demonstrationen zeigen.

Dass in diesen beiden Bereichen die Zahlen steigen, beziehungsweise nicht sinken, erklärte der Strafverfolgungsexperte aber auch damit, dass die Verfolgungsintensität deutlich erhöht worden sei. Man setze hier auf eine konsequente Strafverfolgung, derartige Fälle werden grundsätzlich nicht mehr eingestellt, so Hackner. Speziell um die Beleidigungen oder Angriffe gegen Amts- und Mandatsträger möchte sich das Justizministerium im kommenden Jahr verstärkt kümmern, wie Havliza gestern ankündigte. Mit 250.000 Euro sollen Präventionsmaßnahmen gefördert werden, mit denen potenziell Betroffene auf derartige Situationen besser vorbereitet werden können.

Zehn neue Stellen für Ermittlungen gegen Kinderpornographie

Eine weitere Veränderung kündigte die Ministerin im Bereich der Kinderpornographie an. Die dafür zuständige Zentralstelle bei der Staatsanwaltschaft Hannover werde im kommenden Jahr um zehn Stellen verstärkt, wovon acht auf Staatsanwälte entfielen. „Das ist ein in diesem Ausmaß noch nie dagewesener Zuwachs, der allerdings auch dringend notwendig ist“, erklärte Havliza. Für 2020 verzeichnet die Statistik 838 Verurteilungen wegen einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung, das sind 14 mehr als im Jahr zuvor. 82 Verurteilungen gab es wegen sexuellen Kindesmissbrauchs, 51 wegen schweren sexuellen Kindesmissbrauchs. „Das Ausmaß ist erschreckend“, sagte Havliza.