Tageskolumne: Gesicht zeigen!
Vor einem Vierteljahrhundert haben einige Menschen, denen die demokratische Ordnung am Herzen lag, eine neue Initiative gegründet. Sie hieß „Gesicht zeigen!“ – Gemeint war, dass mehr oder weniger prominente Mitbürger sich offen zu Toleranz und Völkerverständigung bekennen und dafür mit ihrem Foto und ihrem Namen einstehen sollten. Das Gesicht zu zeigen, sollte ein Zeichen für Engagement für die Gesellschaft sein. Auslöser waren damals antisemitische Gewalttaten.
Vermutlich brauchen wir solchen Bekennermut heute noch viel mehr als im Jahr 2000. Die Aufforderung „Gesicht zeigen!“ kann indes in der politischen Debatte auch anders verstanden werden, und dafür liefert diese Woche ein gutes Beispiel. Am Mittwoch sind aus den Koalitionsverhandlungen in Berlin die Listen der Unterhändler an die Öffentlichkeit gedrungen – Listen mit Namen von politisch aktiven Menschen im Bundestag und in den Landesparlamenten, die künftig die Fachgespräche zwischen Union und SPD zur Bildung der nächsten Bundesregierung führen sollen. Durch die öffentliche Benennung wird nun allgemein bekannt, wer von den Fachpolitikern bei SPD, CDU und CSU als so wichtig und kenntnisreich eingeschätzt wird, dass ihm die Rolle des Unterhändlers zufällt. Das „Gesicht zeigen!“ erweist sich hier als Akt der Bewerbung für höhere Ämter – vielleicht für das Amt eines Bundesministers?

Nun sei hier allerdings vor falschen Hoffnungen oder Befürchtungen gewarnt. Nicht jeder, der eine der 17 Arbeitsgruppen leitet oder in den Teams von jeweils rund 16 Mitgliedern mitarbeitet, wird später am Kabinettstisch des voraussichtlichen Kanzlers Friedrich Merz oder im Führungsstab eines Ministeriums sitzen. Das klappt schon allein deshalb nicht, weil wir vermutlich weniger Bundesministerien als Arbeitsgruppen haben werden. Es gilt hier vielmehr das politische Regelwerk, nach dem die Teilnehmer solcher Runden von den Parteien nach speziellen Kriterien ausgesucht werden. Es geht um den hierarchischen Rang einer Person, die regionale Zuordnung, das Geschlecht und auch um den strategischen Wert einer Nominierung. Aus dieser Mixtur folgen dann die Personalien, und mit Blick auf Niedersachsen seien hier mal einige Kurzanalysen gewagt:
- Olaf Lies wird vermutlich deshalb Leiter der Arbeitsgruppe „Klima und Energie“ auf SPD-Seite, weil die SPD ihn vorbereitet auf den Sprung ins Ministerpräsidentenamt. Aus dem gleichen Grund sucht man Stephan Weil auf der Liste wohl vergeblich. Er ist ein Mann der Gegenwart, nicht der Zukunft.
- Hubertus Heil, Nancy Faeser sind vermutlich deshalb nicht in den Fach-Arbeitskreisen ihrer jetzigen Ministerien (Inneres und Arbeit), weil sie in der neuen Bundesregierung keine Minister mehr sein werden.
- Sebastian Lechner und Daniela Behrens arbeiten vermutlich deshalb in der ersten und wichtigsten Arbeitsgruppe (Innen, Recht, Migration und Integration) mit, weil sich beide in der Innenpolitik profilieren wollen – und zwar in der niedersächsischen Landespolitik.
- Boris Pistorius fehlt vermutlich deshalb in den Arbeitsgruppen für die Außen- und die Verteidigungspolitik, weil er von umständlichen Koalitionsverhandlungen wenig hält. Er übt sein Ministeramt in diesen Zeiten lieber selbstbewusst aus, statt sich mit der Union über irgendwelche Spiegelstriche zu streiten. Er weiß doch: Wenn er will, kriegt er – fast – jedes Ressort. Nur Kanzler, das wird er wohl nicht mehr.
- Adis Ahmetovic, Jakob Blankenburg, Tiemo Wölken und Mareike Wulf sind vermutlich deshalb in den Arbeitsgruppen, damit sie als Jüngere noch ein wenig Profil gewinnen auf der bundespolitischen Bühne. Sie stehen ja für die nächste Generation.
- Thorsten Kornblum leitet vermutlich deshalb auf SPD-Seite die Arbeitsgruppe „Kommunen“, weil er unzufrieden ist mit der zuweilen recht schwachen Rolle der deutschen Kommunalpolitiker im bundespolitischen Konzert. Und weil er künftig stärker mitmischen will.
Sind das die Motive – oder gibt es andere? Egal, jedenfalls zeigen all diese Menschen gerade ihr Gesicht, und wir werden in den nächsten Wochen mit Spannung verfolgen, ob der eine oder andere davon einen ungewöhnlichen Weg gehen wird.
Der Rundblick von heute streift derweil ein paar andere Themen:
■ Die CDU verlangt von der Landesregierung entschlossenere Ermittlungen gegen die Kinderpornographie. Die Polizei müsse sich neu aufstellen.
■ Die SPD hat sich zur Klausurtagung in Braunschweig zurückgezogen – und dabei wurde intern Kritik an der angeblich zu zögerlichen Verwaltungsreform laut.
■ Die Grünen lecken die Wunden nach einer eher mäßigen Bestätigung des Fraktionsvorstandes. Jetzt sollen „Teestunden“ Besserung versprechen.
Ich wünsche Ihnen einen entspannten Donnerstag. Schauen Sie in den Spiegel, erkennen Sie Ihr Gesicht und gehen Sie frohgemut voran!
Klaus Wallbaum
Dieser Artikel erschien am 13.03.2025 in der Ausgabe #049.
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