Die Wohnungsbaukrise hat Niedersachsen fest im Griff. Kaum jemand kann sich noch ein Eigenheim leisten, die Baukosten sind explodiert, Handwerker sind entweder ausgebucht oder nicht zu bezahlen, Bürokratie und Banken tun ihr Übriges, um Bauwillige in die Verzweiflung zu treiben. Doch offenbar nicht überall. Seit Neuestem boomt der Wohnungsbau in unserer Nachbarschaft.

Das Bautempo ist der Wahnsinn: Es kommt mir vor wie letzte Woche, dass sich das erste Pärchen seinen Bauplatz ausgesucht hat – und jetzt gibt‘s hier ein Neubaugebiet mit fünf Eigenheimen. Dabei kommen die Bauherren, soweit ich das beurteilen kann, ganz ohne Fertigteile und serielles Bauen aus. Wenn man bei Lärmschutz und Dämmung ein paar Abstriche macht, geht es offenbar auch in traditioneller Holzbauweise zügig voran.

Allerdings gibt es auch in der neuen Öko-Siedlung erste Probleme: Ein Pärchen hat mit einem wahren Prunkbau vorgelegt. Hoch, stabil, bestens ausgebaut. Die Nachbarn von nebenan sind sichtlich neidisch und versuchen mitzuhalten. Dass es klappt, glaube ich allerdings nicht: Er hängt eigentlich nur den ganzen Tag vor der Baustelle rum, und sie wirkt beim Innenausbau ziemlich planlos.

Und wenn einer protzt, beginnt eben auch der Konkurrenzkampf. Plötzlich wird nachts Material vom Nachbargrundstück entwendet, hochwertige Bauteile verschwinden, und der eine oder andere Querbalken wechselt ungefragt den Besitzer. Ich habe sogar beobachtet, wie ein Bauherr mit großem Geschrei einen Eindringling aus dem Rohbau vertrieben hat.

Ich überlege ernsthaft, ob ich mal das Bauamt informiere. Allerdings müssten die darauf auch schon selbst aufmerksam geworden sein – vorausgesetzt sie haben nach oben geschaut. Denn die Bautätigkeiten finden in drei Meter Höhe mitten auf dem Köbelinger Markt in Hannover statt. Fünf Krähen-Pärchen haben sich die Bäume vorm Rundblick-Büro als exklusives Neubaugebiet gekrallt und setzen bei der Nachverdichtung neue Maßstäbe – nicht unbedingt im Einklang mit der NBauO, dafür aber gemäß dem Einfügungsgebot nach §34 BauGB.

Einer der letzten verbliebenen Häuslebauern in Niedersachsen: Diese Krähe. | Foto: Link

Ich gebe der Krähen-Idylle allerdings maximal zwei Jahre, bevor das alles politisch durchreguliert wird. Vermutlich gibt es bis dahin eine Baugenehmigungspflicht inklusive Umweltverträglichkeitsprüfung für Wohnungsbau im Baum, die Einführung einer Luftgrundsteuer und ein Förderprogramm für nachhaltige Nester mit Verwendungsnachweis. Und spätestens wenn das erste Nest wegen nicht genehmigter Dachaufstockung rückgebaut werden muss, das Bauamt eine Krähensitzung einberuft und der erste Verband die Einführung der Nestmietpreisbremse fordert, wissen wir: Das Experiment „unbürokratisches Bauen“ ist gescheitert. Dann werden auch die Krähen einsehen müssen, dass es ohne ein eigenes Ministerium für Luftwohnungsbau einfach nicht geht.

Eigentümerversammlung im Krähen-Neubaugebiet. | Foto: Link

Während die Krähen ohne Vorschriften und lange Genehmigungsprozesse glücklich sind, geht es in Niedersachsen komplizierter zu. Ein paar Beispiel dafür finden Sie in den Themen der heutigen Ausgabe:

■ Kriminalität: Im Baum gibt es mal Streit um Nistmaterial, doch das ist nichts im Vergleich zur Kriminalität in Niedersachsen. Die Fallzahlen sind 2024 zwar wieder gesunken, doch Gewaltdelikte bleiben ein großes Problem – besonders im häuslichen Umfeld. Innenministerin Behrens sieht Handlungsbedarf.
■ Marode Bahnschienen: Während fünf Krähenpaare in Rekordzeit ein neues Wohngebiet hochziehen, kommt die Bahn bei der Sanierung kaum voran. Die Strecke zwischen Hamburg und Hannover bleibt überlastet, ein Neubau wäre die Lösung – doch der ist politisch bislang nicht gewollt.
■ Schulanfänger mit Problemen: Ein neues Umfeld kann herausfordernd sein – nicht nur für Jungkrähen, sondern auch für viele Schulanfänger in Niedersachsen. Sprachliche und motorische Defizite nehmen zu, Experten fordern eine engere Zusammenarbeit zwischen Kitas und Schulen.

Mit herzlichen Grüßen von mir und meinen neuen Nachbarn verbleibt,
Ihr Christian Wilhelm Link