TagesKolumne: Zwei Jahre Krieg
Ich bin im Kalten Krieg aufgewachsen. Wenn es eine Gewissheit gab, dann: Frieden ist das Wichtigste. Meine ersten Demo-Erfahrungen sammelte ich als Teenager, während des ersten Krieges der USA gegen Saddam Husseins Irak. „Kein Blut für Öl“, skandierten wir. Ich ahnte vage, dass es komplizierter ist als das, aber es klang griffig. An Frieden zu glauben, war später der kleinste gemeinsame Nenner zwischen dem konservativen katholischen Milieu, aus dem ich kam, und den links-alternativen und feministischen Werten, die an den geisteswissenschaftlichen Fakultäten den Ton vorgaben.
Vor zwei Jahren, mit dem Angriff Putins auf die Ukraine, wurde diese Gewissheit über den Haufen geworfen. Deutschland war in blau und gelb getaucht. Plötzlich sah es so aus, dass „unsere“ Werte – so unterschiedlich das auch ist, was jede und jeder darunter versteht – am Rand Europas nicht anders als mit Waffengewalt verteidigt werden können. Vor einer Weile interviewte ich eine Frau, die nach ihrer Flucht nach Deutschland wieder in die Ukraine zurückgekehrt war. Ich staunte über die Wärme, mit der die zierliche Frau von der ukrainischen Armee sprach. Sie erzählte von Familienvätern, die freiwillig in den Krieg zogen, von einem Kollegen, für den die Pensionierung schon in Sichtweite war und der trotzdem noch die Uniform anzog. Sie selbst trug einen Blouson im hippen 90er-Jahre-Retro-Chic, üppig mit traditionellen Folklore-Motiven bestickt. Ein bisschen bewunderte ich diesen modisch zur Schau getragenen Patriotismus einer toughen Frau im mittleren Alter.
Die Welt hat sich verändert in diesen zwei Jahren – und Niedersachsen auch. Das beleuchten wir heute in einer Spezial-Ausgabe des Rundblicks zum zweiten Jahrestag des Ukraine-Krieges:
· Zwar werden am Schwarzen Meer unsere Werte verteidigt. Aber in der EU geht es ja nicht nur um Werte, sondern auch um Märkte. Mit einem EU-Beitritt der Ukraine würde die niedersächsische Landwirtschaft einen schlagkräftigen Konkurrenten im Binnenmarkt bekommen, weiß Niklas Kleinwächter.
· Die Solidarität mit der Ukraine bröckelt – quer durch die politischen Lager, beobachtet Klaus Wallbaum. An der berüchtigten Moskau-Connection der SPD kann es also nicht mehr liegen. Aber vielleicht beruhte die ohnehin mehr auf der Wahlverwandtschaft breitbeiniger Herren als auf einer sozialdemokratisch-postsozialistischen Utopie?
· Geflüchtete Schülerinnen und Schüler sind mehrheitlich gut in den Schulen angekommen. Doch es gibt auch solche, die sich komplett verweigern, sagt der Philologenverband. Und für geflüchtete Lehrkräfte ist der Jobeinstieg schwierig, habe ich erfahren.
· Als neulich in Unterlüß eine Munitionsfabrik eröffnet wurde, kamen mehrere hundert Menschen, um den Bundeskanzler auszubuhen – aber keine Pazifistinnen, sondern protestierende Bauern. Christian Wilhelm Link beschreibt, wie schnell die Aufrüstung Akzeptanz fand und wie mühsam sie umzusetzen ist.
War es früher billig, für Frieden zu sein, so lange die Kriege weit weg waren? Ich glaube, das ist es nie. Denn Gewalt ist in jeder Gesellschaft gegenwärtig, und wer sie aufspürt, macht sich keine Freunde. Billig ist es nur, Frieden von Anderen einzufordern.
Ich wünsche Ihnen und mir, dass dieser Donnerstag so friedlich wie möglich wird!
Ihre Anne Beelte-Altwig
Karrieren, Krisen & Kontroversen
Meilensteine der niedersächsischen Landespolitik
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