Das rote Licht bleibt derzeit aus, vom Corona-Lockdown ist auch das „älteste Gewerbe der Welt“ nicht ausgenommen. Ginge es jedoch nach einigen Bundespolitikern von SPD und Union, würde dieser Zustand auch dann nicht enden, wenn alle anderen Betriebe wieder öffnen dürfen. In Teilen der Großen Koalition in Berlin sieht man nämlich den richtigen Moment gekommen, das Rotlicht-Gewerbe  gänzlich stillzulegen und die Prostitution wieder zu verbieten. Seit bald einem Jahr existiert ein entsprechender Vorschlag, unterzeichnet etwa vom SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach oder dem früheren CDU-Gesundheitsminister Hermann Gröhe.

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Knapp 18 Jahre, nachdem in Deutschland Prostitution offiziell als Beruf anerkannt wurde, wünscht man sich nun eine Umorientierung. Vorbild soll das sogenannte „Nordischen Modell“ sein, also eine Prostitutionspolitik, wie sie in Schweden, Norwegen und Island angewendet wird. Dieses Modell sieht vor, dass zwar nicht das Anbieten, wohl aber die Inanspruchnahme von sexuellen Dienstleistungen kriminalisiert wird. Anders als früher macht sich dann also nicht die Prostituierte, sondern der Freier strafbar. Flankiert wird dieser Schritt mit Ausstiegshilfen und Aufklärungsangeboten. Ist das ein guter Weg?

FDP: Gesellschaftliche Realität anerkennen

Die FDP-Fraktion im niedersächsischen Landtag sieht das nicht so. Am heutigen Mittwoch bringt sie deshalb einen Entschließungsantrag ins parlamentarische Verfahren ein, der das Sexkaufverbot nach dem Nordischen Modell ablehnt. Die Freidemokraten wollen, dass der Landtag Prostitution als „gesellschaftliche Realität“ anerkennt, eine Kriminalisierung von gekauftem Sex ablehnt und stattdessen proaktiv an der Reformierung des Prostitutionsschutzgesetzes auf Bundesebene mitwirkt. Ergänzend soll die Landesregierung Hilfsangebote für die knapp 3000 sogenannten Sexarbeiterinnen (und natürlich auch für die Sexarbeiter) in Niedersachsen weiterhin unterstützen und Geld in Informationsangebote sowie Weiterbildungsprogramme investieren.

Den Betroffenen soll der Zugang zu Schutzräumen, medizinischer Versorgung und rechtlicher Beratung so einfach wie möglich gemacht werden. Außerdem soll zur Vorbereitung auf die bevorstehende Überprüfung des Prostitutionsschutzgesetzes, die im kommenden Jahr beginnen soll, eine entsprechende Studie in Auftrag gegeben werden, damit Niedersachsen in dieser Angelegenheit sprechfähig ist.

Die beste Lösung ist diejenige, die den Betroffenen hilft, und nicht die, die nach dem Prinzip ‚aus dem Auge, aus dem Sinn‘ agiert.

Zustimmung erfährt diese Sichtweise auch innerhalb der Grünen-Landtagsfraktion. „Wir dürfen es uns nicht zu einfach machen“, erklärt deren frauenpolitische Sprecherin Imke Byl auf Rundblick-Anfrage. „Die beste Lösung ist diejenige, die den Betroffenen hilft, und nicht die, die nach dem Prinzip ‚aus dem Auge, aus dem Sinn‘ agiert.“ Die Grünen wollen ebenso wie die FDP die Rechte und Hilfsangebote für Sexarbeiterinnen stärken, statt sie mit einem Verbot für Sexarbeit oder Sexkauf in die Illegalität zu drängen. „Fakt ist: Menschenhandel und auch Zwangsprostitution sind auch in Deutschland verboten“, sagt Byl, deshalb könne auch jetzt schon dagegen vorgegangen werden.

Ziel der Politik müsse die Bekämpfung von Stigmatisierung und Ausbeutung sein, nicht deren Steigerung. Die Grünen-Politikerin fürchtet, dass eine Gesetzesänderung die Notlage vieler Betroffener aber noch verschärfen würde und verweist dabei auf jene Länder, in denen es das Sexkaufverbot bereits gibt. Dort seien die Prostituierten nun ihren Freiern deutlich stärker ausgeliefert. Außerdem seien die Risiken für die Gesundheit und die finanzielle Sicherheit gestiegen.

Diese Befürchtung teilt auch die niedersächsische Aidshilfe, deren Mitgliedsorganisation Phoenix sich speziell an Sexarbeiterinnen wendet. Bei der Aidshilfe hält man den FDP-Antrag für „sehr unterstützenswert“, sagt Landesgeschäftsführerin Christin Engelbrecht im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick. „Die Illegalität bringt nichts. Sie erschwert den Hilfsangeboten nur den Zugang zu den Betroffenen.“ Diese Haltung vertritt im Übrigen auch die Diakonie Deutschland, die sich sorgt, künftig mit ihren Hilfsangeboten sonst nicht mehr anzukommen.

Die Ablehnung des „Nordischen Modells“ ist also weit verbreitet – doch wie steht die Regierungskoalition dazu? Niedersachsens Landesregierung hat immerhin erst im September auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Fraktion erklärt, sie teile die Einschätzung von Justizministerin Barbara Havliza (CDU), dass ein Sexkaufverbot nach dem Lockdown nicht durchsetzbar wäre.

Vermutlich keine Mehrheit für „nordisches Modell“

Zudem erklärte die Landesregierung in derselben Antwort, ein Sexkaufverbot insgesamt nicht für sinnvoll zu halten. Der Vorstoß der Gruppe von Bundespolitikern scheint in Niedersachsen also nicht so viel Widerhall zu finden – wenngleich es in den Regierungsfraktionen noch Diskussionen geben dürfte. So erklärte die frauenpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Thela Wernstedt, auf Rundblick-Nachfrage, das „Nordische Modell“ finde in ihrer Fraktion Beachtung. Gleichzeitig, stellte sie fest, dürfe es aber keine „Mit-Kriminalisierung“ der Sexarbeiterinnen geben, weil dadurch die Sexarbeit ins Verborgene abgedrängt werde.

Die SPD-Abgeordnete schlägt stattdessen einen anderen Ansatz vor, wie die prekäre Situation von Prostituierten verbessert und die Gefahr illegaler Zwangsprostitution verringert werden kann: „Sexarbeit ist häufig das Ergebnis eines starken Lohngefälles innerhalb der EU, eine Folge von mangelnder Schulbildung, mangelnder Berufsausbildung und Arbeitslosigkeit. Viele Frauen aus anderen europäischen Ländern kommen nach Deutschland, um hier als Sexarbeiterin für die finanzielle Sicherheit ihrer Familie zu sorgen. An dieser Stelle braucht es Initiativen und Maßnahmen auf europäischer Ebene.“

Spannend bleibt jedoch die Frage, wie sich die CDU-Fraktion schließlich positionieren wird. Die Haltung der Landesregierung lässt zunächst vermuten, dass das „Nordische Modell“ in Niedersachsen keine Mehrheit finden dürfte. Grundsätzlich anders sieht man das jedoch in der mitgliederstarken Frauen-Vereinigung der CDU. Dass die betroffenen Frauen besser unterstützt werden müssen, findet man zwar auch dort. Gleichwohl hat die Frauen-Union im vergangenen Jahr auf Bundesebene beschlossen, das „Nordische Modell“ eines Sexkaufverbots auch für Deutschland zu fordern – und vertritt damit die Gegenposition zur verbreiteten Haltung. „Der Körper der Frau ist keine Ware. Prostitution ist für uns kein Beruf wie jeder andere“, heißt es in einer Erklärung aus dem Juni 2020. Die Unionsfrauen fordern, den Kauf von Sex zu stigmatisieren und nicht die Prostituierten, die ihn anbieten. Beim staatlichen Umgang mit Prostitution solle es einen Perspektivwechsel geben.

Statt der Ausstellung von Gewerbescheinen für Prostitutionsbetriebe solle der Schutz der Prostituierten im Mittelpunkt staatlichen Handelns stehen. Das Gewerbe solle für Menschenhändler und Zuhälter „wirtschaftlich unattraktiv“ gemacht werden. Von der Bundesregierung fordert die Frauen-Union, deren Bundesvorsitzende die Integrationsstaatsministerin Annette Widmann-Mauz ist, den Sexkauf generell unter Strafe zu stellen. Außerdem solle der Zwang zur Prostitution rechtlich und personell stärker geahndet werden.

Von Niklas Kleinwächter