Hinter den Kulissen wird in diesen Wochen zwischen Landtagspolitikern, Kommunalverbänden und Fachjuristen heftig um einige Details des Kommunalwahlrechts gerungen. Während die Koalition im Landtag darüber diskutiert, ob man das Auszählungssystem für die kommunalen Mandate verändern sollte, damit ein Übergewicht der kleinen Gruppierungen und Einzelbewerber vermieden wird, richten sich die Blicke in der kommenden Woche vor allem auf die Sitzung des Kreistages in Hameln-Pyrmont. Dort muss entschieden werden, wie mit zwei Einsprüchen gegen die Stichwahl zum Landrat, die am 5. April stattgefunden hatte, umgegangen werden soll. Nach Informationen des Politikjournals Rundblick ist der Fall weitaus brisanter als bisher angenommen.

Streit in Hameln-Pyrmont

Die Wahl zum neuen Landrat in Hameln-Pyrmont war am 8. März, als von Corona zwar schon die Rede war, noch kaum jemand aber mit der Krise rechnete. Die Stichwahl zwischen den bestplatzierten Dirk Adomat (SPD) und Torsten Schulte (Grüne) sollte eigentlich zwei Wochen später sein, doch inzwischen kamen die Corona-Beschränkungen. So verständigten sich die Hamelner Kreisverwaltung und das Innenministerium darauf, die Stichwahl als verpflichtende Briefwahl abzuhalten. Als Sieger stand danach Adomat mit 51,1 Prozent fest, die Wahlbeteiligung lag bei 45,7 Prozent.

Gegen diese Abläufe haben zwei Bürger des Kreises Einspruch eingelegt, über den der Kreistag nun kommenden Dienstag befinden soll. Die Bürger erklären, zum einen gebe das Bundes-Infektionsschutzgesetz die Möglichkeit zu einer zwangsweisen Briefwahl nicht vor, allenfalls das Verschieben der Stichwahl oder der Abbruch des Wahlverfahrens seien möglich gewesen. Außerdem weisen die Bürger darauf hin, dass eine Zwangs-Briefwahl gefährlich sei, denn sie könne leicht manipuliert werden, wenn etwa Nachbarn oder Verwandte die Stimmzettel ausfüllen oder den Wähler beim Wahlvorgang massiv beeinflussen.

Hatte die Zwangs-Briefwahl in der Corona-Hochphase gewonnen: Der SPD-Politiker Dirk Adomat – Foto: Dirk Adomat

Neue Nahrung bekommen die Kritiker von einem Rechtsgutachten des Wissenschaftlichen Dienstes im Bundestag, das Ende März 2020 angefertigt wurde. Darin heißt es: „Die Regelung einer reinen Briefwahl würde den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Vorgaben für die Umsetzung und Konkretisierung der Wahlgrundsätze nicht gerecht.“ Das heißt: Da die Wahl frei, geheim, öffentlich und allgemein sein soll, aber bei Briefwahlen die Missbrauchsgefahr hoch sei, dürfe die Briefwahl nur eine Ergänzung sein – ein Angebot an jene Wähler, die am Wahltag nicht im Wahllokal sein können.

Eine Zwangs-Briefwahl für alle aber schränke die Wahlrechtsgrundsätze ein. Sie ist damit offenbar aus Sicht der Bundestags-Experten unzulässig. Ob dieses Gutachten die Kreistagsabgeordneten am Dienstag beeindruckt und zur Wiederholung der Landratswahl animiert, bleibt bisher unklar.

Debatte um Auszählverfahren

Unabhängig vom Hamelner Fall wird hinter den Kulissen der rot-schwarzen Regierungskoalition im Landtag derzeit heftig über das Kommunalwahlrecht gerungen. Zum einen geht es um den Kommunalwahltermin, der möglichst gekoppelt werden soll mit dem – noch nicht feststehenden – Bundestagswahltermin. Es heißt, Bundestagswahlen könnten wohl am 19. oder 26. September 2021 sein. Die SPD möchte gern, dass am Tag der Bundestagswahl die Stichwahlen sind, die gemeinhin zwei Wochen nach der Kommunalwahl sein werden.


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Wenn das so käme, müssten die Kommunalwahlen am 5. oder 12. September 2021 sein. Die CDU hätte es lieber, die Bundestagswahlen mit den Kommunalwahlen zu verknüpfen (dann könne ein Bundes-Rückenwind der CDU in den Kommunen helfen). Wenn es so sein sollte, müssten die Stichwahlen am 3. oder 10. Oktober 2021 sein. Parallel diskutiert die Koalition auch noch, ob im Vorfeld der Kommunalwahl die Rechtsvorschriften angepasst werden sollen. Bisher gilt für die Ermittlung der kommunalen Mandate das Auszählverfahren nach der Methode von Hare/Niemeyer.

Seit langem führen Kommunalvertreter die Klage, dieses System begünstige die kleinen Gruppierungen und Einzelbewerber überproportional und sorge somit für eine „Zersplitterung“ der Räte, für eine Vielzahl unterschiedlicher Gruppen und Fraktionen, die am Ende eine Mehrheitsbildung in der Kommune enorm erschwerten. So gibt es Berechnungen, dass 2016 etwa in Oldenburg die SPD für jedes ihrer Mandate 4250 Stimmen brauchte, die Piratenpartei aber nur 2450 Stimmen. Bereits seit langem gibt es daher Forderungen, zur alten Methode von d’Hondt zurückzukehren – denn d’Hondt steht im Ruf, die Begünstigung kleiner Gruppierungen abzustellen. Daneben werden noch Rufe laut, eine Drei-Prozent-Hürde einzuführen – die all den Vereinigungen, die bei der Wahl darunter bleiben, keinen Anspruch auf ein Mandat im Rat oder Kreistag zubilligt.

Dämpfer über ein Urteil aus Nordrhein-Westfalen

Die niedersächsischen Überlegungen, das Kommunalwahlrecht anzupassen, sind jüngst durch Rechtsprechung im Nachbarland NRW gedämpft worden. Dort haben die Verfassungsrichter ähnliche Pläne nämlich durchkreuzt. Die Einführung einer Drei-Prozent-Klausel kann demnach nur gerechtfertigt sein, wenn andernfalls die Handlungsfähigkeit der Kommunalvertretung nicht mehr gesichert werden kann. Davon kann allerdings bisher in Niedersachsen wohl nicht die Rede sein. Außerdem wird in dem Urteil die Methode von d’Hondt, die von vielen Kommunalexperten herbeigesehnt wird, als „veraltet“ und durch wissenschaftliche Untersuchungen überholt bezeichnet. Damit sind die Chancen einer großen Reform der Kommunalwahlvorschriften derzeit wohl relativ gering.

Klaus Wallbaum