Ob im Schwerlastverkehr, in der Luft, auf dem Meer oder auf der Schiene: Wasserstoff wird immer wichtiger. | Foto: Daimer Truck, Airbus, HESC, Alstom

Ganz Deutschland schaut aufs Erdgas. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine kommt der eigentlich schon abgeschriebene Energieträger noch einmal zu außergewöhnlicher Bedeutung. Doch Methan, Ethan oder Propan sind nicht mehr als eine Brückentechnologie. Das Gas der Zukunft heißt Wasserstoff und erfreut sich schon jetzt größter Beliebtheit. Gleich drei Ministerien in Niedersachsen wollen der klimafreundlichen Technologie zum Durchbruch verhelfen. Neben Energieminister Olaf Lies und Wirtschaftsminister Bernd Althusmann arbeitet auch Europaministerin Birgit Honé auf den Aufbau einer ganzheitlichen Wasserstoffwirtschaft hin, denn ohne Unterstützung aus Brüssel geht es nicht.

„Wasserstoff kann uns helfen, unabhängiger und souveräner zu werden“, sagte Honé kürzlich bei einer Online-Veranstaltung zur Wasserstoff-Mobilität. Insbesondere auf dem Verkehrssektor könne Niedersachsen mit den Einsatz von Wasserstoff eine Vorreiterrolle einnehmen. Doch wie fortgeschritten sind die Wasserstoff-Projekte zwischen Harz und Küste? Eine Übersicht.

Wasserstoff ist nicht überall sinnvoll

„Ohne Wasserstoff ist es aus mit der Klimaneutralität“, sagt Felix Matthes vom Öko-Institut. Der Energieexperte, der auch Mitglied im nationalen Wasserstoffrat ist, hält die Einsatzmöglichkeiten des farblosen Energieträgers allerdings für begrenzt. „Ich sehe keine Zukunft für Wasserstoff bei Personenkraftwagen und im Leichtkraftverkehr. Ich bin skeptisch bei Zügen. Im Schwerlastverkehr ist das Rennen offen“, sagt der Umweltökonom. Ganz offen kritisierte er das Pilotprojekt zum Einsatz von Wasserstoffbussen in Bremerhaven. „Das ist erkennbar in den Sand gesetztes Geld“, sagt Matthes.

Felix Matthes ist Mitglied des Nationalen Wasserstoffrats (NWR). | Foto: Öko-Institut

Aus seiner Sicht fehlt bei der Wasserstoffstrategie ein klarer Fokus, sodass zu viele unnötige Projekte gefördert werden. „Praktisch ist das so: Jeder, der einen Finger hebt, kriegt eine Milliarde. Das bedeutet, dass wir in keinem der Bereiche ein Momentum kriegen.“ Laut Matthes müsse Wasserstoff vor allem dort zum Einsatz kommen, wo es keine andere Möglichkeit zur Dekarbonisierung gibt: Bei der Produktion von Stahl, Chemie und Zement sowie im Flug- und Schiffsverkehr.

Matthes hat auch deswegen eine sehr geerdete Sicht auf die Dinge, weil er derzeit schon den dritten Wasserstoff-Hype erlebt. „Im Gegensatz zu den beiden anderen Wellen wird diese aber nicht ausplätschern“, meint er. Denn Wasserstoff spiele mittlerweile in vielen Bereichen eine Rolle und hat ein großes Querschnittspotenzial. Der Energieforscher sagt aber deutlich: „Wasserstoff wird zwar wichtiger werden. Aber für das, was in den nächsten zwei bis vier Jahren passiert, wird er keinen Beitrag leisten.“ Noch handele es sich um einen teuren und knappen Rohstoff, der in den nächsten zehn Jahren „eine fördermittelintensive Veranstaltung“ sein werde. Matthes‘ Hypothese lautet: „Die entscheidende Dynamik beim Wasserstoff wird sich erst Ende der 20er Jahre, Anfang der 30er vollziehen.“

Zu Gast in Berlin: Daimler Truck zeigt Brennstoffzellen-Lkw und wirbt für Aufbau von Wasserstoff-Tankinfrastruktur. | Foto: Daimler Truck

Wasserstoff als Lastwagen-Kraftstoff?

„Wir können Wasserstoff“, lautet das Motto der H2 Mobility GmbH, die in Deutschland ein Netz von Wasserstofftankstellen aufbaut. Zu den Gesellschafter gehören unter anderem Hyundai, Shell und Daimler Truck. Der weltweit größte Nutzfahrzeughersteller will ab 2027 den „GenH2 Truck“ in Serienfertigung herstellen, einen mit flüssigem Wasserstoff angetriebenen Brennstoffzellen-Lastwagen mit einer Reichweite von bis zu 1000 Kilometern und mehr. Laut Nora Oberländer von H2 Mobility wird der futuristische Truck diese Reichweite in Deutschland allerdings nicht benötigen. Ziel des Tankstellenbetreibers ist es, an Lastwagen-Korridoren auf Autobahnen alle 150 Kilometer und in jedem städtischen Knotenpunkt mindestens eine Wasserstofftankstelle anzubieten.

„In Niedersachsen kommt man schon jetzt eigentlich über sehr gut hin“, sagt Oberländer und verweist auf landesweit sechs Wasserstoff-Tankstellen, zwei weitere seien im Bau. Neben langen Genehmigungsverfahren und zu wenig geeigneten Flächen gebe es beim Aufbau der Wasserstoff-Infrastruktur es auch noch ein Henne-Ei-Problem. „Es gab lange Zeit mehr Infrastruktur als Fahrzeuge“, sagt Oberländer. Zudem müsse die Wasserstofferzeugung unbedingt günstiger werden. Der Eingangsstrompreis dürfe höchstens sieben bis neun Cent betragen.

Airbus will mit Wasserstoff fliegen

Europas größter Flugzeughersteller Airbus arbeitet derzeit an der klimafreundlichen Revolution des Luftverkehrs. Bis 2035 will der Konzern das weltweit erste Null-Emissions-Flugzeug auf den Markt bringen. ZEROe heißt das Modell, das laut Vorstandsmitglied Nicole Dreyer-Langlet aus einer Kombination von Brennstoffzellen, Gasturbinen, Elektromotoren und flüssigem Wasserstoff angetrieben wird.

Das Passagierflugzeug Airbus 380 dient als Testplattform für den ZEROe-Demonstrator. | Foto: Airbus

„Wir haben die Kompetenzen und die Technologie, solch ein Flugzeug zu bauen. Aber wir können kein wasserstoffbasiertes Flugzeug betreiben, wenn nicht weltweit die Infrastruktur zur Verfügung steht“, sagt die Airbus-Vizepräsidentin für Forschung und Entwicklung. Ihre Schreckensvision: „Der Super-Gau wäre es, wenn wir nachher die Technik haben, aber nur von Frankfurt nach New York fliegen können, weil der Rest der Welt nicht die nötige Infrastruktur hat.“

Wasserstoff auf hoher See kaum ein Thema

Die Schifffahrt habe lange Zeit als „Schmuddelkind der Transportbranche“ gegolten, sagt Katja Baumann von der Mariko GmbH aus Leer. Doch die Geschäftsführerin des Maritimen Kompetenzzentrums stellt klar: „Gemessen an dem transportierten Gut sind wir schon heute der energieeffizienteste Verkehrsträger.“ Laut Baumann werden Frachtschiffe derzeit zu 99 Prozent mit fossilen Kraftstoffen angetrieben, was sich bis 2030 allerdings ändern muss. Bis dahin muss der CO2-Ausstoß im Schiffsverkehr um 55 Prozent gesenkt werden.

„Wir sehen Wasserstoff als Baustein, aber nicht als Allheilmittel der Energiewende“, sagt Baumann. Für die Schiffe in Küstennähe sowie für Arbeitsboote in Häfen sei Wasserstoff zwar eine Option. Für die Seeschifffahrt sei der Energieträger im Gegensatz zu etwa Ammoniak, Biodiesel, LNG oder Flüssigmethan aber uninteressant. „Realistischer wird es sein, synthetische Kraftstoffe einzusetzen – aber auch hier wird es schwierig sein, die nötigen Mengen zu bekommen.“ Das größte Potenzial für die Anwendung von Wasserstoff im maritimen Bereich sieht Baumann darin, dass die Häfen zu „Energiedrehscheiben“ bei der Verteilung von grünem Wasserstoff werden.

Die „Suiso Frontier“ von Kawasaki ist der erste Transporter speziell für flüssigen Wasserstoff. Das Schiff fasst 75 Tonnen. | Foto: Hydrogen Energy Supply Chain Project

LNG-Terminals: Erst Methan, dann Wasserstoff

Bislang hat Deutschland tief und fest den Trend zum Flüssiggas verschlafen. 37 LNG-Terminals gibt es bereits in Europa, davon kein einziges in der Bundesrepublik. Selbst die Niederlande sind mit ihrem erst 2011 gestartete Flüssiggas-Termin in Rotterdam erst relativ spät auf den fahrenden Zug aufgesprungen. Noch viel größere und ältere LNG-Umschlagplätze gibt es zum Beispiel bei London auf der Isle of Grain (2005), im türkischen Izmir (2006) oder in Barcelona (1969). Die drei geplanten deutschen Terminals in Brunsbüttel, Stade und Wilhelmshaven würden nach derzeitigem Stand voraussichtlich 2026 in Betrieb gehen. Was die Kapazität betrifft, käme immerhin Stade mit 12 Milliarden Kubikmetern Flüssiggas pro Jahr in die europäischen Top 10. Die Gesamtkosten für das Megaprojekt werden voraussichtlich bei über einer Milliarde Euro liegen. Zusammen sollen die deutschen LNG-Terminals ein Volumen vom 30 Milliarden Kubikmetern haben, was etwa einem Drittel des heutigen Erdgasbedarfs entspricht.

„Um die Wirtschaftlichkeit der Terminals auch langfristig zu gewährleisten, sollten diese zukunftsorientiert so konzipiert werden, dass sie auch für eine zukünftige Wasserstoffversorgung genutzt werden können“, fordert Prof. Detlef Stolten, Direktor des Instituts für Energie- und Klimaforschung am Forschungszentrums Jülich (FZJ). Der deutsche Wasserstoffbedarf wird laut einer FZJ-Studie nämlich bis 2050 auf 12 Millionen Tonnen pro Jahr steigen, wovon etwa 55 Prozent importiert werden müssen. Das würde die Kapazitäten der drei LNG-Terminals weit übersteigen.