Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hat sich in seiner Rede beim Neujahrsempfang der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers zu den Vorfällen in der Silvesternacht geäußert. Er nannte die Vorgänge, bei denen Polizei, Feuerwehr und Rettungskräfte mit Böllern und Feuerwerksraketen beschossen wurden, „Exzesse, die kaum zu begreifen sind“. Im nächsten Satz fügte der Regierungschef dann hinzu: „Es ging den Randalierern offenbar auch um ein großes persönliches Vergnügen, und dieses Vergnügen war ihnen wichtiger als alle Gefahren, Schäden und Risiken, die sie damit ausgelöst haben.“

„Schrankenlose Freiheit kann niemand von uns beanspruchen“, stellt Ministerpräsident Stephan Weil in seiner Ansprache beim Epiphanias-Neujahrsempfang in Loccum klar. | Foto: Keinwächter

Diese Vorfälle hätten „bei den meisten Bürgern mit Recht Fassungslosigkeit ausgelöst“. Weil erwähnte diese Ereignisse, um damit seine Grundthese zu untermauern, dass die persönliche Freiheit nie auf dem Rücken anderer Menschen ausgelebt werden dürfe, „auch nicht auf dem Rücken nachfolgender Generationen“. Ein anderes Beispiel sei die Debatte über Corona-Schutzvorkehrungen, bei denen Menschen Einschränkungen zum Schutz der Gesundheit anderer zugemutet werden. Weil sagt dazu: „Ein ungezügelter Egoismus nach dem Motto ,Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht‘ kann nicht der Maßstab unseres Zusammenlebens sein.“

Der traditionelle Neujahrsempfang im Kloster Loccum (Kreis Nienburg/Weser) ist seit vielen Jahren der Auftakt des politischen Jahres. Im Mittelpunkt stehen dabei die Reden des jeweiligen Landesbischofs und des Ministerpräsidenten. In den vergangenen beiden Jahren war der Empfang Corona-bedingt ausgefallen. Dass Weil die Vorkommnisse in der Silvesternacht thematisierte, passt auch zu der aktuellen Debatte in Deutschland. Dabei geht es auch um die Frage, wie die Gewaltaktionen der Tätergruppen einzuschätzen sind, ob es sich um ausufernde Feierlichkeiten handelt oder um gezielte Gewaltaktionen gegen die Repräsentanten des Staates. Auch die Frage nach der Herkunft und politischen Orientierung der Täter wird diskutiert. Das Innenministerium in Hannover teilte mit, die Abfrage bei den Polizeieinrichtungen über die Vorkommnisse und die identifizierten Tätergruppen laufe noch, eine Übersicht liege noch nicht vor.



In seiner Rede schlug Weil noch einen Bogen zu anderen aktuellen Themen. Er dankte den Kommunen und Hilfsorganisationen für die Aufnahme der mehr als hunderttausend Flüchtlinge, die vor allem aus der Ukraine zu uns kamen. Dieses Engagement „brauchen wir aller Voraussicht nach auch in diesem Jahr dringend“, sagte Weil. Der von Kanzler Olaf Scholz geprägte Begriff „Zeitenwende“ sei sehr umfassend. So sei die Digitalisierung „nicht nur eine wirtschaftliche Sprunginnovation, sondern auch eine Kulturrevolution für Information, Kommunikation und unseren Alltag insgesamt. Wir erleben eine grundlegende Veränderung unseres Lebens – in vielerlei Hinsicht und so gut wie gleichzeitig. Oder, um es literarisch auszudrücken: die Zeit ist aus den Fugen.“ Als Antwort seien „Weitsicht, Entschlossenheit und Klugheit“ gefragt. Die Politik müsse Entscheidungen gut vermitteln, das müsse klar und eindeutig geschehen. „Es muss darum gehen, Vertrauen und Sicherheit zu vermitteln.“ Die Landtagswahlen mit der großen Unterstützung für demokratische Parteien habe gezeigt, dass Niedersachsen „erkennbar eine starke demokratische Substanz“ habe. Aber im Wahlkampf habe er „eine bis dahin bei uns nicht gekannte Aggressivität in der öffentlichen Auseinandersetzung“ erlebt.

„Religionen müssen lernfähige und zur Selbstkorrektur fähige Gemeinschaften sein“, betonte Landesbischof Ralf Meister. | Foto: Kleinwächter

Landesbischof Ralf Meister beschäftigte sich in seiner Rede vor allem mit der Situation der christlichen Kirchen, die unter Mitgliedsverlusten leiden. „Religionen müssen lernfähige und zur Selbstkorrektur fähige Gemeinschaften sein“, betonte er. Bleiben werde auf jeden Fall die Kraft des Christentums, seine Ausdrucksformen in Musik, Kunst, Klöstern und Kirchenbauten – vor allem aber die „überwältigende Barmherzigkeit und Seelsorge, die unser Land formt“. Als Herausforderung für die Kirchen bleibe auch die Kombination von viel Reichtum und wenig sozialer Verantwortung, wie es sich etwa bei „westlichen Oligarchen Bezos, Musk und Zuckerberg“ zeige. Die Religion als „leichte, ungreifbare, schwebende spirituelle Macht“ ziehe immer noch viele Menschen in die Gottesdienste, vor allem zu Weihnachten.