Foto: Eoneren (Getty Images)

Als ich eine neue E-Mail in meinem Postfach öffne, springt mir in der Signatur sofort „Kein Pronomen/Es“ ins Auge. Die Anmerkung steht direkt unter dem Namen von Robin Ivy Osterkamp, „Referent*in für trans* und nicht-binäre Themen der Landesfachstelle Trans*“. „Ich hoffe, dass ich das ohne Pronomen hinbekomme. Wenn nicht, dann entschuldigen Sie bitte schon einmal im Voraus“, falle ich ein paar Stunden später am Telefon mit der Tür ins Haus. Osterkamp lacht. Vielleicht schon in der Vorausahnung, dass die größte Herausforderung, genderneutrale Personalpronomen zu verwenden, erst noch vor mir liegen wird. 

„In den vergangenen Jahren hat das Thema Transgender ganz schön an Fahrt aufgenommen“, berichtet Osterkamp. Ein deutlicher Anstieg an Anfragen von Jugendlichen, Eltern oder auch Schulen ist in der Landesfachstelle zu beobachten. „Unsere Geschäftsführerin sagt immer: Wenn bei ihr das Telefon klingelt, geht es meist um Trans“, erzählt Osterkamp mit einem Schmunzeln. Das Thema Homosexualität hingegen sei mittlerweile ziemlich in der Gesellschaft angekommen, es gäbe weniger Fragen und der Umgang sei sicherer geworden. Die Landesfachstelle ist eines von vier Netzwerken des „Queeren Netzwerkes Niedersachsen“ (QNN). Osterkamp arbeitet seit 2019 bei QNN und sagt: „Wir sind Fördergeberin und Interessenvertretung für queere Verbände, Selbsthilfegruppen oder auch Vereine.“ Unterstützt wird die Arbeit vom niedersächsischen Sozialministerium, die Gelder werden dann vom Queeren Netzwerk weiterverteilt. „Sozusagen von queeren Communitys für queere Communitys“, sagt Osterkamp.

Selbstbestimmungsgesetz soll Transsexuellengesetz ablösen

Robin Ivy Osterkamp I Foto: privat

Durch die Koalitionsvereinbarung der neuen Bundesregierung ist das Thema Transgeschlechtlichkeit weiter in den Fokus gerückt worden. Das geplante „Selbstbestimmungsgesetz“ soll Rechte stärken und zeitgleich das umstrittene „Transsexuellengesetz“ ablösen. Bisher müssen Betroffene ein Gerichtsverfahren und zwei Gutachten durchlaufen, um ihren Namen und ihren Geschlechtseintrag ändern zu lassen. In diesem Zusammenhang fallen oft Begriffe wie „demütigend“ und „menschenverachtend“. „In der Begutachtung sind transsexuelle Menschen gezwungen, sehr intime Fragen zu beantworten. Da stehen dann Fragen wie: Denken Sie über Sex mit Tieren nach?“, sagt Dominik Ruder, Vorstand des Queeren Netzwerkes Gifhorn. Die Kosten für die Gutachten liegen bei rund 2000 Euro und müssen meist aus eigener Tasche bezahlt werden.

Osterkamp hat dieses Prozedere 2017 selbst durchlaufen, im Alter von 21 Jahren. Damals wurden zwei Psychologen vom Gericht zugeteilt, die jeder innerhalb von ein bis zwei Stunden den ihnen unbekannten Menschen analysieren sollten. „Sie versuchen etwas zu diagnostizieren, was sich aber nicht diagnostizieren lässt.“ Die Psychologen arbeiteten die Biographie ab, sprachen mögliche Traumata an und setzten einen großen Fokus auf das Sexualleben. „Das war der anstrengende Teil. An vielen Stellen war es auch echt übergriffig und hatte eigentlich gar nichts mit der Sache zu tun.“ Da fielen Fragen zu den Präferenzen bei Sex-Toys, zur Häufigkeit bei der Selbstbefriedigung oder zur Beziehung zum eigenen Genital. „Es entsteht ein extremes Machtgefälle. Man hat das Gefühl, dass man keine Aussage verweigern darf. Schließlich entscheidet diese Person vor dir über dich.“ Einiges sei am Rande der Pseudowissenschaft gewesen. Etwa als Osterkamp Bälle fangen und so Rückschlüsse auf die Sexualität gezogen werden sollte. Eine weitere Hürde: Damals gab es den Geschlechtseintrag divers noch nicht.

„Für die meisten ist es eine innere Gewissheit. Ein Gefühl, dass die Bezeichnung oder Einteilung in ein Geschlecht nicht passt.“

Robin Ivy Osterkamp

Mit dem Selbstbestimmungsgesetz soll man zukünftig bereits ohne Gutachten oder Gerichtsverfahren beim Standesamt den Geschlechtseintrag und seinen Vornamen ändern dürfen – ab 14 Jahren und ohne vorherige Einwilligung der Eltern. Ein Zusatz, der mich bei meiner vorherigen Recherche stutzen lässt. Kann man in der Pubertät bereits zweifelsfrei abschätzen, ob man sich im falschen Körper geboren fühlt?Osterkamp bejaht. „Für die meisten ist es eine innere Gewissheit. Ein Gefühl, dass die Bezeichnung oder Einteilung in ein Geschlecht nicht passt. Wenn ich Sie plötzlich mit ‚Herr‘ ansprechen würde, würde sich das doch auch falsch anhören oder?“

Zuspruch kommt in dieser Frage auch von dem Vorstandsvorsitzenden Ruder: „Auch mit 14 Jahren haben Trans-Menschen durchaus die geistige Reife selbst zu entscheiden, welche Geschlechtsidentität sie für sich wählen. Bereits in der Pubertät fing es bei Osterkamp an. Die Kleidung wurde androgyner, der Umgang mit dem eigenen Geschlecht spielerischer. „Immer häufiger waren die Leute irritiert von meinem Geschlecht und ich dachte: Das fühlt sich gut an. Genau so möchte ich behandelt werden.“ Bereits vor der Änderung des Geschlechtseintrags beginnen die meisten eine Hormontherapie, zum Teil auch eine Geschlechtsangleichende Operation, die im Alter von 18 Jahren empfohlen wird. Davor ist über einen Zeitraum von mindestens einem halben Jahr eine Begleittherapie obligatorisch.

Beratungsstellen hoffen auf mehr Unterstützung aus der Politik

Jetzt richtet sich der Blick gespannt auf die bevorstehende Landtagswahl. Sowohl Osterkamp als auch Ruder wünschen sich gerade bei der Beratung von Transsexuellen mehr Unterstützung – auch finanzieller Art – von der Politik. „Die Anfragen steigen und dennoch müssen viele weiterhin ehrenamtlich arbeiten. Sie sind am Limit“, sagt Osterkamp. „Die zukünftige Landesregierung sollte Kommunen dabei unterstützen, lokal queere Angebote auch langfristig halten zu können und Beratungsstellen zu schaffen. Verbesserungsbedarf gibt es an allen Ecken und Enden“, sagt Ruder. „Die Grüne und Linke sind am ehesten bei dem Thema dabei und haben es auf dem Schirm. Die SPD denkt das ein bisschen mit, ich weiß aber nicht, wie gut sie das auch alleine umsetzen würden“, so Osterkamp.

„Die Landespolitik könnte handfeste, verpflichtende Maßnahmen herausgeben, wie Schule mit der Thematik umgehen sollte.“

Robin Ivy Osterkamp

Ein besonders konfliktbehafteter Bereich ist die Schule. „Hier sind Lehrkräfte überfordert, weigern sich neue Namen und Pronomen zu akzeptieren und zu nutzen“, weiß Ruder aus Erfahrung. Da sei die Politik und insbesondere das niedersächsische Kultusministerium gefragt. „Die Landespolitik könnte handfeste, verpflichtende Maßnahmen herausgeben, wie Schule mit der Thematik umgehen sollte.“ Auch Osterkamp bemängelt fehlende rechtssichere Aussagen von der Landesregierung. Zum Beispiel, ob Lehrer den Namen auf Zeugnissen auf Wunsch des Kindes ändern dürfen, auch wenn der Geschlechtseintrag noch nicht geändert wurde. Ein weiteres Thema seien Unisex-Toiletten, die es in den meisten Schulen bisher nicht gibt. „Wir können nur Empfehlungen aussprechen, die aber nicht hundertprozentig wasserdicht sind. Gäbe es die, so ließe sich auch der Beratungsaufwand für uns abbauen.“ Ein weiterer Ansatz wären für Lehrkräfte verpflichtende Fort- und Weiterbildungen zum Thema Diversität, sagt Ruder. Seit ein paar Jahren gehen Ehrenamtliche vom Antidiskriminierungsverband „Schlau Niedersachsen“ an Schulen und bieten dort Workshops zu den Themen Homo, Inter- und auch Transsexualität an. Das sollte aber nicht die Regel werden, fordert Osterkamp. „Es kann nicht sein, dass Ehrenamtliche und Betroffene sich um das Thema kümmern und es an die Schulen bringen müssen. Die Ministerien ruhen sich schon ein kleines bisschen darauf aus, dass sie das Projekt finanziell unterstützen. Das reicht aber nicht.“