Vorige Woche jährte sich zum 30. Mal der Todestag von Freddie Mercury. Als die Rock-Legende der Band „Queen“ am 24. November 1991 an einer Lungenentzündung in Folge einer HIV-Infektion starb, markierte das noch einmal einen deutlich sichtbaren Höhepunkt der Aids-Pandemie, die zu diesem Zeitpunkt schon gut ein Jahrzehnt wütete. Wo stehen wir nun im Jahr 2021, inmitten einer neuen sehr bedrohlichen Pandemie, bei der Bekämpfung dieser alten?

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Zunächst die harten Fakten: Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) starben seit Beginn der Aids-Pandemie weltweit 36,3 Millionen Menschen an den Folgen der Erkrankung, die das Immunsystem angreift. Allein im vergangenen Jahr waren es noch 680.000 Todesopfer. Aktuell mit HIV infiziert sind laut BZgA global noch einmal 38 Millionen Menschen. Besonders betroffen sei dabei der Süden Afrikas, aber auch in Osteuropa und Zentralasien ist das Virus auf dem Vormarsch.

Medikamentös versorgt sind dabei weniger als drei Viertel der Infizierten. In der Bundesrepublik ist die Lage derweil etwas entspannter. Rund 91.400 Menschen leben in Deutschland mit HIV, im vergangenen Jahr haben sich 2000 Menschen neu infiziert. Die Tendenz, und das ist ja eindeutig eine gute Nachricht, sei dabei aber sinkend.

Wo stehen wir 40 Jahre nach Beginn der Aids-Pandemie? Jürgen Hoffmann und Christin Engelbrecht haben im Politiknerds-Podcast mit Rundblick-Redakteur Niklas Kleinwächter einen Sachstandsbericht gegeben | Foto: Link

Problematisch ist jedoch die Zahl derer, die nichts von ihrer Infektion wissen. Denn wer nicht um seinen Infektionszustand weiß, kann nicht behandelt werden, und gefährdet zudem auch seine Sexualpartner weiterhin. Die BZgA schätzt, dass etwa 9500 Menschen in Deutschland ihren positiven Status nicht kennen, also nichts von ihrer Infektion wissen. Das führt dazu, dass bei knapp 900 Infizierten jedes Jahr die Krankheit Aids noch immer ausbricht – was aus Sicht der BZgA allerdings vermeidbar wäre. Denn eine Infektion muss schon seit geraumer Zeit nicht mehr zu einem Ausbruch der Krankheit führen, das positive Testergebnis ist also längst kein Todesurteil mehr.

„Diese Bilder sind immer noch da, und sie sind schädlich, weil sie so viel Angst auslösen, dass man sich mit diesem Thema gar nicht beschäftigen will.“

Doch dieses falsche Bild sitzt noch immer tief in den Köpfen der Menschen, stellt Jürgen Hoffmann vom Vorstand der niedersächsischen Aidshilfe im Podcast des Politikjournals Rundblick (auch bei Apple-Podcast zu hören) fest. Im Gespräch mit dem Autoren dieses Textes sagte er: „Diese Bilder sind immer noch da, und sie sind schädlich, weil sie so viel Angst auslösen, dass man sich mit diesem Thema gar nicht beschäftigen will. Das macht für uns die HIV-Prävention sehr schwierig, weil wir dann die Menschen nicht erreichen können.“

Alte Bilder in den Köpfen sorgen noch immer für Angst und verhindern wichtige Test-Strategien, erklärt Jürgen Hoffmann von der Aidshilfe Niedersachsen | Foto: Link

Die Aidshilfe und die Aidsstiftung versuchen deshalb, diese Bilder im Kopf zu verändern. Eine aktuelle Kampagne zeigt etwa mit HIV-infizierte Menschen in ihrem Alltag: beim Friseur, in der Universität oder am Bahnhof. Darüber sind dann Zitate gelegt, die Normalität ausdrücken sollen: „Mein Problem sind graue Haare – nicht HIV“; „Mein Problem ist Prüfungsstress – nicht HIV“; „Mein Problem sind verspätete Züge – nicht HIV“.

Ist HIV also gar nicht mehr so ein großes Problem? Bei der niedersächsischen Aidshilfe ist man da um eine ausgewogene Antwort bemüht, denn eigentlich gibt es zwei Botschaften, die gegensätzlich sind. „Ja, es ist eine chronische Krankheit, man muss sich damit beschäftigen“, sagt Christin Engelbrecht, Geschäftsführerin der niedersächsischen Aidshilfe im Podcast-Gespräch. Man dürfe die Betroffenen aber nicht darauf reduzieren. „Das will die Kampagne darstellen: Die haben Alltagssorgen, wie alle anderen Menschen auch. Die HIV-Infektion ist ein Aspekt des Lebens.“

Eine HIV-Infektion ist ein Aspekt des Lebens der Betroffenen, man darf sie aber nicht darauf reduzieren, sagt Christin Engelbrecht von der Aidshilfe Niedersachsen | Foto: Link

Zum einen ist Aids also nicht mehr das Problem, zumindest ein sehr viel kleineres, weil beherrschbares. Der medizinische Fortschritt macht es möglich. Vor zwei Jahren warb die niedersächsische Aidshilfe mit tatkräftiger Unterstützung der Landtagsabgeordneten für die Botschaft „n = n“, die aussagen sollte, dass HIV unterhalb der Nachweisgrenze auch nicht mehr übertragbar ist. Wer HIV-positiv ist, aber um seinen Status weiß und medikamentös behandelt wird, kann ein langes Leben führen und gleichzeitig dazu beitragen, die Verbreitung des Virus zu verhindern. Es ist eine Botschaft der Normalisierung, die Angst soll genommen werden. Doch solange es Diskriminierung gibt, bleibt auch Angst und infolgedessen eine verdeckte Verbreitung des Virus, warnt Hoffmann vom Aidshilfe-Vorstand.

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Doch die andere Botschaft lautet auch: HIV und Aids sind noch immer da, die Gefahr ist nicht gebannt – deshalb lasst euch testen! Die Aidshilfen im ganzen Land setzen sich deshalb sowohl für ein flächendeckendes und niedrigschwelliges Testangebot ein, sie stehen aber auch für Information, Prävention und ganz wichtig: Begleitung für den Fall, dass ein Ergebnis positiv ausfällt.

Auch der medizinische Fortschritt ist dabei differenziert zu bewerten. Seit ein paar Jahren gibt es sowohl Medikamente, mit denen man nach einem Risikokontakt eine Infektion verhindern kann, als auch solche, die schon vorab eine Infektion verhindern können sollen: die sogenannte Post- oder Prae-Expositions-Prophylaxe (PEP und PrEP). Die PrEP ist seit vergangenem Jahr für Menschen mit Risikoverhalten als Kassenleistung anerkannt. Für die HIV- und Aidsprävention ist das Medikament ein Meilenstein. Es sorgt allerdings auch dafür, dass andere sexuell übertagbare Krankheiten wie Syphilis wieder auf dem Vormarsch sind, weil vermehrt auf das Kondom verzichtet wird.

Corona bremst den Kampf gegen HIV/Aids

Ein Bremser der HIV-Prävention ist derweil die Corona-Pandemie. Die BZgA beklagt, dass durch die Kontaktbeschränkungen die Zahl der HIV-Tests zurückgegangen sei und weltweit die Versorgung mit Medikamenten nachgelassen habe. Für die niedersächsischen Aidshilfen bedeutete die Pandemie ein Hochfahren der eigenen Testkapazitäten. Damit entlasteten die Vereine die eigentlich für den öffentlichen Gesundheitsschutz zuständigen Gesundheitsämter. In normalen Zeiten werden von denen HIV-Tests angeboten, in den Hochphasen der Corona-Pandemie waren die kommunalen Behörden allerdings heillos überfordert.

Dass die HIV-Prävention der Aidshilfen der Landespolitik wichtig ist, haben die Regierungsfraktionen kürzlich erneut bewiesen, indem sie angekündigt haben, über die politische Liste zusätzliche Gelder im Haushalt bereitzustellen. Für 2022 und 2023 wollen die Fraktionen von SPD und CDU je 38.000 Euro im Haushaltsplan ergänzen.

Anlässlich des Welt-Aids-Tages am 1. Dezember nimmt die Aidshilfe Niedersachsen nun die Situation von HIV-Infizierten am Arbeitsplatz in den Blick. „Am Arbeitsplatz spricht man über seine Infektion zuletzt“, sagt Hoffmann. Deshalb sei es wichtig, Unternehmen und Arbeitgeber als Partner zu gewinnen, um es den Betroffenen leichter zu machen. Im Politiknerds-Podcast vom Politikjournal Rundblick kündigten Jürgen Hoffmann und Christin Engelbrecht bereits an, dass ein großer Arbeitgeber anlässlich des Gedenktages die Charta unter dem Motto „positiv arbeiten“ unterzeichnen wird.