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Mütter schieben den Kinderwagen durch die Gegend und schauen dabei nur aufs Handy, statt sich mit dem Kind beim Essen zu unterhalten wird „Tom und Jerry“ angemacht. Kinderbücher tauchen in vielen Wohnungen überhaupt nicht mehr auf. Jedem fünften Kind in Deutschland, das zwischen einem Jahr und acht Jahren alt ist, wird nie vorgelesen, knapp der Hälfte wenig bis gar nicht, ergab eine Umfrage der „Stiftung Lesen“. Die Erziehung hat sich verändert und die Kinder mit ihr. Aber zum Glück gibt es ja noch die Grundschullehrer als Retter in der Not. Sie sollen die Versäumnisse der ersten Lebensjahre ausgleichen, sollen die Sprachfähigkeit und Mathematikkenntnisse aller Kinder auf ein grundlegendes Niveau heben. Ist das überhaupt leistbar? 

Unter den Viertklässlern in Niedersachsen erreicht schon jetzt jeder Fünfte beim Lesen und in der Mathematik nicht den Mindeststandard, bei der Orthografie ist es sogar mehr als jeder Dritte. Die Ergebnisse des aktuellen IQB-Bildungstrends sind ernüchternd. Niedersachsen zählt im Bundesländervergleich insgesamt zu den schlechtesten – und der Trend geht in ganz Deutschland weiter abwärts. Die Verantwortung für dieses schlechte Ergebnis ist nicht bei den Lehrern, sondern – um es hart zu formulieren – in der Bildungspolitik zu suchen. 

Ausbildung der Lehrkräfte muss reformiert werden

Eine Grundschule ist eine Gemeinschaftsschule, in der Kinder mit unterschiedlichem sozialen Hintergrund aufeinandertreffen – teils aus Einwandererfamilien. Flüchtlingswellen wie jetzt beim Ukraine-Krieg sind eine weitere Herausforderung für die Unterrichtsgestaltung der Grundschullehrer. Welche Lernmethode spricht alle diese unterschiedlichen Kinder gleichermaßen an? Keine. Aber deshalb heißt es noch lange nicht den Kopf in den Sand zu stecken! Neben einem Methodenmix, um möglichst viele unterschiedliche Kinder anzusprechen, braucht es natürlich gut ausgebildete, motivierte Lehrer. Doch da geht die Schere, ähnlich wie beim unterschiedlichen Leistungsniveau der Kinder, teils deutlich auseinander. Ich erinnere mich noch gut an meine eigene Schulzeit. Meine Grundschule war allgemeinhin unter den weiterführenden Schulen verschrien als die Grundschule, die die Kinder mit den schlechtesten Rechtschreibekenntnissen hervorbrachte. Warum? Die Grundkenntnisse wurden nicht gut genug vermittelt – und zwar nicht bei einigen, wenigen Schülern, sondern der ganzen Klasse. Dabei geht es gar nicht immer nur um eine gründliche und zielstrebige Vermittlung der Unterrichtsinhalte, sondern auch um Motivation.

Gerade junge Grundschüler lernen häufig primär für den Lehrer, spätestens in der Ausbildung und im Studium dann hoffentlich zuerst für sich selbst. Jeder hat ein Recht auf Weiterbildung, nur das Wörtchen Pflicht wird gerne vergessen. Gerade im Lehrberuf sollte mindestens einmal pro Jahr eine externe Weiterbildung ermöglicht werden. Die Lehrer bilden die Zukunft unseres Landes aus, das darf nicht mit den Methoden der Vergangenheit geschehen. Auch die Ausbildung der Lehrkräfte muss grundlegend reformiert werden. Grundschullehrer sind Allrounder, unterrichten Mathe, Deutsch und Sachkunde, obwohl sie sich im Studium zuvor spezialisiert haben. Das ist praktisch ein Widerspruch in sich. Man bekommt ein viel tieferliegendes Verständnis vom Unterrichtsstoff und wie man diesen anderen vermittelt, wenn man das Fach auch studiert hat. Das Studium muss sich viel stärker an der späteren Praxis orientieren, eine zusätzliche Möglichkeit wäre hier auch die Einführung eines dualen Studiums.

Konzepte wie Lesementoren weiter stärken

Wie in vielen Berufen mangelt es in der Schule gerade an Zeit, an Ressourcen. Dass jedes Kind gleichermaßen gut gerüstet aus der Grundschule kommt, wäre wünschenswert, ist aber illusorisch. Ehrenamtliche Lesementoren könnten hier zum Beispiel bereits einen Unterschied machen. Die Fortschritte der Kinder seien bereits nach einem Jahr unglaublich, erzählte mir eine Freundin. In einer Eins-zu-Eins-Situation lesen die Mentoren wöchentlich mit einem Kind oder spielen Spiele zur Sprachförderung. Das kann kein Lehrer leisten und das sollte er auch nicht. Um ein System langfristig zu verändern, braucht man Studien. Nach einem Jahr im Berufsleben muss man die jungen Lehrkräfte konsequenter fragen, wie der Berufseinstieg geklappt hat und was sie sich in der Retroperspektive im Studium gewünscht hätten. Nach fünf oder zehn Jahren im Beruf muss diese Umfrage dann wiederholt werden. Wie erfolgreich eine kontinuierliche Beobachtung sein kann, zeigt das Beispiel von Hamburg. Seit 2011 haben Hamburgs Viertklässler eine steile Erfolgskurve in den Kompetenzen hingelegt. Eine Vermutung: Seit mehr als 20 Jahren wird die Schul- und Unterrichtsentwicklung dokumentiert, um so schnell bei Veränderungen eingreifen zu können. Warum wird so etwas nicht auch in Niedersachsen verstärkt praktiziert?