Stagnierende Neubauzahlen, hohe Baukosten und ein wachsender Personalmangel belasten die Wohnungswirtschaft in Niedersachsen. Das Politikjournal Rundblick Niedersachsen hat mit Oliver Kiaman, Vorstandsvorsitzender von Haus & Grundeigentum Hannover sowie Vizepräsident der IHK Hannover, über die aktuellen Problemfelder, die Rolle der Politik und die Perspektiven für den Standort Hannover gesprochen.

Rundblick: Herr Kiaman, Sie leiten seit Mai 2024 den größten Immobilienbesitzerverein des Landes. Welche Themen beschäftigen Sie da momentan besonders?

Oliver Kiaman spricht im Rundblick-Interview über die private Wohnungswirtschaft, die Baukrise und das schlechte Image der Ausbildung in Deutschland. | Foto: Link

Kiaman: Ein zentrales Thema ist der stagnierende Wohnungsneubau. Die Wohnungsnot ist wieder da, gleichzeitig führen manche staatliche Maßnahmen eher zu Mehrkosten oder Fehlanreizen als zu echten Lösungen. Beim Heizungsgesetz zum Beispiel haben wir erlebt, dass viele Besitzer gewissermaßen vorschnell alte Heizungen austauschen mussten – oft sogar noch funktionstüchtige – anstatt dass es zu einer wirklich sinnvollen Modernisierung kommt. Das zeigt, wie sehr verunsichernde Vorschriften zu irrationalen Entscheidungen führen können. Dazu kommen eine unkoordinierte Migrationspolitik und eine insgesamt angespannte Wirtschaftslage im internationalen Vergleich.

Rundblick: Was genau treibt Eigentümer dazu, intakte Heizungen vorzeitig auszutauschen?

Kiaman: Die Hauptursache ist fehlende Planungssicherheit. Wenn die Gesetzgebung unklar bleibt, Förderungen kurzfristig aufgestockt oder gestrichen werden und ständig neue Fristen oder Verbote im Raum stehen, greifen manche Eigentümer zu individuell rationalen und ökonomischen Lösungen. Sie befürchten, in einigen Monaten überhaupt keine Handlungsmöglichkeiten mehr zu haben. Das führt dann dazu, dass teils noch funktionierende Gasheizungen herausgerissen oder sogar Öltanks neu installiert werden, was weder im Sinne des Klimaschutzes noch der Zukunftssicherheit ist.

Rundblick: Welche Rahmenbedingungen wären nötig, um genau das zu verhindern?

Kiaman: Wichtig ist eine verlässliche, langfristige Gesetzgebung. Wenn Eigentümer wissen, unter welchen Bedingungen sie die nächsten Jahre planen können, dann treffen sie fundiertere und sinnvollere Entscheidungen. Dazu gehören marktwirtschaftliche Instrumente wie die CO₂-Bepreisung oder beständige Förderprogramme für energetische Modernisierungen. Außerdem darf man den Faktor Wirtschaftlichkeit nicht außer Acht lassen. Nicht jeder kann oder will sich teure Investitionen leisten, wenn das Risiko besteht, dass in ein, zwei Jahren schon wieder alles anders ist.

„Einzelne Regulierungen mögen sinnvoll sein, in Summe kommen sie aber einer Belastungsprobe gleich.“

Rundblick: Kommen wir nochmal auf den Stillstand im Wohnungsbau zurück. Was sind aus Ihrer Sicht die größten Bremsfaktoren?

Kiaman: Zunächst sind die Baukosten enorm gestiegen, sei es durch teurere Materialien oder höhere Löhne. Parallel dazu gibt es immer neue Vorgaben zur Energieeffizienz, zum Brandschutz oder zu Stellplätzen. Einzelne Regulierungen mögen sinnvoll sein, in Summe kommen sie aber einer Belastungsprobe gleich. Und dann das Thema Förderprogramme: Wenn sie unangekündigt gekappt oder neu justiert werden, stehen Investoren und Bauherren plötzlich im Regen. Wer nicht kalkulieren kann, lässt vom Neubau lieber die Finger. So entsteht eine Lücke zwischen dem Bedarf an Wohnraum und dem, was tatsächlich gebaut wird.

Rundblick: Was müsste politisch geschehen, damit wieder mehr gebaut wird?

Oliver Kiaman (rechts) im Gespräch mit Christian Wilhelm Link. | Foto: Gartz

Kiaman: Vor allem müssten Vorschriften und Förderinstrumente verlässlicher werden. Wir brauchen mindestens mittelfristige Ansagen, damit Investoren Planungssicherheit haben. Auch die Frage nach sozialer Ausgewogenheit darf nicht dazu führen, dass wirtschaftliche Aspekte völlig aus dem Blick geraten. Natürlich ist Wohnen ein Grundbedürfnis, aber es muss sich für diejenigen, die bauen, auch rechnen. Wenn zum Beispiel Kommunen in ihren Bauordnungen zu hohe Standards festschreiben oder ständig neue Auflagen fordern, steigt der Mietpreis zwangsläufig. Und wenn die Nachfrage das nicht mehr hergibt, wird gar nicht erst gebaut.

Rundblick: Inwiefern spielt in der Wohnungskrise der Fachkräftemangel eine Rolle?

Kiaman: Die Bedeutung ist enorm. Für die Wohnungswirtschaft brauchen wir gut ausgebildete Handwerker, Planer und Verwaltungsfachleute. Doch der Fachkräftemangel schlägt voll durch. Zum einen gehen viele erfahrene Kräfte in den Ruhestand, zum anderen gibt es zu wenige junge Menschen, die eine fundierte Ausbildung machen. Das betrifft Handwerksbetriebe genauso wie technische oder kaufmännisch-juristische Berufe. Wer größere Bau- oder Modernisierungsprojekte umsetzen will, spürt sofort, dass Personal fehlt – sei es auf dem Bau oder in den Verwaltungsabteilungen, die Genehmigungsverfahren begleiten.

Rundblick: Woran liegt es, dass immer weniger junge Menschen eine Ausbildung machen wollen?

Kiaman: Es gibt mehrere Gründe. Zum einen fehlt oft das Bewusstsein dafür, dass eine Ausbildung ein echtes Investment in die eigene Zukunft ist. Zum anderen sehen viele Jugendliche im Mindestlohn eine schnelle, vermeintlich ausreichende Option. Sie starten ihre Karriere in Bereichen wie Lagerarbeit, ohne langfristige Perspektive. Auch die zunehmende Abhängigkeit von staatlichen Hilfen spielt eine Rolle.

Rundblick: Welche Konsequenzen hat das für die Wirtschaft?

Kiaman: Die Folgen sind gravierend. Der Fachkräftemangel verschärft sich weiter, insbesondere in Branchen wie der Immobilienverwaltung, die stark personalintensiv, aber margenarm ist. Gleichzeitig wächst die Schere zwischen hochqualifizierten Fachkräften und Un- oder Wenigqualifizierten immer weiter. Für Letztere werden langfristig auch die Jobchancen schwinden, da der Arbeitsmarkt sich verändert.

Rundblick: Welche Rolle spielt der demografische Wandel in diesem Zusammenhang?

Kiaman: Der demografische Wandel verstärkt das Problem zusätzlich. Wir verlieren mehr Menschen durch den Ruhestand, als wir durch junge Fachkräfte ersetzen können. Wenn dann noch zusätzliche Anreize geschaffen werden, den Arbeitsmarkt frühzeitig zu verlassen, verschärft das die Situation enorm. Besonders kritisch ist das in der Baubranche, die früher eine wichtige Anlaufstelle für weniger Qualifizierte war, aber durch den Einbruch im Neubau an Zugkraft verloren hat.

Rundblick: Was müsste aus Ihrer Sicht getan werden, um die Attraktivität der Ausbildung wieder zu stärken?

Kiaman: Es braucht eine gesellschaftliche Aufwertung der beruflichen Ausbildung. Dazu gehören bessere Perspektiven für Azubis, eine stärkere finanzielle Unterstützung und eine gezielte Förderung von Ausbildungsbetrieben. Schulen müssen die Berufsausbildung genauso wertschätzen wie akademische Wege. Zudem sollten Unternehmen verstärkt zeigen, dass eine Ausbildung ein lohnender Einstieg in eine langfristige Karriere sein kann.

Rundblick: Gibt es spezielle Herausforderungen in Ihrer Branche, der Wohnungswirtschaft?

Kiaman: Absolut. Die Wohnungswirtschaft hat mit einem hohen Arbeitsaufkommen, niedrigen Margen und im Bereich der WEG-Versammlungen mit unattraktiven Arbeitszeiten zu kämpfen. Gleichzeitig werden die Anforderungen an die Fachkräfte immer komplexer, durch eine enorme Bürokratie und ständig neue Regulatorik. Hier braucht es nicht nur Nachwuchs, sondern auch Menschen, die mental bereit sind, sich langfristig in diesem Bereich zu engagieren. Sonst leidet nicht nur die gesamte Branche und die Immobilieneigentümer – sondern letztlich auch die Mieter.

„Die Politik muss Anreize schaffen, um die Ausbildung attraktiver zu machen.“

Rundblick: Wie könnte die Politik hier unterstützen?

Kiaman: Die Politik muss Anreize schaffen, um die Ausbildung attraktiver zu machen. Dazu gehören steuerliche Entlastungen für Ausbildungsbetriebe, gezielte Förderprogramme und eine Reduktion von bürokratischen Hürden. Auch ein Fokus auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie eine bessere soziale Absicherung während der Ausbildung wären hilfreich.

Rundblick: In Ihrer Amtszeit ist auch die Reform der Grundsteuer gefallen. Wie wird das von den Wohneigentümern wahrgenommen?

Foto: Link

Kiaman: In Hannover wurde der Hebesatz bereits 2023 um 17 Prozent angehoben und steigt 2025 auf 900 Prozent. Laut Stadtverwaltung ist das alles aufkommensneutral geplant, was bedeutet, dass manche Eigentümer weniger zahlen, andere aber mehr. Wir empfehlen, die neuen Bescheide sorgfältig zu prüfen. Es kann vorkommen, dass bereits bei der Datenerfassung oder bei der Lageeinordnung Fehler passieren. Da sollte man im Zweifel lieber Einspruch einlegen oder sich beraten lassen. Niedersachsen hat ein Fläche-Lage-Modell etabliert, bei dem die Lage der Immobilie einen Einfluss auf die Steuerhöhe hat. Das klingt grundsätzlich fair. Ob das neue Modell insgesamt als gerecht wahrgenommen wird, bleibt abzuwarten. Als Verband werden wir das genau prüfen.

Rundblick: Wie bewerten Sie Hannovers Image als Wohn- und Wirtschaftsstandort in diesem Kontext?

Kiaman: Hannover hat viele Stärken: eine zentrale Lage, etablierte Unternehmen, eine gute Infrastruktur und eine lebendige Kulturszene. Allerdings sehen wir auch hier, dass steigende Kosten, Unsicherheiten bei der Bauplanung und der Fachkräftemangel den Markt belasten. Wenn diese Faktoren nicht angegangen werden, leidet das Image langfristig. Wer in Hannover wohnen oder investieren will, schaut sich genau an, welche Kosten und bürokratischen Hürden auf ihn zukommen. Bleibt die Dynamik zu schwach, zieht manch einer andere Standorte vor.

Rundblick: Gibt es aus Ihrer Sicht positive Ansätze, mit denen die Stadt gegensteuert?

Kiaman: Nach dem Koalitionsbruch in Hannover gab es zumindest eine Neuausrichtung mit SPD, CDU und FDP, die ein neues Konzept für die Innenstadt entworfen haben. Das hat das Potenzial, wichtige Impulse für die Stadtentwicklung zu setzen. Aber auch hier braucht es erstens Zeit und zweitens die konsequente Umsetzung der geplanten Maßnahmen. Konzepte allein bauen keine Wohnungen, schaffen keine Arbeitsplätze und halten keine jungen Fachkräfte in der Stadt. Es kommt darauf an, dass Entscheidungen schnell und klar getroffen werden.

Rundblick: Was wäre Ihr Appell an die Entscheidungsträger?

Kiaman: Ich empfehle: Erstens Planungssicherheit schaffen, damit Investoren, Unternehmen und Private wieder mehr Mut und Möglichkeiten zu Neubau und Modernisierung haben. Und zweitens die duale Ausbildung gezielt stärken, damit die Wohnungswirtschaft in allen Bereichen genügend Fachkräfte bekommt. Unsere IHK Hannover setzt hier übrigens Maßstäbe: Wir investieren in ein neues Welcome & Business Center. Über die nächsten fünf Jahre fließen rund vier Millionen Euro in die Fachkräfterekrutierung über gezielte Zuwanderung und Qualifizierung für die regionale Wirtschaft.