Wird der „Tag der offenen Tür“ im Landtag so unbeschwert sein wie in früheren Jahren?
Die beruhigende Nachricht vorweg: Immer dann, wenn der jeweilige Landtagspräsident oder die Landtagspräsidentin zu einem „Tag der offenen Tür“ in das Landesparlament eingeladen hatte, war die Resonanz danach einhellig: Es kamen durchweg mehr Besucher als zunächst erwartet, das Interesse der Menschen an dem, was im „hohen Haus“ geschieht, war überwältigend groß. 2019 zählte man bis zum Abend 15.000 Besucher, es war ein richtiges Massenereignis. Nun ist es zwar nie so gewesen, dass durchweg nur große Sympathisanten der Landespolitik, der Parteien oder der Abgeordneten erschienen wären. Nein, in den Diskussionsrunden wurde stets immer auch Kritik laut, etwa bei der Diskussion über die Diäten der Mandatsträger oder bei der Frage, ob der Beruf des Volksvertreters tatsächlich so anstrengend sei, wie oft behauptet wird. Aber der Grundtenor war doch immer entspannt und freundlich, teilweise sogar heiter. Man konnte von einer „gelösten Stimmung“ erzählen.
Wenn am kommenden Sonnabend Landtagspräsidentin Hanna Naber erneut um 10 Uhr den Landtag öffnet, dürfte wieder mit einem großen Besucherandrang zu rechnen sein. Vielleicht nicht gleich zu Beginn, aber den Tag über verteilt. Ob aber die heitere, ausgelassene Stimmung das Prägende sein wird, ist eine spannende, durchaus heute nicht klar zu beantwortende Frage. Vor vielen Jahren noch hatten einige Fraktionen, Medien und Institutionen lockere Spiele angeboten, etwa die „politische Herzblatt-Show“ oder bei der SPD eine Vorführung des NDR-Fernsehkochs Rainer Sass. Das gab den Besuchern die Möglichkeit, politische Prominenz in ungewöhnlichen, teilweise ulkigen oder kuriosen Situationen zu erleben. Nun ist es nicht so, dass diese Episoden beim bevorstehenden „Tag der offenen Tür“ nicht auch zu erwarten wären. Aber ob sie noch so prägend oder dominant bei dieser Veranstaltung sein werden, ist vermutlich eher nicht zu erwarten. Die Zeiten sind ernster geworden nach Corona, dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und der immer größer werdenden Krise der traditionellen Parteiensysteme. Die Diskussionen sind auch politischer geworden. Das verlangt den Politikern, die sich beim „Tag der offenen Tür“ dem Volk zeigen, mehr Konzentration ab. Sie müssen stärker als bisher mit Widerworten, Nachfragen oder Streitgesprächen rechnen. Sie müssen sich stärker mit Argumenten wappnen – und mehr darauf vorbereitet sein, mit Fake-News oder Halbwahrheiten konfrontiert zu werden. Sie dürfen auch nicht erwarten, dass alle Besucher des Landtags ihre Arbeit mit Respekt oder gar Wohlwollen begleiten.
Das war aber früher nicht immer so. Wenn man die zurückliegenden „Tage der offenen Tür“ betrachtet, fallen schon einige Unterschiede auf. So spielte Ende der neunziger Jahre die Frage eine große Rolle, ob sich der Landtag für den Neubau eines Plenarsaals entscheiden sollte und ob man dafür den alten, der 1962 vom Architekten Dieter Oesterlen entworfen worden war, abreißen sollte. Am Ende gab es einen Umbau im Bestand – die äußere Hülle blieb erhalten, die innere Ausstattung wurde komplett verändert. Das viele Licht, der großzügige Tagungsraum der Abgeordneten – das war bis 2017, als der neue Plenarsaal dann endlich eröffnet wurde, ganz anders. Ende der neunziger Jahre war zunächst die Idee des Neubaus an sich in vielen Diskussionsrunden beim „Tag der offenen Tür“ streitig debattiert. Später dann, als Ergebnisse eines Architektenwettbewerbs vorlagen und der Sieger-Entwurf den Abriss des Oesterlen-Baus vorgesehen hatte, war das Für und Wider zu diesem 50er-Jahre-Bau das prägende Element der Diskussionen beim Besuchertag. Mit anderen Worten: Die Diskussionen kreisten damals schon sehr stark um den Landtag selbst, weniger um die große Politik. Immer wieder vernahm man damals auch Stimmen, die sagten, dass man für einen Parlamentsneubau möglichst kein Geld ausgeben sollte – solange nicht alle Schulen, Polizeigebäude oder Brücken saniert sind.
Das dürfte in diesem Jahr anders sein – wie auch schon beim „Tag der offenen Tür“ 2019 spielt auch heute die Bundes- und Weltpolitik eine viel größere Rolle – und dahinter verblassen die internen landespolitischen Fragestellungen. Damals war das Agieren der AfD-Landtagsfraktion, die parallel zur Veranstaltung noch eine Demonstration vor dem Landtag abhalten wollte, ein Ärgernis für viele und Anlass für heftige Diskussionen. In diesem Jahr ist die politische Stimmung in Deutschland und weltweit so aufgeladen, dass mit reichlich kontroversen Debatten auch an den Informationsständen und Bühnen im Landtag gerechnet werden muss. Da können friedenspolitische Themen, der Ukraine-Krieg, die Corona-Aufarbeitung oder auch das Bürgergeld eine Rolle spielen, aber auch die Zuwanderung und das Problem eines wachsenden Rechtsradikalismus. Beliebte Themen sind immer auch die Diäten der Abgeordneten, ihre Altersversorgung und der Vergleich der Vorschriften im öffentlichen Dienst mit denen in der Privatwirtschaft.
An vielen Ständen, Tischen und Bühnen wird die Aufgabe der Moderatoren und Unterhalter immer dieselbe sein: Sie müssen für sachliche und faire Diskussionen sorgen. Sollten sich Besucher, die ein Mikrophon ergattern, sehr schrill, laut oder unbelehrbar zeigen, muss es immer die mäßigende Kraft der Moderatoren geben. Bisher war das bei den „Tagen der offenen Tür“ weniger gefordert, denn bisher war stets die Harmonie bestimmend. Das könnte in diesem Jahr anders sein. Aber: Keiner weiß genau, was bevorsteht.
Dieser Artikel erschien am 13.09.2024 in der Ausgabe #159.
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