„Wir wollen perspektivisch die Schaffung von zusätzlich 100.000 Sozialwohnungen erreichen“: Diese Aufgabe haben sich SPD und Grüne im Koalitionsvertrag gestellt. Doch anstatt mehr Tempo aufzunehmen, kommt der Neubau von bezahlbarem und klimagerechten Wohnraum in Niedersachsen ins Stocken. „Wenn die Politik nicht sofort handelt, wird der soziale Wohnungsbau zum Erliegen kommen“, warnt Susanne Schmitt, Direktorin des Verbands der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (vdw) Niedersachsen. Laut einer aktuellen Mitgliederbefragung hat fast die Hälfte der Unternehmen die Neubauprojekte für 2023 entweder reduziert oder komplett gestoppt. Nur 15 von 77 Firmen, die an der Umfrage teilgenommen haben, sagen: „Wir setzen unsere Neubaupläne unverändert fort.“ Insgesamt 1290 Mietwohnungen sollen demnach im Jahr 2023 entstehen, im Vorjahr waren es fast dreimal so viele (3412 Wohnungen).

„Die energetischen Standards für Neubau und Bestand dürfen nicht weiter verschärft werden. Wir brauchen jetzt Ruhe und wir brauchen Verlässlichkeit“, sagt vdw-Verbandsdirektorin Susanne Schmitt. | Foto: Link

„Die rückläufigen Zahlen bestätigen vollauf unsere Befürchtungen aus dem vergangenen Sommer“, sagt die Verbandsdirektorin. Nach der damaligen Mitgliederbefragung hatte der vdw einen jährlichen Rückgang von 1500 Wohneinheiten prognostiziert. Nun scheint es sogar noch schlimmer zu kommen. „Es wird sehr schwierig, die Ziele der Landesregierung zu erreichen, wenn sie nicht noch Mittel aufstockt oder Rahmenbedingungen erleichtert“, sagt Schmitt. Im Koalitionsvertrag würden sich jedoch viele Forderungen aus der Wohnungswirtschaft wiederfinden. „Ich kann nicht sagen, dass das hinter den Erwartungen zurückbleibt“, meint die vdw-Direktorin. Mit Sorge betrachtet sie jedoch, was auf Bundesebene passiert. Schmitt: „Die Bundesbauministerin hat einfach zu wenig Kompetenzen und zu wenig Geld. Klara Geywitz ist mit zu wenig Power ausgestattet.“

Quelle: vdw

Die Gründe für die Baukrise lassen sich leicht identifizieren. „Die Kostenseite ist einfach so stark gestiegen, dass sich der Bau von Sozialwohnungen betriebswirtschaftlich kaum noch darstellen lässt“, sagt Schmitt. Die befragten vdw-Unternehmen hatten durchschnittliche Kostensteigerungen von 10 bis 30 Prozent gemeldet. Das deckt sich mit den Angaben des Landesamts für Statistik (LSN), das im November eine Verteuerung beim Wohnungsneubau von 17,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr vermeldet hatte. Modernisierungen (plus 18,7 Prozent) und Instandhaltungsarbeiten (plus 16,5 Prozent) sind ebenfalls erheblich teurer geworden.

Die aktuellen Baupreise beim Mietwohnungsneubau beziffert Schmitt auf 4000 bis 5000 Euro pro Quadratmeter. Um diese Kosten zu decken, müsste der Mietpreis eigentlich bei 15 bis 16 Euro pro Quadratmeter liegen, erläutert die Verbandsdirektorin. Mit sozialorientierter Wohnungswirtschaft hätte das aber nichts mehr zu tun. Derzeit verlangen die vdw-Mitgliedsunternehmen, zu deren Bestand jede fünfte Mietwohnung in Niedersachsen gehört, einen durchschnittlichen Mietpreis von 6,01 Euro pro Quadratmeter. Eine Durchschnittsmiete von 7,50 Euro pro Quadratmeter gehört nach vdw-Maßstäben bereits zum mittleren Segment. Mietpreise von 8 bis 9 Euro bewertet Schmitt gemäß dieser Skala als „gerade noch bezahlbar“.

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Die steigenden Baukosten sind laut Schmitt auch auf erhöhte Anforderungen zurückzuführen. Im Krisenjahr 2022 seien immer wieder neue Gesetze und Verordnungen auf die Unternehmen „eingeprasselt“. „Das hat jegliches Maß überschritten“, ärgert sich Schmitt. Als Bürokratiemonster führt sie insbesondere den hydraulischen Abgleich, die unterjährige Verbrauchsinformation und die Umsetzung der gut gemeinten Dezemberhilfe an. „Die energetischen Standards für Neubau und Bestand dürfen nicht weiter verschärft werden – auch nicht auf kommunaler Ebene“, lautet deswegen eine der Kernforderungen der Wohnungswirtschaft.



Zudem müssten Mieterstrom-Modelle vereinfacht werden, damit die Photovoltaik-Pflicht für Neubauten auch tatsächlich ihren vollen Nutzen entfaltet. „Leider ist es steuerlich mit Nachteilen verbunden, wenn ein Wohnungsunternehmen selber Mieterstrom anbietet“, sagt Schmitt. Darüber hinaus fordert die Verbandsdirektorin dringend eine Umbauordnung, die Sanierung und Modernisierung des Bestands erleichtert. Für dieses auch im Koalitionsvertrag angekündigte Regelwerk muss laut Schmitt folgende Devise gelten: „Runter mit den Standards, runter mit den Kosten – denn am Ende zahlen es die Mieter.“

Quelle: vdw

Die Preisschraube könne über günstigeres Bauland nach unten gedreht werden. „Das Land muss die verbesserten Instrumente zur Baulandmobilisierung stärker nutzen“, sagt Schmitt. Im Einzelfall könne auch Erbbaurecht eine Lösung sein, flächendeckend hält sie dieses Modell aber nicht für geeignet. Probleme gebe es zum einen bei der Finanzierung, weil Banken Erbbaurecht anders bewerten als Eigentum. Und zum anderen zeige die Erfahrung, dass die Sanierung und Modernisierung solcher Mietimmobilien immer schwieriger wird, je näher der Zeitpunkt eines möglichen Heimfalls rückt. Die Verbandsdirektorin appelliert daher an die Kommunen, dass sie Grundstücke für den sozialen Wohnungsbau möglichst günstig anbieten. Und sie fordert eine Anpassung des Kommunalrechts, damit die Städte und Gemeinden nicht abgestraft werden, wenn sie Grundstücke für den sozialen Wohnungsbau unter Marktwert veräußern.