Zwischen Applaus und Trillerpfeifen: Pistorius trotzt Protesten beim Bundeswehr-Gelöbnis
Es ist ein etwas ungewöhnliches Abschiedsgeschenk, das Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) der niedersächsischen Landeshauptstadt zum Ende seiner (ersten) Amtszeit macht: Zum ersten Mal seit Bestehen der Bundeswehr wird das feierliche Gelöbnis zum Gründungstag am 12. November außerhalb von Berlin veranstaltet. „Wir wollen die Bundeswehr im ganzen Land sichtbar machen. Wir wollen den Bürgern zeigen, wer sie schützt“, erklärt Pistorius später bei seiner Ansprache. Ab sofort soll das jährliche Gründungstaggelöbnis in verschiedenen Städten stattfinden, und Hannover durfte jetzt den Auftakt dieser Serie bilden. Das öffentliche Interesse ist an diesem Dienstagnachmittag allerdings überschaubar. Auf den beiden Tribünen haben sich vor allem die Angehörigen und Freunde der 230 Rekruten sowie einige hundert ausgewählte Gäste versammelt. Außerdem haben es etwa 300 Zaungäste durch die Sicherheitskontrolle geschafft, die man in dieser Form eigentlich nur von Flughäfen und mit zuverlässigeren Ergebnissen kennt – wo sie, wie sich später herausstellt, auch viel besser funktionieren. Hinter der Absperrung für das Veranstaltungsgelände patrouillieren Feldjäger mit Hunden, dahinter steht eine weitere Absperrung, wo sich die Polizei mit Demonstranten und Störern im niedrigen zweistelligen Bereich beschäftigt. Die Sicherheitsvorkehrungen übersteigen die Bedrohungslage deutlich.
Die Zwischenrufe der Störer fallen vor Veranstaltungsbeginn noch recht freundlich aus. „Pistorius, Pistorius!“ oder „Wir lieben Boris!“ ist da unter anderem zu hören. Die regulären Besucher der Veranstaltung sind von der Lärmkulisse, die von der Demo auf den Platz der Menschenrechte vor dem Neuen Rathaus hinüberschwappt und von Trillerpfeifen geprägt ist, dennoch wenig begeistert. „Unruhe zu stiften, ist generell keine gute Idee“, stellt ein junger Mann mit eindrucksvoller Afro-Frisur vor mir in der Menge fest. Kurz darauf kommt es in ebendieser Menschenansammlung zu Verwirrung: Eine Störerin wirft ein kleines Gerät, das laute und nervige Töne aussendet, in Richtung der Gelöbnisaufstellung. Mehrere Feldjäger packen sich die junge Frau sofort und führen sie ab; ein weiterer Kamerad beseitigt das Gerät mit einem entschlossenen Fußtritt. Wie die Bundeswehr-Gegnerin dieses offenbar elektronische Gerät durch die Sicherheitskontrolle geschmuggelt hat, dürfte bei der Einsatzbesprechung noch zum Thema werden. Die Stimmung bleibt dennoch friedlich. „Rührt euch!“, erschallt es da plötzlich in militärischem Befehlston aus Richtung der Demonstranten. Auch dieser Störversuch bleibt erfolglos, wird aber selbst von Bundeswehr-Anhängern mit einem Lächeln kommentiert. „Das ist wenigstens kreativ“, meint einer der Zuschauer.
Mit dem Schlag der Rathausglocke betreten der Verteidigungsminister, Ministerpräsident Stephan Weil, Oberbürgermeister Belit Onay und Bundeswehr-Generalinspekteur Carsten Breuer feierlich die Szene. „Stoppt, stoppt, stoppt den Krieg“, skandieren die Demonstranten, während Pistorius ans Mikro tritt. „Es gibt kaum einen besseren Anlass als den heutigen, um zu verstehen, was unsere Streitkräfte ausmacht. Es sind die Frauen und Männer, die ihrem Land dienen“, sagt der 64-Jährige in seiner staatsmännischen, aber auch persönlichen Rede. Von der Landtagspräsidentin über die Wehrbeauftragte bis hin zum „lieben Belit“ werden die Honoratioren auch mit Vornamen begrüßt. Niedersachsen preist der Osnabrücker als „das schönste Bundesland unserer Republik“. Der „liebe Stephan“ bekommt sogar einen eigenen Werbeblock, der fast den Eindruck vermittelt, dass nicht Pistorius, sondern Weil als SPD-Kanzlerkandidat in Stellung gebracht werden soll. „In Niedersachsen dienen über 40.000 Angehörige der Bundeswehr. Und sie haben mit dir, lieber Stephan, einen weiteren Kameraden, der zwar keine Uniform trägt, aber umso mehr mit anpackt“, lobt Pistorius seinen „langjährigen Freund“.
„Ihnen gebührt unser aller Dank – keine Pfeifkonzerte.“
Anpacken müssen während der Ansprache des obersten Befehlshabers auch die Feldjäger, die zwei weitere Störerinnen abführen, die sich in den Zuschauerbereich gemogelt hatten. Außerdem wird die Rede von einem Musikbeitrag aus Richtung Friedrichswall überschattet: Die Demonstranten haben Ennio Morricones „Mann mit der Mundharmonika“ aus dem Westernklassiker „Spiel mir das Lied vom Tod“ voll aufgedreht. Pistorius kontert dieses Manöver jedoch geschickt. „Eine Gelöbnisfeier ist vor allem eine Stunde des Versprechens. Im Mittelpunkt steht Ihr Versprechen, unserem Land, der Bundesrepublik Deutschland, treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“, sagt der SPD-Politiker. Und gerade als die Mundharmonika besonders deutlich zu hören ist, fügt Pistorius hinzu: „Übrigens auch das Recht eines jeden Menschen in Deutschland, zu demonstrieren.“ Die Zuschauer reagieren mit Gelächter und spontanem Applaus. Dass er die Proteste gegen „seine Truppe“ alles andere als witzig findet, macht Pistorius dann aber auch deutlich: „Das Land kann sich nicht schützen. Das müssen Menschen tun, Menschen wie Sie, die sich bewusst entscheiden, dafür Verantwortung zu übernehmen und diesen beruflichen Weg einzuschlagen. Und dafür gebührt Ihnen aller Respekt und unser aller Dank – keine Pfeifkonzerte.“
Dass die Bundeswehrsoldaten für ihren Einsatz gar nicht genug gewürdigt werden, findet auch Ministerpräsident Weil. „In Anbetracht des einen oder anderen Nebengeräusches muss vielleicht auch gesagt werden: Die ganz große Mehrheit dieser Gesellschaft steht hinter den Soldatinnen und Soldaten, steht hinter der Bundeswehr“, stellt der Ehrengast in seiner Rede klar und legt den Rekruten und anderen Zuhörern ein Zitat des „großen Niedersachsen Wilhelm Busch“ ans Herz: „Der Friede muss bewaffnet sein.“ Zurück auf der Tribüne wird Weil von Pistorius herzlich umarmt, bevor der Ministerpräsident zwischen dem Verteidigungsminister und der Bundesratspräsidentin Anke Rehlinger aus dem Saarland Platz nimmt. Währenddessen werden im Zuschauerbereich drei weitere Störer abgeführt, wobei eine Frau von den Feldjägern sogar weggetragen werden muss, nachdem sie sich theatralisch auf den Boden geworfen hatte. Der Protest bleibt friedlich, und der einzige medizinische Notfall des Tages ist ein Soldat mit grünem Barett und grauem Mantel, der offenbar das lange Stillstehen nicht vertragen hat. Er wird auf einer Trage zusammen mit seiner Ordonnanzwaffe, einem Karabiner nach Bauart der 1930er Jahre, abtransportiert.
Als Oberbürgermeister Onay ans Mikrofon tritt, scheint den Störern bereits die Luft ausgegangen zu sein. „Wir alle wollen in Frieden, aber eben auch in Sicherheit leben. Doch der Gedanke, dass es ohne Waffen zur Verteidigung keine Kämpfe und kein Sterben in der Ukraine gebe, ist ebenso einfach wie falsch“, sagt der Grünen-Politiker. Er begrüßt es ausdrücklich, „dass Deutschland gemeinsam mit seinen Verbündeten eine gewichtige Rolle bei der Verteidigung der Ukraine übernommen hat“. Ob Onays Worte auch bei den Kriegsgegnern rund um das Veranstaltungsgelände verstanden werden, ist ungewiss. Bei den Studenten und Punks dudelt Musik aus einer Boombox, die bürgerlichen Friedensaktivisten sind vor allem mit Trillern und dem Schwenken von „Die Linke“-Fahnen beschäftigt. Gegenüber der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ begründet Maren Kaminski, die Co-Vorsitzende der hannoverschen Linken, später den Protest mit der Bundestagskandidatur des Verteidigungsministers im Wahlkreis Hannover II. „Es ist dreist, dass ein öffentliches Gelöbnis eine der ersten Wahlkampfaktionen des Aufrüstungsministers Pistorius und der SPD in Hannover ist“, wird Kaminski zitiert. Dass die langfristig geplante Gelöbnisfeier in Hannover so kurz nach dem Koalitionsbruch stattfindet, kann man allerdings wohl kaum dem Verteidigungsminister anlasten.
Dieser Artikel erschien am 14.11.2024 in der Ausgabe #201.
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