Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs hatte Hannover noch eine zentrale Bedeutung für die deutsche Rüstungsindustrie: Im Brinker Eisenwerk etwa wurden Kampf- und Transportflugzeuge von Junkers und Heinkel repariert, sowie Granatwerfer und Artilleriegeschosse hergestellt. Hanomag produzierte Flakgeschütze, Kettenfahrzeuge und Munition. Und die Maschinenfabrik Niedersachsen baute ein Drittel aller Panzer vom Typ Panther und Jagdpanther zusammen.

Vorhang frei für den Puma: Der deutsche Schützenpanzer der Zukunft wird zu großen Teilen in Niedersachsen gebaut. | Foto: Rheinmetall

Rüstungsbranche sitzt in Bayern und Baden-Württemberg

Heute sind die führenden Rüstungsunternehmen wie der Panzerproduzent Krauss-Maffei-Wegmann (KMW), Airbus Defence und Space, der Handwaffenhersteller Heckler & Koch oder die Raketenspezialisten MDBA und Diehl Defence in Bayern und Baden-Württemberg zu Hause. Einige Branchengrößen wie etwa Thyssenkrupp, MTU Aero Engines und die Rheinmetall AG produzieren aber auch in Niedersachsen. Insbesondere der Rheinmetall-Standort im nördlichen Landkreis Celle spielt dabei eine zentrale Rolle. „Unterlüß ist mit 2000 Beschäftigten unser größter Standort und das Kompetenzzentrum von Rheinmetall für den Bau von Kampffahrzeugen, Bewaffnung und Munition“, sagt Unternehmenssprecher Oliver Hoffmann.

Jeder zweite Puma kommt aus dem Landkreis Celle

In der Südheide läuft unter anderem der „Puma“ vom Band, der weiterentwickelte Nachfolger des Schützenpanzers „Marder“. Letzteren möchte die Ukraine gerne in hoher Stückzahl kaufen. Die Bundeswehr verfügt derzeit über 350 Puma-Schützenpanzer, die zur Hälfte von Rheinmetall in Unterlüß und zur Hälfte vom Kooperationspartner KMW gefertigt wurden. Außerdem produziert Rheinmetall in der Gemeinde Südheide die Großkaliber-Munition für den Kampfpanzer „Leopard 2“ und die „Panzerhaubitze 2000“ sowie den neuartigen Schützenpanzer „Lynx“. Dieser wurde von Ungarn bereits als neues Gefechtsfahrzeug ausgewählt. Darüber hinaus produziert Rheinmetall am Standort gepanzerte Kabinen für Lkw, die in Kooperation mit der VW-Tochter MAN unter anderem für die Bundeswehr hergestellt werden. „MAN liefert Chassis und Fahrwerk, wir sorgen für die militärischen Aufbauten und den Panzerschutz“, erläutert Hoffmann.

Ukraine will schwere Waffen Lamprecht mauert

Die Ukraine drängt immer mehr auf die Lieferung schwerer Waffen aus Deutschland. Botschafter Andrij Melnyk fragte am Wochenende konkret nach Panzern vom Typ „Marder“ und „Leopard 1“, der Panzerhaubitze 2000 sowie dem Artillerieortungsgerät Cobra. Cobra, kurz für „Counter Battery Radar“, ist eine multilaterale Koproduktion, bei der auf deutscher Seite Airbus beteiligt ist. Gegenüber dem „Handelsblatt“ stellte Rheinmetall-Konzernchef Armin Papperger am Montag in Aussicht, bis zu 50 Leopard-1-Kampfpanzer und 70 Marder-Schützenpanzer aus Altbeständen liefern zu können. Die ersten Fahrzeuge könnten schon innerhalb von fünf bis sechs Wochen in die Ukraine geschickt werden, wenn es für diese Pläne grünes Licht aus Berlin gibt.

Nur 77 Prozent aller Bundeswehr-Waffensystem nutzbar

Der erste Marder aus Serienproduktion wurde am 7. Mai 1971 an die Bundeswehr übergeben. Von dem Schützenpanzer hat die Truppe immer noch einige eine recht große Anzahl. Um wie viele Fahrzeuge es sich genau handelt, ist zwar ungewiss. Dem Jahresbericht der Wehrbeauftragten Eva Högl ist jedoch zu entnehmen, dass sich die Bundeswehr-Marder teilweise in einem bedauernswerten Zustand befinden.

Im Schnitt sind laut Högl etwa 77 Prozent der deutschen Waffensysteme derzeit für Einsatz, Übung oder Ausbildung nutzbar. Bei den Schützenpanzern vom Typ Marder ist es nicht einmal die Hälfte. Trotzdem will Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht die ausgedienten Schützenpanzer aus Armeebeständen nicht abgeben – angeblich, um die Verteidigungsfähigkeit des Landes nicht zu schwächen.

Schon etwas in die Jahre gekommen, aber im Ausland immer noch beliebt: Der Schützenpanzer Marder. | Foto: Rheinmetall AG

Wofür die Bundeswehr die veralteten Marder benötigt, obwohl sie auf ein deutlich moderneres Raubtier zurückgreifen kann, ist nicht ganz klar. „Der Puma ist einer der innovativsten Schützenpanzer weltweit“, sagt Hoffmann. Laut dem Rheinmetall-Sprecher ist der neue Schützenpanzer seinem Vorgänger in so ziemlich allen Belangen überlegen: „Das ist so, als würde man einen VW Käfer von 1969 neben einen VW Golf 8 von heute stellen.“

Der Schützenpanzer Puma gehört zu den modernsten Fahrzeugen seiner Art. | Foto: Rheinmetall AG

Beim Puma handele es sich um ein volldigitalisiertes und in höchstem Maße geschütztes Fahrzeug, aus dem man mithilfe von Sensoren und Monitoren wie aus einer gläsernen Kuppel herausschauen könne. Dank dieser „informativen Überlegenheit“ wisse die Besatzung immer, was um sie herum geschieht. Zudem könne der Puma während voller Fahrt schießen und seine programmierbare Munition unter anderem auch über einem Ziel zur Explosion bringen. Der Marder dagegen müsse zum Schießen stehen bleiben und sein Geschütz erst ausrichten. Hoffmann: „Der Marder ist eben ein Produkt seiner Zeit – der Puma bietet ein Höchstmaß an Schutz für die Besatzung und an Kampfkraft.“

Rheinmetall-Aktie erreicht Rekordhöhen

Der Aktienkurs von Rheinmetall ist seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und der Ankündigung des Bundeswehr-Sondervermögens in Höhe von 100 Milliarden Euro durch die Decke geschossen. Anfang des Jahres kostete ein Anteilsschein noch knapp 90 Euro, zum Wochenbeginn stand die Rheinmetall-Aktie schon bei 202 Euro. Dann zog am Montag auch noch die britische Armee eine Vertragsoption für den Kauf von 100 zusätzlichen Radpanzern des Typs „Boxer“, den Rheinmetall zusammen mit KMW in Großbritannien und Deutschland baut. Und Konzernchef Armin Pappberger kündigte am gleichen Tag die Bereitschaft zu Waffenlieferungen an die Ukraine an. Das ließ den Aktienkurs um noch ein paar Prozent nach oben klettern.

Wie sehr Rheinmetall von den zusätzlichen deutschen Wehrausgaben profitieren wird, ist noch offen. Über mögliche Expansionspläne will Hoffmann deswegen derzeit nicht spekulieren. Abgesehen davon hat der Konzern aber auch ein florierendes Auslandsgeschäft. Die Rheinmetall AG zählt sich zu den „führenden europäischen Systemhäusern für militärische Kettenfahrzeuge in allen Gewichtsklassen“. Das Geschäftsmodell dahinter erläutert der Konzern in seinem Jahresbericht 2021 wie folgt: „Ziel dieser Strategie ist es, die Zahl der eigenen Plattformen und Systeme, die bei den
internationalen Streitkräften im Einsatz sind, zu erhöhen, um daraus Folgegeschäfte bei Instandsetzung, Modernisierung und Service zu generieren.“

Das Unternehmen geht davon aus, dass zahlreiche Nato-Staaten in den kommenden Jahren ihre teilweise noch aus Warschauer-Pakt-Fertigung stammende Ausrüstung modernisieren und an die Standards im westlichen Verteidigungsbündnis anpassen werden. „Infolge der militärischen Auseinandersetzung zwischen Russland und der Ukraine dürfte sich diese Entwicklung in ihrem Umfang nochmals erweitern und deutlich beschleunigen. Für Rheinmetall ergeben sich daraus in den kommenden Jahren neue Chancen, sich als langfristiger Partner insbesondere bei der Ausrüstung der Heeresstreitkräfte zu etablieren“, heißt es weiter.

Viele Betriebe können von Rüstungsboom profitieren

Ein deutscher Rüstungsboom könnte sich für mehrere niedersächsische Firmen als vorteilhaft erweisen. Zwischen Harz und Küste gibt es zahlreiche Zulieferer für die Wehrindustrie wie etwa die Renk AG aus Hannover. Das Unternehmen stellt zwar zunächst nur unverdächtige Gleitlager und Kupplungen her. Diese werden aber zum Beispiel im Hochleistungsgetriebe HSWL 295 verbaut, das mit einer maximalen Leistung von 1600 PS sowie fünf Vorwärts- und Rückwärtsgängen unter anderem den Kampfpanzer „Leopard 2“ antreibt.

Das Getriebe HWSL 295 von Renk bringt auch Kampfpanzer in Schwung. | Foto: Renk AG

Der Flugzeugbauer Airbus hat zwei niedersächsische Werke in Stade und Buxtehude, wo unter anderem Rumpfschalen und Kleinteile aus Kohleverbundstoffen für den Eurofighter hergestellt werden. Emden war lange eine Topadresse für den U-Boot-Bau, doch in den Nordseewerken laufen inzwischen nur noch Frachtschiffe vom Stapel.

Niedersachsen sind weltweit führend bei Minensuchbooten

Das Schiffbauunternehmen ThyssenKrupp Marine System (TKMS) ist zwar weiterhin mit einem Konstruktionsbüro
in Emden aktiv, doch moderne Kriegsschiffe wie jüngst die Fregatte „Rheinland-Pfalz“ werden mittlerweile in Kiel, Hamburg oder Bremen gefertigt. Mit der Schiffs- und Yachtwerft Abeking & Rasmussen (A&R) gibt es in Lemwerder (Landkreis Wesermarsch) allerdings noch einen „Hidden Champion“, denn das Familienunternehmen baut nicht nur Luxusjachten, sondern ist auch einer der weltweit führenden Experten für Minensuchboote.

Der „Apex Protector“ von A&R kann Minen aufzuspüren und zerstören. Das Schiff gibt es auch aus nichtmagnetischem Stahl, wodurch es schwerer geortet werden kann. | Grafik: A&R