23. März 2022 · 
Wirtschaft

Althusmann sieht "Dilemma“ – SPD sagt: "Wir brauchen russisches Gas"

Frank Henning (links) und Bernd Althusmann streiten im Landtag. | Foto: NDR/Screenshots (2)

Die heikelste Frage im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, die von Tag zu Tag bedrückender wird, ist am Mittwoch im Landtag deutlicher denn je angesprochen worden: Muss Deutschland nicht so schnell wie möglich die russischen Öl-, Gas- und Kohleimporte einstellen, da wir uns sonst mitschuldig machen an der Ermordung des ukrainischen Volkes? Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) hielt eine Regierungserklärung zur Frage der wirtschaftlichen Folgen des Krieges, und die sind jetzt schon drastisch. Zu Beginn seiner Rede sagte er: „Wie lange werden wir dem Völkermord zusehen?“ Dann fügte er hinzu: „Welche Zumutungen können wir beschließen? Welche Belastungen sind wir bereit, zu tragen?“

Doch Althusmann beließ es bei den Fragen, sprach später noch von einem „moralischen Dilemma“, da ein abrupter Stopp der Gasimporte aus Russland etwa die Glas- und Papierindustrie schwer schädigen würde. Auf der anderen Seite überweise die EU täglich mehr als 800 Millionen Euro für Energieimporte an Russland und finanziere damit Putins Krieg.

Kein Landtagsabgeordneter wagte sich am Mittwoch mit der Forderung nach sofortigem Importstopp hervor. Umso stärker fielen in den einzelnen Reden die verschiedenen Nuancen und Schwerpunktsetzungen auf. Am auffälligsten war das beim SPD-Wirtschaftsexperten Frank Henning, der einen Großteil seiner Redezeit darauf verwendete, vor einem raschen Ende der Energielieferungen aus Russland zu warnen. Ausdrücklich distanzierte sich Henning von einer jüngst geäußerten Position des CDU-Bundesvorsitzenden Friedrich Merz, der ein Ende der Gasimporte über die Pipeline Nordstream I gefordert hatte. „Das lehnen wir ab, das ist nicht die Haltung der SPD und der Landesregierung“, betonte Henning.

Importstopp träfte Glas- und Papierindustrie hart

Sodann kam er darauf zu sprechen, dass ein schnelles Ende der russischen Gaslieferungen vor allem die Glasindustrie in Südniedersachsen und die Papierindustrie im Osnabrücker Raum gefährde. Die Rufe nach einem Importstopp seien „populistisch und falsch“, auch die chemische Industrie werde in einem solchen Fall zu den Leidtragenden gehören. Deutschland müsse energieautark werden, aber das gehe „nur langfristig, nicht durch einen übereilten Importstopp“. In Hennings Darstellung fiel auf, dass seine Position fast wie ein flehender Appell wirkte, die Gaslieferungen aus Russland nicht so schnell zu beenden – auch ein Appell an abweichende Positionen in der eigenen SPD. Stefan Birkner (FDP) meinte, in dieser zentralen Frage der Gasimporte spreche die niedersächsische SPD/CDU-Koalition nicht mehr mit einer Sprache.

In der Debatte um die wirtschaftlichen Folgen des Krieges wurden mehrere Positionen bezogen:

Erneuerbare Energie: Detlev Schulz-Hendel (Grüne) monierte an der halbstündigen Regierungserklärung Althusmanns, dass dort die Stärkung der Erneuerbaren Energien keine Rolle gespielt habe – wobei doch genau dies, nämlich die beschleunigte Abkehr von fossilen Brennstoffen, die wichtigste Lehre aus der veränderten weltpolitischen Lage sein müsse. Entlarvend sei, dass es bisher kaum Solaranlagen auf den Dächern der Behördenbauten des Landes gebe.

Lage der Unternehmen: Althusmann sprach von einem Rettungsschirm für den ÖPNV gegen Preissteigerungen, die eigentlich zu Fahrpreiserhöhungen gezwungen seien. Für viele betroffene Unternehmen müsse der Bürgschaftsrahmen ausgeweitet werden. Bauunternehmen könnten wegen der dramatischen Preisentwicklung bei den Rohstoffen kaum noch verlässliche Angebote auf Ausschreibungen abgeben.

LNG-Pläne und Planungsrecht: Ein LNG-Schiff könne in Wilhelmshaven schon Ende 2022 entladen werden, Verträge mit zwei weiteren Schiffen gebe es. Stefan Birkner fragte, ob denn das Land 200 Millionen Euro für die Hafeninfrastruktur in Stade ausgeben wolle. Ulf Thiele (CDU) forderte, die Planungszeit für LNG-Terminals von zehn auf zwei Jahre zu verringern. Was die Planung von Windkraftanlagen angehe, sollten Naturschutzaspekte nachrangig werden, auch über einen Verzicht auf die Verbandsklage müsse man nachdenken. Frank Henning (SPD) forderte Bürgerinitiativen auf, „es im Interesse der Sache hinzunehmen, dass das eine oder andere Windrad in der Nähe entsteht oder eine Stromleitung vor der eigenen Haustür verlaufen soll“.

Dieser Artikel erschien am 24.3.2022 in Ausgabe #056.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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