Worüber würde sich die Große Koalition im niedersächsischen Landtag, die seit nunmehr bald vier Jahren relativ harmonisch regiert, angesichts der nahenden Wahltermine zuerst öffentlich in die Haare kriegen? Über Umwelt- und Klimaschutz? Nein, hierzu bekennen sich SPD und CDU gleichermaßen. Über Versäumnisse in der Bildungspolitik? Nein, jeder Versuch eines Zündelns ist hier bisher im Keim erstickt worden. Über das Corona-Krisenmanagement? Nein, hier wissen Sozial- und Christdemokraten nur zu gut, dass sie eine gemeinsame Verantwortung tragen.

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Es ist vielmehr die Finanzpolitik, die jetzt deutlicher erkennbar als je zuvor die Geister teilt. Was sich in den vergangenen Wochen eher versteckt andeutete, hat am vergangenen Wochenende Ministerpräsident Stephan Weil auf dem SPD-Landesparteitag sehr krass beschrieben. In diesem Feld gebe es einen „nicht auflösbaren Unterschied zur Union“, behauptete Weil – und bekannte sich zugleich noch einmal zu dem Modell des DGB-Landesvorsitzenden Mehrdad Payandeh. Der hatte vorgeschlagen, eine Milliarde Euro aus dem Landeshaushalt abzuzweigen, damit eine landeseigene Gesellschaft auszustatten und dieser Gesellschaft das Recht zur eigenständige Kreditaufnahme im Umfang von zehn Milliarden Euro zu geben. Mit dem Geld könnten Schulen, Krankenhäuser und Straßen renoviert und neu gebaut werden.

So ausführlich ging Weil nicht auf Payandehs Modell ein, sagte aber immerhin zwei Details: Erstens dürfe die Sanierung der Hochschulen „nicht aus jährlichen Überschüssen“ bezahlt werden. Also, meinte Weil wohl, ohne es klar zu sagen – dies solle über Kredite geschehen. Zweitens sagte Weil, ebenfalls ohne nähere Details zu nennen, man dürfe keine Zeit verlieren und müsse die Schuldenbremse reformieren.

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Das musste in den Ohren von Hilbers, der in der Regierung der Finanzminister von Ministerpräsident Weil ist, wie eine Provokation klingen. Nur gibt es mit dem, was Hilbers darauf reagierte, in Wahrheit nicht nur einen, sondern zwei Adressaten. Erstens die Sozialdemokraten, denen Hilbers mit seinem klaren Bekenntnis zur Sparsamkeit deutlich widerspricht. Zweitens aber auch Stimmen in den eigenen Reihen, die ebenfalls eine Lockerung der Schuldenbremse ins Gespräch gebracht hatten, beispielsweise vor einigen Monaten Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU). Braun stand damals nicht als einsamer Rufer in der Wüste, denn weltweit gibt es auch im eher bürgerlichen Lager starke Befürworter einer kräftigen staatlichen Investitionswelle, die durch die niedrigen Zinsen erleichtert wird. Das Paradebeispiel dafür ist das Programm des neuen US-Präsidenten Joe Biden. Selbst in Niedersachsen, heißt es, soll es auf der CDU-Seite einige Befürworter weiterer staatlicher Investitionen auf Kreditbasis geben.


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Als CDU-Landtagsabgeordneter, nicht als CDU-Landesvize und auch nicht als Finanzminister hat sich Hilbers nun hingesetzt und ein sechs Din-A-4-Seiten starkes Memorandum aufgesetzt unter der Überschrift „Die breite Mitte stärken – zurück zu den Grundsätzen der sozialen Marktwirtschaft und einer stabilitätsorientierten Finanzpolitik“. Das klingt wie eine Positionsbestimmung kurz vor dem Wahlkampfstart (und vor der bisher noch nicht geschehenen Verabschiedung des Programms der Bundes-CDU zur Bundestagswahl), aber auch wie eine Abgrenzung von den keynesianischen Gedanken einer ausgabenorientierten Wirtschaftspolitik, wie sie vor allem bei SPD, Grünen und beim DGB gedeihen, aber selbst bei einigen Vertretern des Arbeitgeberlagers.

Die lange Phase der Krisenintervention hat zu einem weit verbreiteten Staatsverständnis geführt, das nicht dem von Ludwig Erhard und den Prinzipien einer Marktwirtschaft entspricht.

Was Hilbers in dem Papier zusammenstellt, lässt sich in den wesentlichen Punkten so zusammenfassen: Die Leitlinien der christlichen Soziallehre, wie sie der Jesuitenpater Oswald von Nell-Breuning vertreten hat, seien von den Prinzipien der Subsidiarität und der Solidarität geprägt. Staatliche Macht solle auf das nötige Minimum beschränkt werden, der Freiraum für gesellschaftliche Selbstorganisation solle möglichst groß sein – und diese Selbstorganisation solle dezentral geschehen, in den Familien, Dorfgemeinschaften und Regionen.

Solidarität heiße Hilfe für die Schwachen und Schutz vor dem Missbrauch wirtschaftlicher Macht durch besonders starke Organisationen. In den Jahren 2000 bis 2010, schreibt Hilbers, sei diese Linie in der Politik verfolgt worden, seit 2010 habe es dann die Umkehr gegeben, an zahlreichen Stellen sei den Bürgern die Verantwortung weggenommen und dem Staat zugeschoben worden. Die Corona-Krise verschärfe das noch: „Die lange Phase der Krisenintervention hat zu einem weit verbreiteten Staatsverständnis geführt, das nicht dem von Ludwig Erhard und den Prinzipien einer Marktwirtschaft entspricht“, schreibt Hilbers.

Die Zeit der fiskalpolitischen Wohltaten ist definitiv vorbei.

Der CDU-Politiker ruft seine Partei in dem Aufsatz zu einer „Richtungsentscheidung“ auf. Die Partei solle die Menschen darauf einstimmen, dass wegen der stark weggebrochenen Einnahmen Bund Länder, Gemeinden und auch Unternehmen starke Einbußen zu verkraften haben werden. Nötig sei jetzt sogar ein Ausgabenstopp (Hilbers hebt dieses Wort sogar gefettet hervor): „Die Zeit der fiskalpolitischen Wohltaten ist definitiv vorbei.“ Wer das Problem mit Schulden zu lösen versuche, verlagere die nötigen Kürzungen auf die nächste Generation. Die Zinsen würden nicht immer so niedrig bleiben, und nachweislich seien die Staaten in der Vergangenheit besser durch die Krisen gekommen, wie weniger Schulden und stabilere Staatsfinanzen hatten.

Daher dürfe es „keinen Zweifel daran geben, dass die CDU auch in Koalitionsverhandlungen und nach einer neuen Regierungsbildung an der Schuldenbremse und deren Prinzipien festhält“. Rufe nach einer zusätzlichen Besteuerung des Aktienhandels seien falsch, weil damit den Bürgern die Möglichkeit zum Vermögensaufbau genommen werde, „finanzmarktgefährdende Spekulationen“ sollten allerdings sehr wohl mit einer verbesserten Aufsicht und klaren Regulierungen unterbunden werden.

Hilbers verweist erneut auf Föderalismusreform

Noch einmal betont Hilbers, dass auch eine neue Föderalismusreform in Deutschland nötig sei. Mischverantwortungen und -finanzierungen zwischen Bund und Ländern sollten abgebaut werden, die Länder sollten zudem die Möglichkeit erhalten, zu den Gemeinschaftssteuern eigene Zuschläge zu erheben. Das führe dazu, dass die Landespolitiker mit den Bürgern darüber diskutieren müssen, ob höhere Ausgaben und höhere Steuern, oder lieber Ausgabekürzungen und geringere Steuersätze der richtige Weg seien. Die Besteuerung von Unternehmen und Gewinnen, die in den Unternehmen verbleiben, solle eine Obergrenze von 25 Prozent (bei Gewerbe- und Körperschaftsteuer) nicht überschreiten, fügt Hilbers hinzu.

Das Hilbers-Papier (hier können Sie das Original lesen) dürfte in den kommenden Tagen noch kräftig diskutiert werden. Beide Seiten, die Keynesianer hier und dort Hilbers selbst und die angebotsorientierten Wirtschaftswissenschaftler, haben für die kommenden Tage zu Diskussionsveranstaltungen eingeladen. (kw)