Der Niedersächsische Beamtenbund (NBB) sagt für Ende dieses Jahres ein schlimmes Erwachen bei der Digitalisierung der Landesverwaltung voraus. Laut „Online-Zugangsgesetz“ (OZG) des Bundes müssen dann 575 Verwaltungsleistungen in allen Kommunal- und Landesbehörden online abzuwickeln sein. „Ich sage voraus, dass das nicht funktionieren wird“, meint Peter Specke, zweiter Vorsitzender des NBB und Vorsitzender der Kommunalgewerkschaft Komba.
„Höchstens ein Drittel“ der 575 Dienstleistungen könne dann von den Bürgern direkt am Bildschirm im Kontakt mit der Behörde erledigt werden. „In den übrigen Fällen erscheint dann auf dem Bildschirm eine Blackbox, weil derzeit an allen Stellen in der Verwaltung das Personal fehlt, die Vorgaben des OZG auch umzusetzen und alles zu dem Starttermin passend zu haben.“

Specke ergänzt, er wolle den zuständigen Behörden keine Nachlässigkeit oder Langsamkeit unterstellen. Der Grund sei einfach, dass Mitarbeiter in der Pandemie-Zeit und später im Ukraine-Krieg für andere Aufgaben benötigt worden seien. „Die fehlten dann dafür, die Digitalisierung voranzutreiben und das Personal für die neuen Anforderungen zu schulen.“ Das gelte für die Landes-, wie für die Kommunalebene.
Der erste NBB-Vorsitzende Alexander Zimbehl und Specke haben am Mittwoch einen Forderungskatalog an die Landespolitik vorgestellt:
45.000 Bedienstete „so schnell wie möglich“: Laut NBB sind in der Landes- und Kommunalverwaltung kurz- und mittelfristig 45.000 neue Mitarbeiter nötig, damit die Altersabgänge ausgeglichen und Defizite bei der momentanen Personalbesetzung beseitigt werden. Vor allem zwischen den Jahren 2025 und 2029 wird ein steiler Anstieg der Pensionierungen erwartet. Laut „Personalstrukturbericht“ der Landesregierung scheiden, gemessen an der Zahl von 2020, von den rund 248.000 Landesbediensteten 24.000 bis 2025 aus und 62.000 bis 2030.
Huckepack-Verfahren notwendig: Der NBB schlägt vor, in vielen Verwaltungsbereichen jetzt schon Nachfolger einzustellen für jene Bedienstete, die in einigen Jahren ausscheiden und fachlich anspruchsvolle Tätigkeiten versehen. Damit könnten die alten Kräfte ihr Fachwissen an die Berufseinsteiger weitergeben. Ein „Wissenspool“ könne auf diese Weise aufgebaut werden.
Veränderungen der Eingruppierung: Zimbehl und Specke berichten vom dauernden Scheitern ihrer Versuche, mit dem Finanzministerium und der Landesregierung über veränderte Bedingungen zu reden – etwa die Chance zu schnelleren Aufstiegen und Beförderungen, die stärkere Durchlässigkeit der Laufbahnen. Wenn man Berufsanfänger besser bezahle, könne das ein wichtiger Anreiz im härter werdenden Ringen um die Fachkräfte sein. Diese Bemühungen seien vom Finanzministerium „abgeblockt“ worden.
Bürokratieabbau und Aufgabenzuwachs: Der NBB beklagt die zunehmenden Nachweis- und Berichtspflichten, die etwa auch Erzieher in Kindergärten belasten. Der Umfang der Anforderungen sei bei den Lebensmittelbehörden binnen acht Jahren von fünf auf 15 Seiten angewachsen. Zugleich gebe es wachsende Aufgaben wie Cyberkriminalität, Gesundheitsdienst und Finanzverwaltung (für die Grundsteuerreform), für die Fachleute fehlten. In den Finanzämtern betrage der Mangel derzeit 1600 Beschäftigte. Es sei kaum noch möglich, IT-Fachleute zu engagieren, da die freie Wirtschaft sehr viel lukrativere Bedingungen biete.
Verwaltungsreform möglich? Zimbehl räumt ein, dass die Verwaltungsreform mit der Vereinfachung von Abläufen ein möglicher Ausweg aus dem Personalmangel sei – auch mit Blick auf die Chancen der Digitalisierung. Specke ergänzt, derzeit sehe der NBB aber keine Möglichkeit, im Zuge der Digitalisierung auch Stellen abzubauen. Einzig die CDU hatte in den Landtagswahlprogrammen die grundsätzliche Notwendigkeit dieses Weges beschrieben, die anderen Parteien nicht. Zur Frage einer möglichen längeren Wochenarbeitszeit für Beamte sagte Specke, hier seien die Niedersachsen „gebrannte Kinder“, da vor Jahren den Lehrern Mehrarbeit auferlegt worden sei, ohne die versprochene Entschädigung in der nötigen Form zu leisten.
Lob für die Landesregierung: Zimbehl hebt hervor, dass bei aller Kritik auch einige Schritte der rot-schwarzen Landesregierung zu loben seien: Das Tarifergebnis für die Angestellten des Landes sei auf die Beamten übertragen worden, Überlegungen zur Erhöhung der 40-Stunden-Woche gebe es im Unterschied zu anderen Bundesländern hierzulande nicht.