12. Aug. 2018 · 
Inneres

Beim Treffen der Russland-Freunde fordert Weil ein Ende der Sanktionen gegen Moskau

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil spricht im Glockenpalast. Foto: Wallbaum

Die deutsche Politik teilt sich in Russland-Freunde und Russland-Kritiker, Putin-Anhänger und Putin-Gegner. Die erste dieser beiden Gruppen in Niedersachsen hat sich am Wochenende in Gifhorn getroffen, dort, wo der Privatinvestor Horst Wrobel, Gründer des Mühlenmuseums, vor 20 Jahren seinen „Glockenpalast“ errichtet hat. Der imposante Bau umgeben von einem riesigen Park soll irgendwann einmal ein florierendes deutsch-russisches Kulturzentrum werden. Michail Gorbatschow hatte dort 1996 den Grundstein gelegt, auch Wladimir Putin war schon hier. Das ganze Haus ist kunstvoll verziert, die Spitzen auf den Türmen erinnern an den Kreml – ein fast märchenhaftes Ambiente für dieses Treffen. Wrobel zählt zu den Russland-Freunden in Deutschland, wie auch Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), die Migrationsbeauftragte Doris Schröder-Köpf und viele andere, die der Einladung des russischen Honorarkonsuls Heino Wiese, einst SPD-Bundestagsabgeordneter, nach Gifhorn gefolgt waren.

Weil: "Gegenseitige Sanktionen sind kontraproduktiv"

Bei kräftigem Wind im Wechsel mit Sonnenschein wird der Innenhof des Glockenpalastes zur Kulisse für knallharte politische Positionierungen. Der Ministerpräsident wagt sich als erster vor. Ziemlich deutlich und unverblümt wirbt er dafür, die EU-Handelsbeschränkungen gegen Russland und die von Moskau verhängten Antworten darauf aufzuheben. „Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich die Form der gegenseitigen Sanktionen für einigermaßen kontraproduktiv halte.“ Zwar seien die Vorstellungen über die pluralistische Demokratie in Deutschland und Russland „nicht deckungsgleich“, dies dürfe aber keinen Anlass bieten, vom „Kurs des ständigen Dialogs“ abzuweichen.

Ein ausgeweitetes Freihandelsabkommen der EU, das auch Russland stärker als bisher einbezieht, schwebt Weil vor, wie er sagte, außerdem ein verstärkter Kulturaustausch. Zwar erwähnte der Ministerpräsident die störenden Streitfragen der vergangenen Jahre – „die Krim-Diskussion, den nicht gelösten Konflikt in der Ost-Ukraine, das russische Engagement in Syrien und die Vorwürfe, Moskau stecke hinter Giftanschlägen in Großbritannien“. Dass aber die russische Besetzung der Krim völkerrechtswidrig war und nach Ansicht der EU zuerst einmal rückgängig gemacht werden müsste, kam Weil nicht über die Lippen.

Schröder-Köpf will sich um Russlanddeutsche kümmern

Auch Doris Schröder-Köpf setzte Zeichen in Gifhorn. Sie war zwischen 2013 und 2017 als „Migrationsbeauftragte“ auch für die Aussiedler zuständig, ist es nun aber nach der Benennung von Editha Westmann (CDU) zur Aussiedlerbeauftragten nicht mehr. Westmann konnte an diesem Tag Wieses Einladung nicht annehmen, sie hatte schon einen Termin im Grenzdurchgangslager Friedland zugesagt. Dass Schröder-Köpf sie nun lediglich vertritt, lässt sich aber nicht sagen, denn in der Rede der SPD-Politikerin klang das ganz anders. Zunächst erklärte sie, selbst „Ansprechpartnerin für die Menschen aus Russland und den früheren Sowjetrepubliken“ zu sein, dann fügte sie noch hinzu, dass es mit Westmann künftig „noch eine weitere Ansprechpartnerin“ gebe.

Sind also beide, Schröder-Köpf und Westmann, gleichberechtigte Beauftragte für die Gruppe der Russlanddeutschen? Schröder-Köpf lässt in Gifhorn jedenfalls keinen Zweifel daran, selbst das Thema besetzen zu wollen. 400.000 russlanddeutsche Aussiedler lebten in Niedersachsen, die meisten seien erst seit den neunziger Jahren gekommen – und die Eingliederung sei anfangs schwerfällig gewesen. Der anfangs als Makel empfundene Umstand, eine russische und eine deutsche Identität zu haben, werde von vielen Aussiedlern inzwischen als Vorteil begriffen. Viele seien inzwischen stolz darauf, die russischen Prägung der Familiengeschichte als „eine Ressource“ begreifen zu können.

"Niedersachsen muss mehr für Völkerverständigung tun"

Abgerundet werden die Reden der beiden SPD-Politiker noch von weiteren kurzen Ansprachen, die allesamt einen Tenor haben: In Niedersachsen müsse mehr für die deutsch-russische Völkerverständigung getan werden, der Nachholbedarf sei groß. In Anspielung auf die starken Windböen, die fast die Sonnenschirme im Hof des Glockenpalastes umgeworfen hätten, forderte Honorarkonsul Wiese „frischen Wind“ zur Belebung der Beziehungen. „Starke Aggressionen“ gingen von Donald Trump in den USA aus, und wenn dieser inzwischen Russland, die Türkei und den Iran mit Sanktionen überziehe, müsse die EU „Position beziehen“ und dürfe „nicht schweigend danebenstehen“. Gegenüber den USA solle man „die Form der Emanzipation noch einmal aufnehmen, die Gerhard Schröder als Kanzler gegen die gewünschte Beteiligung am Irak-Krieg gezeigt hat“.

Der MHH-Professor Axel Haverich, weltberühmter Herzchirurg, hält einen gemeinsamen Klinikbau in Sankt Petersburg, getragen gemeinsam von der MHH und den Russen, immer noch für möglich. „Das Projekt ist nur auf Eis gelegt“, betonte er. Haverich war 1996 von Kanzler Helmut Kohl gebeten worden, den damaligen russischen Präsidenten Boris Jelzin zu operieren. Entstanden sind bis heute enge Kontakte zu den Russen, der Sohn eines russischen Freundes werde gerade in der MHH „zum besten Herzchirurgen Russlands ausgebildet“, außerdem plane man eine enge Kooperation zu einem russischen Projekt als Alternative zur Antibiotika-Behandlung in Kliniken – nämlich Viren, die Bakterien töten können. „Wir halten die Kooperation mit der Klinik in Sankt Petersburg aufrecht – egal, welche politische Großwetterlage herrscht“, sagte Haverich.

Andere sehen das genauso. Evgenia Panteleeva-Stammen von der Deutsch-Russischen Gesellschaft in Celle kritisiert die deutschen Behörden und Institutionen, die zu wenig spendabel seien, wenn es um die Kontakte beider Völker geht. „Bei uns finanziert alles die russische Seite, die Stadt Celle gibt nichts dazu.“ Friedrich Hille vom Verband der Russischlehrer sieht schon große Fortschritte bei der Vertiefung gegenseitiger Sprachkenntnisse. Während in den siebziger Jahren lediglich an 25 niedersächsischen Gymnasien Russisch angeboten worden sei, gebe es jetzt sogar schon Unterricht in manchen Grundschulen. Honorarkonsul Heino Wiese gibt dazu die Parole aus: „Es sollte mehr Russisch gelehrt werden hierzulande.“ Gegenseitiges Verstehen, meint er, könne emotionale Hürden abbauen. (kw)

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #137.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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