In den siebziger Jahren tobte in der hannoverschen SPD ein erbitterter Machtkampf mit vielen Akteuren. Wie Recherchen des Politikjournals Rundblick jetzt zeigen, interessierte sich dafür sogar die Staatssicherheit der DDR. Wir schildern die Ereignisse in einer kleinen historischen Serie. Heute der zweite Teil: die Rolle von Bruno Orzykowski.

Foto von Bruno Orzykowski im damaligen Landtagshandbuch

Im „roten Linden“, wie dieser Parteibezirk in der SPD heute noch gern genannt wird, war die Nähe zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten immer besonders groß. Wer hier bestehen wollte, musste gegenüber Linksbündnissen offen sein – und durfte keine falschen Berührungsängste haben. In den siebziger Jahren war der Ortsverein Linden-Limmer in der SPD ein riesiger Machtfaktor. 1600 Parteimitglieder wohnten hier, die Sozialdemokraten erreichten Resultate von bis zu 70 Prozent und mehr – und die SPD war straff organisiert, rund um den langjährigen Vorsitzenden Egon Kuhn, der aus seiner Nähe zu Linksaußen-Positionen nie einen Hehl machte.

Hier lebte Bruno Orzykowski (1923 bis 2013), ein Landarbeitersohn aus Ostpreußen, der nach der Kriegsgefangenschaft nach Hannover kam, sich zunächst der KPD anschloss und bei den Vereinigten Aluminium-Werken (VAW) arbeitete, dort dann 1959 Betriebsratsvorsitzender wurde. Rund um das KPD-Verbot musste er eine 18-monatige Haftstrafe verbüßen, da er damals als „Sitzredakteur“ der Zeitung „Die Wahrheit“ tätig war. 1964 wechselte er dann zur SPD, während sein Bruder Willi später Funktionär des KPD-Nachfolgers DKP wurde. Vermutlich wäre der wegen seiner Arbeiterkampf-Rhetorik ebenso geschätzte wie gemiedene Orzykowski landespolitisch unauffällig geblieben, wenn es ihm nicht 1970 gelungen wäre, den damals schon parteiintern umstrittenen Innenminister Richard Lehners im Wahlkreis Linden-Ricklingen abzusägen. Sein Betriebsratsmandat sicherte ihm breite Unterstützung von Lindener SPD-Mitgliedern, doch dies allein erklärt noch nicht den Erfolg bei dieser Aktion. Offenbar hatte der SPD-Ortsverein mit Kuhn an der Spitze daran auch gedreht.

Nachdem Orzykowski 1970 in den Landtag gekommen war, blieb er dort ein Hinterbänkler. Unauffällig konnte man ihn allerdings nicht nennen. Mit seinen Kollegen aus den VAW-Werken im Rücken brachte er bei Demonstrationen – etwa rund zum Erhalt der gefährdeten Hanomag Ende 1973 – Tausende auf die Straße. An seiner Seite war damals ein anderer SPD-Landtagsabgeordneter, Wolfgang Pennigsdorf, der ebenfalls dem linken Flügel der Partei angehörte. Aus Unterlagen der DDR-Staatssicherheit geht nun hervor, dass Orzykowski und Pennigsdorf im Auftrag der Stasi-Auslandsspionage, die von Markus Wolf geleitet wurde, „Maßnahmen der Unterstützung im Wahlkampf 1974“ erhalten sollten. Worin diese bestehen haben könnten, bleibt unklar – zumal Pennigsdorf gegenüber dem Politikjournal Rundblick beteuert, von solchen Schritten nichts zu wissen. Wir berichten später noch ausführlicher darüber.


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Wer war nun dieser Orzykowski? „Ein sehr belesener Mann“, sagt sein Freund Pennigsdorf. Im Gefängnis habe Bruno „Dostojewski verschlungen“ und gelernt, wie man sich dort vor zu viel Einsamkeit rettet: „Lesen, lesen, lesen“. Später, im Parlament, seien die beiden aber eher Außenseiter gewesen, erinnert sich Egon Kuhn. So richtig dazugehört habe Bruno zur Lindener SPD aber auch nicht, er sei „immer ein wenig undurchsichtig geblieben“, meint Kuhn. An der Nähe zu den Kommunisten kann das nicht gelegen haben, denn auch Kuhn hatte dort ja keinerlei Vorbehalte. Dass sich die Lindener SPD sehr wohl auf Orzykowski stützte und ihn im Gegenzug weiter unterstützte, hat vor allem mit der Truppe der VAW-Arbeiter (zu der Zeit 14.000 Beschäftigte) zu tun. Das meint auch Wolfgang Jüttner, seine politischen Anfänge auch in der Lindener SPD hatte.

„Wenn Wahlkämpfe waren und wir planten, wo wir etwa mit Heidemarie Wieczorek-Zeul auftreten sollten, hieß es immer: Wir gehen zu Bruno. Da war immer genügend Publikum garantiert.“ Mit Weggefährten aus Linden war Orzykowski auch regelmäßig bei Reisen in die Sowjetunion dabei, von „den Russland-Fahrern“ war bald in der Lindener SPD die Rede. Eine Reise in die UdSSR wurde 1971 vom Landtag organisiert, und dabei lernten sich Orzykowski und der in der SPD eher rechts stehende Horst Milde, später Landtagspräsident, näher kennen. Milde erinnert sich:  „Er war ein kommunistischer Träumer, während ich als gebürtiger Schlesier nichts vom Kommunismus hielt. Aber ich sprach so wie er immer offen aus, was ich meinte – und das imponierte ihm.“

Streit wurde später beigelegt

Je näher es auf die Landtagswahl 1974 zuging, desto mehr geriet aber auch Orzykowski ins Schussfeld der politischen Auseinandersetzung – zumal er sich 1973 erneut, nach 1970, gegen einen prominenten sozialdemokratischen Minister durchsetzte, nämlich Sozialminister Kurt Partzsch, diesmal direkt in einem Nachbarwahlkreis Limmer, der auch Lindener Anteile hatte. Kurz vor Weihnachten 1973 griff „Bild am Sonntag“-Chefredakteur Peter Boenisch Orzykowski in einer bundesweit verbreiteten Kolumne scharf an, weil dieser sich gegen das Versenden von Ost-Paketen an Menschen in der DDR gewandt hatte. Als der SPD-Abgeordnete dann wenige Monate später einen Aufruf „gegen Berufsverbote“ für ein DKP-Mitglied unterschrieb und von der CDU der Verdacht laut wurde, Orzykowski wolle den Kommunismus und das SED-Regime verharmlosen, sprang ihm der VAM-Betriebsrat – dem er vorstand – zur Seite: Er habe diese Unterschrift „in unserem Auftrag als Betriebsratsvorsitzender gegeben“, nachdem Betriebsrat und gewerkschaftlicher Vertrauenskörper dies beschlossen hätten.

Später wurde der Streit auch innerhalb beigelegt, da Orzykowski intern versicherte, kein parteipolitisches Bündnis mit Kommunisten anzustreben. Die wenige Wochen folgende Landtagswahl hatte für die SPD zwar Verluste parat, ein Teilresultat aber stach hervor: Orzykowski errang in seinem neuen Wahlkreis 61,5 Prozent – das beste Erststimmenergebnis der SPD landesweit. Und das für einen, über den die Stasi damals intern behauptete, er sei in diesem Wahlkampf von ihr unterstützt worden. (kw)