21. Juli 2022 · 
Justiz

Justizminister Buschmann: „Kein Kriegsverbrecher darf sich sicher fühlen – schon gar nicht in Deutschland"

Ob Strafmündigkeit von Jugendlichen, Wahlrechtsreform, Vorratsdatenspeicherung oder die Aufhellung der russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine – im Zentrum dieser Fragen steht Bundesjustizminister Marco Buschmann. Der FDP-Politiker äußert sich zu aktuellen Themen im Interview mit dem Politikjournal Rundblick.

Bundesjustizminister Marco Buschmann spricht im Rundblick-Interview über Strafmündigkeit, Wahlrechtsreform und Kriegsverbrechen. | Foto: BPA, Canva, Montage: Rundblick

Rundblick: Aus Niedersachsen sind in jüngster Zeit Forderungen laut geworden, die Strafmündigkeit von 14 auf 12 Jahre herabzusetzen. Die Fälle schwerster Gewaltbereitschaft von Jugendlichen nehmen nach Ansicht von Experten erschreckend zu. Einen schlimmen Fall gab es kürzlich in Salzgitter. Wäre die Änderung des Alters die richtige Antwort auf dieses Problem?

Buschmann: Die Herabsenkung der Strafmündigkeit halte ich für keine geeignete Maßnahme zur Bekämpfung von Gewalttaten von Kindern. Unsere Rechtsordnung, insbesondere das Kinder- und Jugendhilferecht sowie das Familienrecht, stellt Wege bereit, die dem Alter und der Entwicklungssituation strafunmündiger Kinder viel angemessener sind als eine strafrechtliche Sanktionierung. Und diese Maßnahmen werden ja auch ergriffen. In besonders gravierenden Fällen kann das Familiengericht sogar eine Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe anordnen. Mit einem weiteren Irrglauben möchte ich auch gleich aufräumen: Entgegen einer weit verbreiteten Vorstellung ist die Zahl der in der polizeilichen Kriminalstatistik registrierten tatverdächtigen Kinder insgesamt nach der Jahrtausendwende erheblich gesunken - und keineswegs beständig gestiegen.

Rundblick: Lassen Sie uns sprechen über Pläne, mit einer Wahlrechtsreform die beständige Vergrößerung des Bundestages aufzuhalten.  Früher galt das Prinzip, dass man derartige große, für alle politischen Kräfte bedeutsame Reformen nur mit sehr breiter Mehrheit entscheidet und zumindest die größte Oppositionspartei dabei einbindet. Beides zeichnet sich derzeit in der Ampel-Koalition nicht ab. Ist der Weg, den die Ampel-Koalition hier vorzeichnet, noch fair?

Buschmann: Wir haben in den letzten Jahren gesehen, wie schwierig es ist, die Reform des Wahlrechts voranzubringen. Es entspricht der bewährten Tradition, dass das Parlament hier selbst mögliche Lösungen auslotet und nicht die Regierung. Darum wird im Moment intensiv gerungen. Natürlich sollen die Regeln auch über die aktuelle Legislaturperiode hinaus tragfähig sein. Außerdem müssen die neuen Regeln mit ausreichender Zeit vor dem nächsten Wahltermin klar sein. Es ist also gut, wenn versucht wird, das Vorhaben noch in diesem Jahr auf den Weg zu bringen.

Rundblick: Reden wir über ein anderes Streitthema, die Vorratsdatenspeicherung: Sowohl bei der Clan-Kriminalität, der Organisierten Kriminalität als auch beim Thema Kinderpornographie beklagen die Ermittler, dass sie wegen fehlender Zugriffsmöglichkeiten auf die Computerdaten der Verdächtigen ihre Arbeit nicht effektiv leisten könnten. Brauchen wir angesichts dieser Bedrohungen nicht mehr Chancen auf eine Vorratsdatenspeicherung? Brauchen wir nicht mehr Datenspeicherung und die Speicherung von IP-Adressen? Beides halten Politiker der Großen Koalition in Niedersachsen für dringend nötig.

Die Vorratsdatenspeicherung steht ja aktuell im Gesetz. Sie kann aber nicht durchgesetzt werden, weil sie gegen die Grundrechte verstößt.

Marco Buschmann, Bundesjustizminister

Buschmann: Die Vorratsdatenspeicherung steht ja aktuell im Gesetz. Sie kann aber nicht durchgesetzt werden, weil sie gegen die Grundrechte verstößt. Wir wollen sie deshalb aus dem Gesetz streichen und den Ermittlern stattdessen ein rechtssicheres Instrument in die Hand geben: das sogenannte „Quick Freeze“. Das heißt, wenn ausreichende Anhaltspunkte für eine schwere Straftat vorliegen, können Daten von Personen, die damit in Verbindung stehen, für das Verfahren gesichert werden. Da die Vorratsdatenspeicherung im Moment gar nicht angewendet wird, haben die Ermittler mit dem „Quick-Freeze“-Verfahren künftig mehr wirksame Befugnisse als heute. Eine Rückkehr zur flächendeckenden und anlasslosen Speicherung von Verkehrsdaten der Bürgerinnen und Bürger verbietet sich – und wäre rechtlich nicht möglich.

Rundblick: Sie als Justizminister haben sich engagiert für die Aufhellung der Kriegsverbrechen von Russen in der Ukraine. Wie weit sind die Ermittlungen der deutschen Behörden? Rechnen Sie damit, dass der russische Präsident in Zukunft vor dem Internationalen Gerichtshof oder einem anderen Gericht zur Verantwortung gezogen wird? Auf welche praktischen Schwierigkeiten stoßen die Bemühungen, die Ereignisse in der Ukraine möglichst schnell und sicher zu dokumentieren?

Buschmann: Der Generalbundesanwalt hat im März 2022 zu Kriegsverbrechen im Ukraine-Krieg ein sogenanntes Strukturermittlungsverfahren eingeleitet, um umfassend Beweise zu sichern. Zu diesem Zweck sichern und sichten deutsche Strafverfolgungsbehörden zurzeit Bild- und Videomaterial und vernehmen Zeuginnen und Zeugen. Insbesondere werden Geflüchtete aus der Ukraine durch Hinweise im Internet und in Apps gebeten, sich an Polizeidienststellen zu wenden. Die Dokumentation des Geschehens, insbesondere die Sicherung von Beweisen, ist von großer Bedeutung. Sie erst ebnet den Weg zu anschließenden Ermittlungsverfahren, um die Verantwortlichen für Völkerrechtsverbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. Ich rechne mit jahrelangen Ermittlungen, bin dabei aber zuversichtlich, Kriegsverbrechen in der Ukraine ahnden zu können. Auch die Ermittlungen im Zusammenhang mit den Kriegsverbrechen in Syrien haben lange gedauert, waren im Ergebnis aber erfolgreich und haben zu Verurteilungen geführt. Mir ist es wichtig, dass wir Kriegsverbrechen konsequent verfolgen. Kein Kriegsverbrecher darf sich irgendwo auf der Welt sicher und ungesühnt fühlen – schon gar nicht in Deutschland.

Dieser Artikel erschien am 22.7.2022 in Ausgabe #138.

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