…ist seit Jahren bei den Grünen aktiv, hat auch den Oberbürgermeisterwahlkampf von Belit Onay in Hannover geleitet – und zieht jetzt in sehr deutlichen Worten eine Bilanz zum gerade zurückliegenden Bundestagswahlkampf. Der Niedersachse der Woche heißt…

Foto: Mathis Weselmann; Krone: GettyImages/ptasha

…Mathis Weselmann, wurde vor 36 Jahren in Northeim geboren und arbeitet seit vier Jahren als Geschäftsführer der Grünen in der Landeshauptstadt. Man rechnet ihn dem Realo-Flügel zu, und vorübergehend galt er im vergangenen Jahr auch als möglicher Anwärter für den Landesvorsitz der Grünen. Doch Weselmann trat bei der Vorstandswahl für den Posten nicht an, er arbeitet im Landesvorstand als Beisitzer.

Auf seiner Internetseite hat er jetzt eine längere Analyse des zurückliegenden Bundestagswahlkampfes geschrieben. Der Kernsatz daraus lautet:

„Nach den Bundestagswahlen reden wir bei den Grünen viel über Personen und Koalition. Wir sollten auch über den Wahlkampf reden.“

Die Analyse von Weselmann trägt die wenig schmeichelhafte Überschrift „Wir haben es verkackt“. Dann schreibt er, selbst „stinksauer“ zu sein. Die Grünen seien weit hinter dem geblieben, was „möglich und angesichts der historischen Herausforderungen vor allem des Klimawandels auch erforderlich gewesen wäre“. Alles auf Annalena Baerbock zu schieben, sei verkehrt, denn keine Mannschaft verliere nur wegen der Mittelstürmerin. Die Grünen hätten keine Gegenstrategie gehabt, um auf absehbare Angriffe der Gegner, die auf eigenen Fehlern der Grünen basieren, zu reagieren.

Womöglich sei es auch ein Fehler gewesen, sich auf eine Person zu fokussieren anstatt „von der Dynamik und vom Zusammenspiel des Duos zu profitieren“. Bei vielen Grünen habe die Vorstellung geherrscht, die Gesellschaft warte nur auf eine ökosoziale Wende, es brauche nur einen Stupser, aber keine Überzeugungsarbeit mehr. Mit der SPD hätten viele nicht mehr gerechnet, sondern gemeint, das linke Wählerpotenzial würde automatisch zu den Grünen wechseln. Die eigentliche kommunikative Aufgabe, nämlich den eigenen Machtanspruch öffentlich zu begründen, habe die Partei ganz dem Zeitgeist überlassen wollen – und in der Folge auf jede Polarisierung verzichtet, auch auf die Auseinandersetzung mit SPD und Union.

Für einen großen Fehler hält Weselmann auch die späte Kanzlerkandidatenentscheidung erst im April 2021, das sei für eine gute Kampagnenplanung inhaltlich wie organisatorisch viel zu spät gewesen. Wesentliche Inhalte einer Kampagne – die Kritik an den Verhältnissen und die Erklärung dafür, warum die Grünen die Richtigen für die Lösung der Probleme sind – seien nicht entwickelt worden. Die Erzählung, dass grüne Themen den Siegeszug bis in die Mitte der Gesellschaft angetreten hätten, sei kaum angeboten worden.


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Handwerkliche Fehler nennt Weselmann außerdem noch: So habe man es versäumt, die Kanzlerkandidatin als Führungspersönlichkeit zu profilieren etwa über staatsmännische Reden oder Bilder von Auslandsbesuchen. „Anstatt die Kandidatin zum Leuchten zu bringen und nach oben zu ziehen, hatte die Kampagne eher den Anspruch, die Kandidatin möge die Kampagne ziehen.“ Baerbock sei als „Galionsfigur auf eine bestehende Kampagne gesetzt“ worden.

Die schonungslose Offenheit von Weselmann ist gegenwärtig schon ein positiver Ausnahmefall, denn bei vielen anderen Politik-Strategen findet man das gegenwärtig nicht. Die Rundblick-Redaktion verleiht ihm dafür den Titel „Niedersachse der Woche“.