20. Juni 2022 · 
Parteien

Die Grünen starten den Wahlkampf mit Angriffen auf den Ministerpräsidenten

Bei den Grünen herrscht aufgeräumte Freude, schon seit langem. Denn die Umfragen sind glänzend, die Aussichten auf einen kräftigen Stimmenzuwachs bei der Landtagswahl am 9. Oktober sind gut. Entsprechend agil schwingen sich schon zu Beginn des Programmparteitags die beiden Spitzenpersonen der Grünen auf das Podium – Spitzenkandidatin Julia Hamburg und Christian Meyer, der frühere Agrarminister, auf Position zwei. „Es ist richtig heiß heute, und wir wollen der Großen Koalition kräftig einheizen“, ruft Christian Meyer ins Mikrophon – und tosender Applaus ist die Reaktion. Die Grünen müssten „SPD und CDU aus ihrer Bräsigkeit erlösen“, postuliert Meyer, „es ist doch kein Geheimnis, dass Weil nicht mehr mit Althusmann und Althusmann nicht mehr mit Weil regieren will. Also helfen wir ihnen!“

Die niedersächsischen Grünen haben sich am Wochenende
zum Landesparteitag in Wolfenbüttel getroffen. | Foto: Wallbaum

Der kräftige Applaus zeigt, wie geschlossen die Partei momentan ist. Rund 200 Delegierte sind nach Wolfenbüttel gekommen, viele Gesichter sind das erste Mal hier. Der kräftige Mitgliederzuwachs der Partei hat auch den Generationswechsel in den Delegiertenreihen beschleunigt. Zwar sind mehr als 700 Änderungsanträge zum Wahlprogramm vorgelegt worden, doch die verschiedenen Gremien – darunter eine siebenköpfige „Schreibgruppe“ für die Formulierungen – haben die meisten Konflikte im Vorfeld entschärfen können. So klappte es, ganz grundsätzlichen Streit zu verhindern. Denn auch die Grünen wissen: Kurz vor der Wahl nützt es keiner Partei, wenn sie sich entzweit. Die „Präambel“ für das Programm, in der noch am deutlichsten die Richtung vorgegeben wird, ist von den Änderungsanträgen vorsorglich ausgeklammert worden. Die Formulierung dieses womöglich heikelsten Teiles wird dem kleineren Parteirat überantwortet.

Foto: Wallbaum

Wo aber tendieren die Grünen hin? Nehmen sie Kurs auf Rot-Grün? Sowohl Hamburg als auch Meyer, aber auch andere führende Vertreter der Partei sind in ihren Reden bemüht, diesen Eindruck gerade nicht zu erwecken. Hamburg geht den Ministerpräsidenten direkt an. Stephan Weil stehe für „Maß und Mitte“, aber für Niedersachsen „reicht dieses Mittelmaß nicht mehr aus“. Christian Meyer greift „den christdemokratischen Finanzminister“ an, der es nicht geschafft habe, mehr als zwölf Solaranlagen auf die mehr als 5000 Dächer öffentlicher Gebäude zu installieren. Den Namen Reinhold Hilbers erwähnt er nicht. Auffällig ist auch, dass der Name von Weils Herausforderer Althusmann vom Grünen-Spitzenteam gar nicht genannt wird.


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Dann kommt der Bundestagsabgeordnete Helge Limburg aus Holzminden, der kräftig auf „den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten und die sozialdemokratische Sozialministerin“ schimpft, die „ständig die Bezieher von SGB-II-Leistungen gängeln“. In der Grundsatzdebatte, die den Beratungen der einzelnen Anträge vorausgeht, ist es einzig Pia Scholten von der Grünen Jugend, die ihre strategischen Präferenzen deutlich ausdrückt. Sie bezeichnet die CDU-Politik als „rassistisch“ und fordert: „Schmeißen wir die Faschos aus dem Parlament und schicken wir die CDU in die Opposition!“ Mit „Faschos“ meint sie vermutlich die Politiker der AfD. Dafür erhält Scholten zwar kräftigen Applaus, aber nicht ungeteilten.

Foto: Wallbaum

Da „Prominente“ aus der Bundespolitik bei dieser Tagung fehlen, kommt es sodann der Osnabrücker Landrätin Anna Kebschull zu, die ihre Aufgabe darin sieht, die Grünen zum entschlossenen Wahlkampf anzustacheln. Die guten Erfahrungen, die sie in der Kommunalpolitik gesammelt habe, gäben dazu Mut: „Ich merke immer wieder: Wir haben uns schon mehr Respekt erworben, als wir selbst glauben.“ Der CEO eines Stahlwerkes habe jüngst erklärt, die Zukunft der Produktion könne nur klimaneutral laufen oder gar nicht. Bei der Lebensmittelproduktion und in der Landwirtschaft sei die Veränderungsbereitschaft viel größer als oft vermutet. Dann bittet Kebschull noch, die besonderen Belastungen der ländlichen Landkreise nicht zu unterschätzen und die Bevorzugung der bevölkerungsreichen Ballungsräume bei der Finanzverteilung zu überdenken: „Der ländliche Raum ist es, der die Lasten der Transformation trägt“, betont die Landrätin.

Einige programmatische Streitpunkte werden auf dem Parteitag dann angesprochen:

Windkraft im Wald: Der Kreisverband Osnabrück streitet dafür, Windkraftanlagen auch in vorbelasteten Waldstandorten zuzulassen – sofern das ökologisch vertretbar ist. Der Kreisverband Grafschaft Bentheim sieht das skeptisch und will im Wald nur versiegelte Flächen dafür zulassen. Der Landesvorstand bittet, auf eine Festlegung zu verzichten, „weil diese Diskussion im Fluss ist“. Der Landesvorstand setzt sich mit seiner Linie durch.

Photovoltaik auf Parkplätzen: Die Landesarbeitsgemeinschaft Energie will eine Pflicht zur Überdachung von Parkplätzen beschließen, damit dort Solaranlagen gebaut werden können. Doch dieser Antrag wird kurz vor der Abstimmung zurückgezogen.

Keine erste Klasse im Nahverkehr: Der Kreisverband Hildesheim bittet, auf die vom Landesvorstand vorgeschlagene Forderung nach Abschaffung der ersten Klasse im Nahverkehr zu verzichten. Der Landesvorstand hält dagegen – und gewinnt die Abstimmung.

Hammelsprung bei den Grünen | Foto: Wallbaum

Patt bei Straßenausbaubeiträgen: Der Kreisverband Göttingen fordert ein generelles, landesweites Verbot zur Erhebung von kommunalen Straßenausbaubeiträgen. Der Landesvorstand widerspricht und betont, die Kommunen sollten das selbst entscheiden. Die Debatte wird verlängert, dabei geraten Meta Janssen-Kucz (Leer) und Detlev Schulz-Hendel (Lüneburg) aneinander. Janssen-Kucz will die Beiträge abschaffen und die Grundsteuerregeln noch mal anpassen, Schulz-Hendel betont die kommunale Selbstverwaltung. In einer Kampfabstimmung stehen sich beide Seiten gleich stark gegenüber, sodass ein „Hammelsprung“ organisiert werden muss. Am Ende dieser aufwendigen Prozedur scheiterte der Göttinger Antrag an der Stimmengleichheit: 95 waren dafür, 95 dagegen – damit war die Initiative gescheitert.

Streit um Lastwagenmaut: Die Arbeitsgemeinschaft Verkehr fordert eine Lastwagenmaut auch auf Landes- und Kommunalstraßen, unterliegt aber. Der Landesvorstand rät davon ab, da das Logistikgewerbe jetzt schon unter einem starken Kostendruck leide.


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Streit um Start-ups und Jobgarantie: Die Grüne Jugend fordert, für Start-ups öffentliche Förderung nur dann zu zahlen, wenn diese Firmen auch nach Tarif bezahlen. Andere Delegierte sehen das mit Sorge – zu hohe Hürden würden Start-ups in ihren Entwicklungschancen zu stark beschneiden. Die Grüne Jugend formuliert auch die Idee eines Modellprojektes für eine „Job-Garantie“ für jedermann vom Staat – in gemeinwohlorientierten Tätigkeiten. Der Landesvorstand wendet ein, diese Idee würde das Land Niedersachsen jährlich 2,7 Milliarden Euro kosten – und würde damit erhebliche Kürzungen in anderen Bereich nach sich ziehen. Rechtlich erlaubt sei nur das Angebot an Hilfs- und Ergänzungsarbeiten. Eine Mehrheit lehnt den Antrag der Grünen Jugend daraufhin ab.

Dieser Artikel erschien am 21.6.2022 in Ausgabe #115.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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