…hat ihre politische Karriere eigentlich schon beendet, sie gehörte bis 2019 dem EU-Parlament an und war eine profilierte Menschenrechtspolitikerin. Nun hat sie sich, gemeinsam mit anderen Parteifreunden, in einer aufgewühlten kulturellen und politischen Debatte zurückgemeldet.

Foto: Jürgen Olczyk

Die Niedersächsin der Woche heißt Rebecca Harms, ist 64 Jahre alt und hat in der Politik zwei Karrieren hinter sich – zunächst als engagierte Grünen-Landtagsabgeordnete und Atomkraftgegnerin, bedingt auch durch ihre Herkunft im Wendland, dann als einflussreiche EU-Parlamentarierin und Streiterin für Menschenrechte. Sinnbildlich wurde das durch ihren Einsatz für die Demokratisierung in der Ukraine. Jetzt hat sich Harms gemeinsam mit dem Tübinger OB Boris Palmer, der einstigen Bremer Kultursenatorin Helga Trüpel und 32 anderen Grünen-Mitgliedern in einem Aufruf zu Wort gemeldet. Dieser trägt die Überschrift „Ohne Angst verschieden sein!“ und wendet sich vehement gegen eine auch in Teilen der Grünen spürbare Haltung, die mit dem Begriff „Identitätspolitik“ beschrieben wird. Sie grenzte sich von derlei Bestrebungen radikal ab und sagte in dem Aufruf:

Wir haben uns immer gegen rechte Identitätspolitik eingesetzt, sind den Pegida-Aufmärschen entschieden entgegengetreten. Aber genauso wenden wir uns auch gegen linke Identitätspolitik! Denn auch eine linke Politik der Selbstüberhöhung kann in neue Unfreiheit umschlagen, wie wir jetzt sehen.

Was genau nun Harms und ihre Kollegen meinen, führen sie weiter aus. Es geht um die seit Wochen vor allem in den Feuilletons der Zeitungen geführte Debatte über die Frage, ob das Gedicht der schwarzen Lyrikerin Gorman von einer weißen, nicht binären Frau ins Niederländische übersetzt werden darf oder nicht. Es mehren sich aus dem Lager der Linksintellektuellen Stimmen, die meinen, die Haltung einer schwarzen Schriftstellerin könne nur ein Schwarzer verstehen – andere sollten sich also zurückhalten. Dem setzen nun die Unterzeichner des Aufrufs ihre Position entgegen, und die lautet so. „Wir stehen genauso für die Kunstfreiheit und eine offene Debattenkultur, auch an unseren Universitäten und Hochschulen und in unseren Kultureinrichtungen. Wir wollen keine Cancel Culture, sondern einen offenen Dialog darüber, was gelebte kulturelle Vielfalt bedeutet und wie eine Ästhetik der Nachhaltigkeit den Transformationsprozess zu einer klimaneutralen Gesellschaft begleiten kann.“

Damit greift Harms gemeinsam mit anderen Parteifreunden, die eher dem „Realo“-Lager zugeordnet werden, in eine Diskussion ein, die sich derzeit auch in anderen Parteien abspielt. Auf der Seite der SPD kam es zum Konflikt zwischen Saskia Esken und Kevin Kühnert auf der einen Seite als Verteidiger der Cancel-Culture, Wolfgang Thierse auf der anderen Seite als Gegner der Identitätspolitik – mit ähnlichen Argumenten, wie sie jetzt von Harms und ihren Freunden vorgetragen werden. In der Linkspartei steht die einstige Fraktionschefin Sahra Wagenknecht auf der einen Seite, die neue Parteispitze auf der anderen. Für die Rundblick-Redaktion ist die deutliche Positionierung in einer Frage, die zunehmend auch vom kulturellen auf den politischen Bereich herüberschwappt, Grund für den Titel „Niedersächsin der Woche“, der Rebecca Harms nun übertragen wird. Glückwunsch dazu!