8. Aug. 2023 · 
Umwelt

Die verzögerte Endlagersuche bringt mehr als nur den Zeitplan ins Wanken

Als das Bundesumweltministerium Ende 2022 bekanntgegeben hat, dass sich die Suche nach dem am wenigsten schlechten Standort für ein atomares Endlager noch etwas verzögern wird, hat das viele nicht überrascht – aber bei einigen große Sorgen ausgelöst. Der ursprüngliche Plan sah zwar vor, dass die Standortsuche bis 2031 abgeschlossen sein soll, damit man bis Mitte des Jahrhunderts das Endlager errichten und hoffentlich bis zum Ende des Jahrhunderts dann den kompletten in Deutschland angefallenen hochradioaktiven Müll dort verstauen kann.

Doch angesichts der Dimensionen des Unterfangens war absehbar, dass es ohne Verzögerungen wohl nicht gelingen wird. „Das Standortauswahlverfahren hat das Ziel, den Standort für ein Endlager zu finden, der die beste Sicherheit über einen Zeitraum von einer Millionen Jahre bietet. Dies ist ein hoher Anspruch und eine herausfordernde Aufgabe“, verlautbarte das Bundesumweltministerium, als es im vergangenen Herbst das Aus für die Deadline 2031 verkündet hat: „Dem Grundsatz der bestmöglichen Sicherheit haben sich auch Zeitvorgaben unterzuordnen, gleichzeitig darf das Ziel nicht aus dem Blick geraten.“

Foto: Nikolay Chekalin via Getty Images

Dass das Ziel aus dem Blick geraten könnte, treibt derweil gerade diejenigen um, die schon jetzt vom Atommüll vor der eigenen Haustür betroffen sind. Insbesondere aus den Kommunen, in denen bereits Zwischenlager für hochradioaktiven Atommüll bestehen oder noch entstehen sollen, wächst der Druck, zügig eine Lösung für das Entsorgungsproblem zu finden. Beim nunmehr fünften niedersächsischen Begleitforum zur Endlagersuche, das Umweltminister Christian Meyer (Grüne) vor einigen Wochen in Hannover ausgerichtet hat, sollte deshalb über Beschleunigungspotenziale bei der Endlagersuche diskutiert werden.

Gleich zu Beginn zeigte allerdings Steffen Kanitz, damals noch stellvertretender Geschäftsführer der BGE, das Dilemma seines Auftrags auf: Je schneller man vorgeht, desto weniger nachvollziehbar werden die Entscheidungen getroffen. Das Verfahren koste Zeit, aber das sei wichtig, damit es wissenschaftlich basiert ablaufe. Zudem variiere das Urteil darüber, ob etwas nachvollziehbar ist, sehr stark je nach Empfänger: Was für den Laien noch immer unverständlich erscheint, ist für den Experten schon viel zu unterkomplex. Dabei sei es für das Gelingen des Verfahrens enorm wichtig, dass sich die Bevölkerung ausreichend mitgenommen fühlt und deshalb am Ende den ausgewählten Standort mitträgt, betonte Kanitz noch einmal.

Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Grüne) setzt das Format des landeseigenen Begleitforums zur Endlagersuche fort. | Foto: Kleinwächter

In den Reihen der Podiumsgäste sowie der sonstigen Teilnehmer des niedersächsischen Begleitforums, in Summe waren es etwa 40 gut informierte Anwesende, breiteten sich Zweifel aus, ob ein in die Länge gestrecktes Auswahlverfahren nicht eher dafür sorgt, dass Verständnis und Akzeptanz in der Bevölkerung noch weiter sinken. Was es bedeutet, wenn die zeitliche Zielvorgabe bröckelt, hat Ina Stelljes, Abteilungsleiterin für Öffentlichkeitsbeteiligung im Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE), herausgestellt: „Wie lange können wir es vertreten, dass überirdische Zwischenlager bestehen?“, fragte sie und merkte an, dass sich durch den Krieg in der Ukraine auch ein neues Bedrohungsszenario ergeben habe. Unbehagen bereitet ihr zudem auch, dass man über zehn Jahre Wissensaufbau betrieben habe – und dieses Level nun halten beziehungsweise auf Dauer stellen müsse. Ein schwieriges Unterfangen, wenn das Interesse immer weiter abnimmt. Sie appelliert dafür, die Irritation durch die Aufgabe der ersten Zielmarke zu nutzen, um das Verfahren insgesamt noch einmal genau anzuschauen.

„Der Beschleunigungswahn sollte an dieser Stelle nicht durchgezogen werden. Es muss gelten: Sorgfalt vor Schnelligkeit.“

Sollte man nun also das Tempo erhöhen, damit die Menschen am Ball bleiben? Susanne Gerstner, Landesvorsitzende des BUND, rät davon ab. „Der Beschleunigungswahn sollte an dieser Stelle nicht durchgezogen werden. Es muss gelten: Sorgfalt vor Schnelligkeit.“ An dem, wie es bisher gelaufen ist, hatte die BUND-Chefin auch einiges auszusetzen: Die Beteiligung sei zu spät losgegangen und zu knapp kalkuliert gewesen, die Berichte seien zu umfangreich und das Fachpersonal fehlte in den Bürgergruppen, gleichzeitig sei die Datentransparenz nicht gewährleistet und die Entscheidungswege unklar gewesen. Obwohl Kanitz ihr eine selektive Wahrnehmung kritischer Berichte attestierte, schloss er sich Gerstners Anliegen in einem Punkt entschieden an: „Im Zweifel muss gelten: für Beteiligung und gegen Beschleunigung.“ Dass das Verfahren derart aus dem Ruder gelaufen sei, begründete der damalige BGE-Geschäftsführer mit der zwangsläufigen Unwissenheit der Politiker, die den Zeitplan einst ausgearbeitet haben: „Die Kommission wusste einfach nicht, was da an Daten kommt.“

Ein solcher Satz macht deutlich, was fehlen wird, nachdem Kanitz nun die BGE verlassen hat: Mit ihm sei jemand gegangen, der der Endlagerkommission angehört habe, beklagte Martin Donat, der Vorsitzende des Ausschusses Atomanlagen im Landkreis Lüchow-Dannenberg. Seine große Sorge sei es, dass sich dadurch der Deutungsraum weite und man sich immer weiter vom eigentlichen Beschluss entferne, dass die Klarheit über das Ziel, ein Endlager errichten zu wollen, gar verwässert werden könnte.

Donat betonte: „Der Bundestag wird die Debatte führen müssen, ob ein Endlager die einzige Option ist, weil jeder ausgewählte Standort diese Debatte wird führen wollen.“ Der Kommunalpolitiker wirbt mit Vehemenz dafür, jede Debatte, die sich anbahnen könnte, offensiv anzugehen – weil jede Debatte, die schiefläuft, zu spät oder gar nicht geführt wird, am Ende das gesamte Verfahren zu Fall bringen könnte. „Es muss einen Diskurs geben über die Zweifelsfragen.“
Aus all diesen Gründen hält Niedersachsens Umweltministerium an dem von der Vorgängerregierung angestoßenen niedersächsischen Begleitforum fest.

Im Zweifel für Beteiligung und gegen Beschleunigung spricht sich der scheidende BGE-Geschäftsführer Steffen Kanitz aus. | Foto: Kleinwächter

Hatte es anfangs durchaus Kritik daran gegeben, dass Niedersachsen hier einen Sonderweg geht und neben dem offiziellen Begleitgremium auf Bundesebene eine zweite Instanz völlig ohne konkrete Mitwirkungsmöglichkeiten oder gar Entscheidungsbefugnisse eingerichtet hat, setzt sich inzwischen angesichts des verzögerten Verfahrens das Lob für das hiesige Format durch. Vorgesehen ist vorerst eine Veranstaltung pro Jahr, teilte das Umweltministerium auf Rundblick-Nachfrage mit. Man sei allerdings Willens, die Taktung zu erhöhen, sollte im Laufe des Auswahlverfahrens die regionale Betroffenheit in Niedersachsen weiter wachsen. Dies könnte der Fall sein, wenn beispielsweise die Standortregionen für die übertägige Erkundung ausgewiesen werden. Zudem möchte man auf Interessenbekundungen aus der Bevölkerung bei Bedarf reagieren können.


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Bislang hat sich das Land Niedersachsen sein Begleitforum über 50.000 Euro kosten lassen – wovon mehr als die Hälfte auf die fünf Hauptveranstaltungen und der Rest für die vier regionalen Informationsveranstaltungen in Braunschweig, Lüneburg, Oldenburg und Göttingen entfallen sind. Künftig soll das Format weiterentwickelt werden. So sollen die Kommunen stärker dabei unterstützt werden, sich mit dem Prozess der Endlagersuche zu beschäftigen. Für das laufende Haushaltsjahr wurden für ein entsprechendes Förderprogramm 500.000 Euro bereitgestellt. Auch soll das Informationsmaterial auf der Website weiter ausgebaut und die junge Generation stärker eingebunden werden. Doch je länger die Suche dauert, desto schwieriger dürfte das werden. Alle wissen es und kennen doch keinen besseren Weg aus der Misere als jenen, den sie gerade gehen.

Dieser Artikel erschien am 9.8.2023 in Ausgabe #132.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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