Liebe Leserinnen und Leser,

es war Freitag, kurz vor vier nachmittags in Wolfsburg. Vorm Werkstor des Volkswagen-Konzerns herrschte geisterhafte Stille. Warum? Die Autostadt hielt den Atem an. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hatte VW-Chef Herbert Diess eine Frist gesetzt. Und sie lief gleich ab.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) fordert die Vorstandschefs Oliver Zipse (BMW), Ola Källenius (Mercedes-Benz) und Herbert Diess (Volkswagen) dazu auf, bis zum morgigen Freitag um 16 Uhr einem Tempolimit auf deutschen Autobahnen zuzustimmen.


Warum kommt diese Forderung ausgerechnet jetzt, wo ohnehin jeder, der unnötig schnell fährt, dafür an der Tankstelle-Kasse zur Rechenschaft gezogen wird? Die Antwort ist klar, zumindest für die Deutsche Umwelthilfe: Wer auf der Autobahn schneller als 100 fährt, der ist ein Feind der Demokratie. Quasi ein Mitfahrgelegenheit für Wladimir Putin. “Wir müssen uns entscheiden: Für die Freiheit der Ukraine oder die Freiheit der Raser?“, sagt Jörg Spengler. Ja, das hat er laut DUH wirklich gesagt.

“Who the fuck is Jörg Spengler?“, werden sie sich jetzt fragen. Es handelt sich dabei um den Radverkehrsbeauftragten des Szeneviertels Au-Haidhausen mitten im München. Ein Ort, der für schattigen Biergärten und stilvollen Weinbars bekannt ist. Diese Vergnügungsstätten sind von den Einwohnern ebenso wie alle anderen Annehmlichkeiten des täglichen Lebens bequem mit dem Fahrrad oder einem perfekt ausgebauten ÖPNV erreichbar. Deswegen ärgert man sich in Haidhausen nicht über Traktoren oder Lkw, die einen auf der schlecht ausgebauten Landstraße auf dem Weg zur 50 Kilometer entfernten Arbeitsstätte ausbremsen. Hier ärgert man sich über die Autofahrer, die den Frieden ausbremsen.

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Aber zurück nach Wolfsburg, wo sich am vergangenen Freitagnachmittag kein Mensch mehr vor die Garage wagte. Nicht einmal die Steppenläufer trauten sich heraus – diese Bündel aus Gras und Zweigen, die normalerweise durch die Straßen der fünftgrößten Stadt Niedersachsens rollen. Schließlich stand ein Showdown an, der es mit der legendären Schießerei am O. K. Corral aufnehmen könnte. Doch diesmal ritten nicht Wyatt Earp und Doc Holliday durch die Straßen, sondern es waren die Öko-Sheriffs der Deutschen Umwelthilfe, die zielstrebig auf die VW-Zentrale zu radelten. 

Die Öko-Sheriffs von der Deutschen Umwelthilfe auf der Jagd nach Desperado Diess (von links): DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch, Physiker Martin Hundhausen, DUH-Bundesgeschäftsführerin Barbar Metz und Klimaforscher Stefan Rahmstor. | Foto: VW, GettyImages, DUH, Montage: Rundblick

Dann schließlich war es so weit: High Afternoon im Wolfsburg. 16 Uhr, nachmittags. Die Frist war abgelaufen. Und es passierte … nichts. “Diess, komm‘ raus! Wir wissen, dass du da bist!“, rief einer der Pistoleros und rüttelte am Werktor. Doch Diess kam nicht raus. Er hatte die Frist einfach verstreichen lassen. Und er war auch schon längst im Wochenende, unterwegs 1. Klasse im ICE oder in der Business Class eines Kurzstreckenfliegers auf dem Weg in Richtung Berge.

Denn wer sich das leisten kann, der ist nicht so dumm und quält sich bei jeder Gelegenheit selbst am Steuer seines Autos über die verstopften deutschen Autobahnen, sondern der chillt irgendwo als Passagier. Und deswegen lautet auch schon ein altes indianisches Sprichwort: “Großer Geist, bewahre mich davor, über einen Berufspendler, der mit 100 Stundenkilometern auf der Landstraße fährt, zu urteilen, ehe ich nicht selbst 1000 Meilen in seinen Wagen gefahren bin.“

Es heißt übrigens, dass man VW-Chef Diess auf seiner Reise ins Wochenende singen hörte. Und zwar das Lied “Kopfhaut” von der Band Die Ärzte – allerdings mit einem leicht veränderten Text:

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“Sie sagten: ‘Du kannst geh’n, aber dein Touareg bleibt hier.
Du kannst geh’n, aber dein Touareg bleibt hier.’
Sie gaben mir noch ein Ultimatum bis um vier,
Sie sagten: ‘Du kannst geh’n, aber dein Touareg bleibt hier.’
Kein Wunder, dass ich dies indiskutabel fand.
Und ich sagte: Meine Herren, dies ist ein freies Land,
Sie können das gern mit meinem Anwalt ausmachen,
Da fingen die Umweltschützer an zu lachen.
Sie erklärten, meine Meinung wäre ihnen scheißegal,
Und sie banden mich an den Marterpfahl.
‘Du kannst geh’n, aber dein Touareg bleibt hier.
Du kannst geh’n, aber dein Touareg bleibt hier.’

Es geht und wünscht Ihnen einen guten Start in die Woche,
Ihr Christian Wilhelm Link