Das Auto gehört für viele Niedersachsen nach wie vor zum bevorzugten Fortbewegungsmittel. Wie die Verkehrsforscher vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) im Auftrag des niedersächsischen Umweltministeriums ermittelt haben, legen die Menschen in Niedersachsen immer mehr Kilometer am Tag zurück. Waren es im Jahr 2002 noch 276 Millionen Personenkilometer pro Tag, kommt die Statistik 15 Jahre später auf eine Reichweite von 325 Millionen Kilometern.

Die Niedersachsen werden mobiler, doch die Pandemie hat den Trend zum Automobil gestärkt. – Foto: Marco2811

Dieser Anstieg liege im Bundestrend, erklärten die DLR-Forscher Claudia Nobis und John Anderson bei der Vorstellung ihres Abschlussberichtes, den sie an Umweltminister Olaf Lies (SPD) übergaben. Innerhalb dieses Anstiegs falle auf, dass der Anteil der mit dem Fahrrad oder dem öffentlichen Personenverkehr zurückgelegte Strecke zwar überproportional ansteige, doch der motorisierte Individualverkehr mit dem eigenen Auto in Niedersachsen immer noch die mit Abstand größte Kategorie ausmache. Knapp drei Viertel der gesamten Strecke wird hierzulande mit dem eigenen Automobil gefahren.

Es gibt die Gefahr, dass sich neue Routinen einschleifen, also mehr Autonutzung. Es ist daher wichtig, aktiv zu werden, sonst ist die Verkehrswende gefährdet.

Nun datieren diese Befunde aus dem Jahr 2017 – die Entwicklungen der Corona-Pandemie werden davon also noch gar nicht abgebildet. Die DLR-Forscher haben sich aber jenseits der eigentlichen Mobilitätsstudie, die eine Perspektive für die Verkehrswende in Niedersachsen aufzeigen soll, auch mit den veränderten Verhaltensweisen während der zurückliegenden Krisen-Monate auseinandergesetzt. „Wir merken: Das Verhalten von Menschen kann sich schnell wandeln“, erklärte Claudia Nobis. Homeoffice, digitale Veranstaltungen und Homeschooling seien enorme Verhaltensänderung der Bevölkerung gewesen, die letztlich zu einer deutlichen Abnahme der Mobilität geführt habe. Und bei manchen von denen, die noch unterwegs sein mussten, war das Fahrrad plötzlich ein sehr viel beliebteres Verkehrsmittel. Mit sogenannten Pop-Up-Radwegen sei auch staatlicherseits schnell auf die neuen Bedingungen reagiert worden.

Allerdings habe die Pandemie auch dazu geführt, dass die Menschen weniger gern mit Bussen und Bahnen fahren wollten, weil sie Angst vor Ansteckungen hatten. Stattdessen sei häufiger auf das eigene Auto zurückgegriffen worden. Nobis sieht darin ein Problem für die Verkehrswende: „Es gibt die Gefahr, dass sich neue Routinen einschleifen, also mehr Autonutzung. Es ist daher wichtig, aktiv zu werden, sonst ist die Verkehrswende gefährdet.“

Es mangelt nicht an Ideen und Konzepten, sondern an Umsetzung.

Doch was muss geschehen, damit die Mobilitätswende gelingen kann? „Es mangelt nicht an Ideen und Konzepten, sondern an Umsetzung“, sagte Nobis. Mit ihrem Fachgutachten wollen die DLR-Forscher dem Umweltminister auch konkrete Ratschläge mit an die Hand geben:

Routinen aufbrechen:

Das Auto genieße zwar einen immer geringeren Stellenwert, doch für einen Großteil der Bevölkerung gehöre es zum Alltag, sich mit dem Auto fortzubewegen, erklärte Nobis. Diese Selbstverständlichkeit lasse sich aber auch verändern, zum Beispiel indem sich der Autofahrer in der Innenstadt als Fremdkörper wahrnimmt, weil er stört und keinen Platz findet. Routinen könnten zudem noch dadurch verändert werden, dass Alternativen geboten werden. Die DLR-Forscher schlagen beispielsweise vor, weniger Dienstwagen anzubieten und stattdessen Budgets für Bus, Bahn und Fahrrad auszubauen.

Platz auf den Straßen neu verhandeln:

Der Trend zum Fahrrad sollte nach Ansicht der Wissenschaftler unterstützt werden – und zwar durch bauliche Maßnahmen bei der Verkehrsführung. Es mache einen Unterschied, ob man als Radfahrer zwischen den Autos fahren muss, oder ob man relativ sicher auf einem gesonderten Radweg fahren kann. „Bauliche Veränderungen darf man nicht unterschätzen. Es ist wichtig, wie Menschen aus eigenem Quartier herauskommen und wieder hineinkommen“, erklärte Nobis. Als Beispiel für eine radikale Umgestaltung des innerstädtischen Verkehrs verwies sie auf Barcelona. Dort habe es immer wieder Staus gegeben. Die neue Ordnung sieht nun vor, dass das Tempo auf 10 Stundenkilometer gedrosselt wird und zahlreiche Wege speziell für den Radverkehr ausgebaut werden.

Ladesäulen für E-Autos klug mixen:

Wenn in Niedersachsen die Autos noch so beliebt sind, sollte zum Wohle der Umwelt zumindest auf Elektroautos umgesattelt werden, meinen die Forscher. In einem gesonderten Kapitel haben sie sich daher mit der Ladeinfrastruktur für E-Autos auseinandergesetzt. Dabei empfehlen sie, die Schnellladesäulen logischerweise bei Einkaufszentren oder ähnlichem zu installieren. Zuhause oder am Arbeitsplatz sollte es hingegen Ladesäulen geben, die länger brauchen, weil man sich dort für gewöhnlich über einen längeren Zeitraum aufhält. Es sei wichtig, beide Modelle aufzubauen, erläuterte John Anderson.