Niedersachsens Kultusministerin Julia Hamburg (Grüne) möchte mit ihrem Bildungskongress am Montag ein neues Kapitel in der niedersächsischen Kultuspolitik aufschlagen. Die Herausforderungen, mit denen sie sich seit Amtsübernahme konfrontiert sieht, sind immens. Für die nächsten zehn bis 20 Jahre droht ein massiver Lehrkräftemangel an Niedersachsens Schulen – und bundesweit.

Das Kultusministerium sucht nach Mitteln gegen den Lehrkräftemangel. Einige dieser Maßnahmen dürften den Pädagogen nicht gefallen. | Foto: GettyImages/Andrey Zhuravlev

Die statistische Unterrichtsversorgung dürfte in den nächsten Jahren noch schlechter werden und tatsächlicher Unterrichtsausfall ist bereits jetzt weit mehr als nur ein hypothetisches Problem. Wie als Beleg hat die jüngste IQB-Studie den niedersächsischen Grundschülern eklatante Mängel in den Kernkompetenzen Rechnen, Lesen und Schreiben attestiert. Die Dramatik der aktuellen Situation würde es rechtfertigen, beim heutigen Bildungskongress ohne Schere im Kopf über Veränderungen nachzudenken, die wirklich eine Kehrtwende brächten. Mehrere Vorschläge stehen im Raum, die mal mehr, mal weniger einschneidende Veränderungen mit sich bringen könnten – mit unterschiedlicher Aussicht auf Erfolg:

Projekt Kraftanstrengung

Das eigentliche Signal, das vom Bildungskongress ausgehen muss, ist der Schulterschluss der verschiedenen kultuspolitischen Akteure. In kaum einem Ressort ist man derart im Gegeneinander festgefahren wie in der Kultuspolitik. Der Idealfall wäre es deshalb wohl, wenn es der Kultusministerin gelänge, alle an Schule beteiligten Personen auf eine gemeinsame Kraftanstrengung einzuschwören. Dieser Begriff wurde in den vergangenen Jahren politisch zwar arg überstrapaziert. Doch eine solche konzertierte, auf mehrere Jahre ausgelegte Aktion mag der einzige Ausweg sein, um mittelfristig aus der aktuellen Misere herauszukommen. So ließe sich etwa mit den Lehrkräften vereinbaren, jetzt mehr Stunden zu arbeiten, um im Gegenzug früher aufhören oder in eine Altersteilzeit wechseln zu können. Flankieren ließen sich solche Arbeitszeitkonten natürlich mit finanziellen Anreizen – doch das Lehrkräftegewinnungspaket hat bereits gezeigt, dass ein bisschen mehr Geld kaum einen Lehrer dazu bewegen kann, Dinge zu tun, die er nicht will. Es bräuchte also mindestens eine Gemeinsinn-stiftende Erzählung von Schule, gerne eine Kampagne und auf jeden Fall Erleichterungen.

Wenn es nach Kultusministerin Julia Hamburg (Grüne) geht, sollen Niedersachsens Schulen „Startklar in die Zukunft“ gehen. I Foto: Kleinwächter

Neue Stundentafel

Die Ereignisse an einer Grundschule im Ammerland könnte Schule machen und man überlegt sich tatsächlich, die Stundentafel einmal grundlegend zu reformieren. Dass Schule von montags bis freitags und von 8 Uhr bis 13 Uhr stattfinden muss, ist schließlich nicht in Stein gemeißelt. Die Verkürzung auf eine Vier-Tage-Woche könnte notwendig sein, wenn an einer Schule die Lehrkräfte für den Vollzeitunterricht fehlen. Allerdings würden dann Unterrichtsstunden ausfallen, die in Heimarbeit aufgearbeitet werden müssten, was wohl nur bei älteren Schülern erwartbar ist. Alternativ ließe sich die Arbeitswoche für Lehrer um einen Tag strecken auf sechs Tage von Montag bis Sonnabend. So könnten weniger Menschen tatsächlich mehr Schüler beschulen, weil weniger Unterricht parallel stattfinden muss. Die Belastung für die Lehrkräfte würde allerdings steigen und wäre nur effektiv, wenn die Zahl der tatsächlich vorhandenen Lehrervollzeit-Äquivalente entsprechend angehoben würde.

Teilzeit begrenzen

Es wäre ein radikaler Schritt, der wenig populär und womöglich kaum durchzusetzen wäre. Doch eigentlich müssten viel mehr Teilzeit-Lehrkräfte in Vollzeit wechseln. Die Quote der Teilzeitbeschäftigung liegt im Bildungssektor deutlich über der Quote in anderen Bereichen. Allerdings haben sich die Betroffenen das in der Regel gut überlegt und sind womöglich überhaupt nur deshalb Lehrer geworden, weil dieser Job eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf versprochen hat. Würde man jemanden zwingen, wäre die Folge vermutlich ein stark anwachsender Krankenstand. Damit wäre also wenig gewonnen. Beim Anheben der Teilzeit-Quote hilft es deshalb wohl trotz des Beamtenrechts nur, die Mehrarbeit attraktiver zu machen – siehe „Projekt Kraftanstrengung“.

Ganztag streichen oder abschwächen

Zu einer aufrichtigen Betrachtung des aktuellen Lehrermangels gehört es dazu, zu benennen, dass Lehrer heutzutage nicht bloß zu viele zusätzliche Verwaltungsaufgaben zu erledigen haben. Es sind auch die zusätzlichen Aufgaben, die sich durch Inklusion und Ganztag ergeben, die derzeit den Mangel verstärken. Denn tatsächlich sind aktuell so viele Lehrer an den Schulen beschäftigt wie nie zuvor. Den Ganztagsbetrieb und die inklusive Beschulung wieder einzustellen, schlägt derweil nur die AfD ernsthaft vor. Die CDU hat erklärt, Lehrer sollten konzentriert für den Unterricht am Vormittag eingesetzt werden,für die nachmittägliche Betreuung müssten pädagogische Mitarbeiter und Ehrenamtliche engagiert werden.

Einstiegsgehalt anheben

Ebenso wenig kontrovers wie effektvoll wäre es, jetzt das Einstiegsgehalt für alle Lehrer auf mindestens A13 anzuheben. Dass dieser Schritt kommt, ist nur noch folgerichtig und wird allein durch fehlenden finanziellen Spielraum der neuen Landesregierung ausgebremst. Doch was würde die Anhebung bringen? Kurzfristig zunächst einmal gar nichts, denn dadurch wäre im Schuljahr 2024/25 kein einziger Lehrer zusätzlich im Schuldienst. Allerdings würde ein Signal gesendet an die jungen Menschen, die sich gerade überlegen, was sie später einmal beruflich tun wollen. Für diejenigen, für die der Lehrerberuf nicht nur Berufung ist, sondern die sich auch über eine angemessene Bezahlung Gedanken machen, gäbe es dann zumindest eine Abschreckung weniger.