Am Rande einer Wahlkampfveranstaltung in Hannover hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) dem Politikjournal Rundblick ein Interview gegeben. Er verteidigte seine energiepolitische Linie und hob die Bedeutung des Ausbaus der Windenergie hervor – ohne die Länder, betonte Habeck, verfehle die Energiewende des Bundes ihr Ziel.

Rundblick: Viele Menschen sind verunsichert über den Kurs der Ampel-Regierung, sie wissen nicht, was sie noch erwartet. Können Sie diese Sorgen verstehen?
Habeck: Wir befinden uns in einer Notlage, die ausgelöst wurde durch Putins Angriffskrieg auf die Ukraine. Schlagartig ist deutlich geworden, wie groß die Abhängigkeit von russischem Gas noch immer ist. Ein großer Teil der Grundlagen für die deutsche Energieversorgung ist binnen eines halben Jahres weggefallen - das ist eine gewaltige Herausforderung, der wir uns mit enormer Kraft stellen. Die Ampel-Koalition musste dann schnell Entscheidungen treffen, die natürlich nicht im Koalitionsvertrag verankert waren - weil der Koalitionsvertrag diesen Krisenfall nicht vorgesehen hat. Und diese Entscheidungen treffen wir: Wir bauen Flüssiggas-Terminal im Rekordtempo, wir kaufen Gas, wir befüllen die Speicher, wir lassen Kohlekraftwerke länger laufen als geplant, auch wenn es schmerzhaft ist. Manche fragen sich da, ob solche Antworten nicht der politischen Grundorientierung der Grünen widerspricht. Da sage ich deutlich: Das tut es eben nicht.
Rundblick: Wieso?
Habeck: Weil wir aus staatspolitischer Verantwortung handeln, und die ist: die Energieversorgung unter widrigen Umständen zu sichern. Klar ist dabei, dass wir vieles, was jetzt nötig ist, vor allem wegen der Versäumnisse in der Vergangenheit tun müssen. Wenn Deutschland vor zehn Jahren entschlossener die Erneuerbaren Energien gefördert, eine Mobilitätswende begonnen und eine neue energiepolitische Grundlage für die Industrie geschaffen hätte, dann hätte uns jetzt die Abhängigkeit von russischem Gas nicht so sehr getroffen. Bei der Stahlproduktion und in der Chemieindustrie haben wir zehn Jahre Veränderung verpennt. Die zu spät einsetzende Veränderung ist also das Problem. Umso wichtiger ist es jetzt, dass wir die großen Dinge konsequent voranbringen. Der entschlossene Ausbau Erneuerbarer Energien und die Förderung von Wasserstoff als Energieform der Zukunft sind entscheidend.

Rundblick: Der Ausbau der Windkraft beispielsweise stößt aber vor Ort immer auf Probleme.
Habeck: Deshalb ist es ebenso wichtig, dass die Länder mitziehen. Beim Re-Powering und bei den Vorgaben für die Flugsicherung haben wir schon Hürden für die Windkraft aus dem Weg geräumt, mit dem EEG neue Grundlagen geschaffen. Weitere werden folgen. Aber im Bundeswirtschaftsministerium können wir uns auf den Kopf stellen - wir sind für den Erfolg auch auf Länder angewiesen, die mit Energie, Leidenschaft und Mut zu Konflikten mitziehen. Das dürfen keine Regierungen sein, die alles wegmoderieren wollen. Niedersachsen ist ein Schlüsselland für den Erfolg unserer Politik - auch wegen der starken Landwirtschaft und der starken Industrie, etwa der Stahlindustrie.
Rundblick: Gegenwärtig geraten Sie, gerade nach der Kehrtwende bei der Gasumlage, enorm unter Druck. Wie verarbeiten Sie den Popularitätsverlust?
Habeck: Das ist ja der Deal in der Politik - man stellt sich zur Verfügung bei einer Wahl. Und wenn man die Verantwortung bekommen hat, muss man sie auch tragen. Dazu gehört es, auch Antworten zu geben, die eben nicht immer populär sind. Die Grünen sind eine Partei, die in einer Krisenzeit entstanden sind - und die bedingt durch Krisen und ungelöste Probleme im Umweltschutz, bei der Gleichberechtigung oder bei den Minderheitenrechten immer stärker geworden sind. Das unterscheidet uns von anderen Parteien, wir bewähren uns gerade in der Krise. Ich bin nicht Minister geworden, um beliebt zu sein. Ich will es vernünftig machen, so gut ich es kann. Wenn ich das nicht so wollte - was sollte ich dann an dieser Stelle? Gern zitiere ich Winfried Kretschmann: Politik muss keinen Spaß machen, sondern Sinn.

Rundblick: Wie soll sich der Strompreis entwickeln - insbesondere der für die Industrie?
Habeck: Klar ist, dass wir die Energiepreise auch in der Wirtschaft dämpfen. Daran arbeiten wir. Für erste Industrieregionen, in denen grüner Stahl und grüne Chemieprodukte hergestellt werden, ist ein tragfähiger Preis entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit. Viele Unternehmen können noch von langfristigen Verträgen, die sie abgeschlossen hatten, profitieren. Andere, vor allem im Mittelstand und im Handwerk, können das leider nicht.
Rundblick: Welche Rolle spielen die Atomkraftwerke in der Energiepolitik? Gibt es doch ihre Rückkehr durch die Hintertür mit dieser Ampel-Koalition?
Habeck: Wir werden die beiden südlichen Atomkraftwerke in eine Einsatzreserve überführen und spätestens Anfang Dezember entscheiden, ob sie in diesem Winter auch über den Jahreswechsel hinaus bis zum Frühjahr laufen müssen. Stand jetzt muss man damit rechnen, dass sie es tun. Denn die Daten der französischen Atomkraftwerke sind sehen für den Winter nicht gut aus. Man muss dazu zwei Dinge wissen. Erstens sind wir Teil eines europäischen Stromsystems, wenn in Frankreich wenig Atomstrom produziert wird, wirkt sich das auch auf uns auf, insbesondere, weil wir dann Strom aus Gaskraftwerken in den französischen Markt geben. Zweitens: Wir reden wir vor allem über die Frage der Netzstabilität, da kann die Einsatzreserve einen kleinen Beitrag leisten. –Aber genauso ergreifen wir andere Schritte: mehr Erneuerbare Energien, kein Deckel für Biogas, höhere Transportkapazitäten im Stromnetz, noch stärkere Förderung von Solar- und Windkraftanlagen.
Rundblick: Widerspricht ein Votum für Atomkraft nicht der grünen DNA?
Habeck: Wir springen über unseren Schatten, das verlangt die Verantwortung. Die schwierigste Entscheidung war für mich dabei vor allem, Kohlekraftwerke länger laufen zu lassen. Umso froher bin ich, dass wir jetzt mit RWE und Nordrhein-Westfalen dafür den Kohleausstieg im Rheinischen Braunkohlerevier auf 2030 vorgezogen haben. Das bringt für den Klimaschutz richtig was.
