Wer in Hannover im Radio die UKW-Frequenz 106,5 eingibt, der hört: nichts. Schon Anfang Mai vergangenen Jahres war der Sender Radio Leinehertz von der Antenne gegangen. Es hatte ein unschönes Ende genommen, sogar vor Gericht hatte man sich mit der niedersächsischen Landesmedienanstalt (NLM) auseinandersetzen müssen, die dem Sender wegen chaotischer Buchführung schon früher die Lizenz entziehen wollte.

Auf die 106,5 muss man den Regler in Hannover derzeit gar nicht drehen – man hört dort nichts – Foto: fotosipsak / GettyImages

Jahrelang gab es bei dem nicht-kommerziellen Bürgersender für zahlreiche Ausgaben entweder überhaupt keine oder falsche Belege, zwischenzeitlich wurde die Geschäftsführung ausgetauscht, ohne dass der Wechsel zu mehr buchhalterischer Ordnung geführt hätte. Nach etwa neun Jahren war Schluss, die NLM zog dem insolventen Sender den Stecker. „Wir stecken freiwillig keinen Euro mehr in dieses Projekt. Das Geld versickert dort einfach“, machte der damalige NLM-Direktor Andreas Fischer deutlich.


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Der breiten Öffentlichkeit fiel das Aus von Leinehertz kaum auf, weil der Sender den meisten hannöverschen Radiohörern ohnehin unbekannt war. Im Gegensatz zu Bürgersendern wie „Radio Aktiv“ in Hameln oder Radio Ostfriesland in Emden führte der Bürgerfunk in der Landeshauptstadt immer das Dasein eines medialen Mauerblümchens und tat sich gegen die kommerzielle Konkurrenz schwer.

Das Aus von Radio Leinehertz passte in die missglückte Bürgerfunk-Geschichte Hannovers. 2009 hatte schon der Leinehertz-Vorgänger Radio Flora seine Lizenz verloren. Von einer zu geringen Hörerakzeptanz war bei der NLM damals die Rede. In der Realität hatte der Sender allein bei einer linksalternativen Klientel im Stadtteil Linden eine gewisse Bedeutung, in allen anderen Stadtteilen weinte man dem Sender keine Träne nach.

NLM-Direktor: Aufgabenstellung ändert sich massiv

Wie geht es jetzt weiter? Geht es nach der NLM, würde man vermutlich vom nächsten Bürgerfunk-Versuch in der Landeshauptstadt am liebsten die Finger lassen, die man sich bei den letzten beiden Sendern immer wieder verbrannt hat. Das hat auch mit dem Faktor Geld zu tun, schließlich kostet ein Bürgersender die Landesmedienanstalt rund 280.000 Euro im Jahr. Den Rest müssen die Sender selbst aufbringen. Keine leichte Aufgabe, denn in der Regel muss ein Bürgersender mit einem Jahres-Etat von rund 450.000 Euro kalkulieren, und Werbung ist den nicht-kommerziellen Sendern nicht erlaubt. Sie benötigen also überzeugte Förderer.

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Die NLM selbst wäre vermutlich nicht traurig, wenn sie die 280.000 Euro für den Bürgerfunk in Hannover einsparen könnte. Denn zum einem ist die Ertragslage der kommenden Jahre noch nicht ganz klar, weil die NLM überwiegend über einen Anteil aus den Rundfunkbeiträgen finanziert wird und die geplante Beitragserhöhung noch nicht von allen Landtagen abgesegnet wurde. Zum anderen stehen alle Medienanstalten vor größeren Veränderungen. „Die Aufgabenstellung ändert sich massiv“, sagte NLM-Direktor Christian Krebs bereits im September im Rundblick-Podcast.

Das liege auch daran, dass der Rundfunkstaatsvertrag zum Medienstaatsvertrag wird und es eben nicht mehr nur um das lineare Fernsehen und Radio geht. „Wenn ich in Zukunft aber beurteilen soll, ob ein Suchalgorithmus einer Suchmaschine diskriminierungsfrei handelt, dann benötige ich dafür auch die technischen Experten“, sagte Krebs. Und diese Experten werden die Medienanstalten Geld kosten.

Onay wünscht sich ein neues Bürgerradio

Auf der anderen Seite wünscht man sich in Hannover wieder ein Bürgerradio, allen voran Oberbürgermeister Belit Onay. So ein Sender gebe den Menschen in Hannover eine Stimme und helfe vielen jungen Menschen, sich dem Journalismus zu nähern, sagte Onay, der sich in der Frage auch schon direkt an die NLM gewandt hat, im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick. „Zudem kommen Themen in die Öffentlichkeit, die ansonsten etwas unter dem Radar bleiben. Ich würde es mir anhören“, so Onay.

In den vergangenen Monaten habe es keine ernsthaften Bewerbungen gegeben, heißt es innerhalb und außerhalb der Landesmedienanstalt, was dazu führte, dass niemand auf den Gedanken kam, die brachliegende Frequenz neu auszuschreiben. Das hat sich nun geändert. Inzwischen gibt es drei Interessengruppen, die gerne wieder einen Bürgersender auf die Beine stellen würden.

„Maschseewelle“, „Leine Live“ und „Leibniz FM“ lauten die Namen der Projekte. Im Ausschuss für Bürgerfunkfunk der NLM stand die Mehrheit einer Neuauflage eines solchen Senders in Hannover in der jüngsten Sitzung sehr aufgeschlossen gegenüber, am kommenden Montag dürfte der Vorstand der NLM-Versammlung ebenfalls über das Thema sprechen.

Inzwischen mehren sich die Anzeichen, dass das Fenster für einen weiteren Versuch geöffnet bleiben dürfte. Allerdings wird man sich gerade bei Bewerbungen aus Hannover die Finanzplanung eines neuen Senders sehr genau anschauen, bevor es eine Zulassung geben sollte. Damit es überhaupt zu einer neuen Ausschreibung der Frequenz kommt, werden mögliche Bewerber sehr substanzielle Konzepte vorlegen müssen. Die Finanzierung könnte für die Interessengruppen durch die Corona-Krise eine große Herausforderung werden. Noch ist also nicht klar, ob in Hannover auf der 106,5 bald wieder mehr als nichts zu hören sein wird.

Martin Brüning