Das EU-Parlament hat am Dienstag verschärfte CO2-Emissionsnormen für Autos und leichte Nutzfahrzeuge beschlossen. Das Verbrenner-Aus ab 2035 ist damit besiegelt. Doch angesichts dramatisch gestiegener Strompreise mehren sich kritische Stimmen aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft, die dramatische Folgen für die heimische Industrie in Niedersachsen befürchten und entschlossene Schritte fordern.

Der Lingener EU-Parlamentarier Jens Gieseke (CDU) bezeichnet den Beschluss sogar „als herben Schlag für den Industriestandort Europa“ und hätte sich vor der Abstimmung einen „Realitäts-Check“ bei Grünen, Sozialdemokraten und Liberalen gewünscht. „Das Europa von heute ist anders als das Europa von vor eineinhalb Jahren, als wir mit der Fit-For-55 Klima-Gesetzgebung gestartet sind. Explodierende Energiepreise und enorme Versorgungsprobleme, insbesondere bei den für die Elektroautoproduktion kritischen Rohstoffen, haben bei der Entscheidung keine Rolle gespielt“, ärgert sich Gieseke.

Das EU-Parlament habe beste Voraussetzungen dafür geschaffen, dass chinesische und amerikanische Hersteller nun den europäischen E-Auto-Markt übernehmen könnten. „Neue Batterieproduktionen entstehen in Kanada und den USA“, merkt der verkehrspolitische Sprecher der CDU/CSU-Gruppe an. In Deutschland lohne sich das unter diesen Bedingungen wohl weniger. Er fordert deswegen, dass bei den gesetzlichen Vorgaben die Treibhausgasemissionen eines Fahrzeugs über dessen gesamte Lebensdauer von der Herstellung bis zur Verschrottung betrachtet wird und nicht nur im Betrieb auf der Straße. „Solange die Produktion des Fahrzeuges und der Strom zum Laden nicht emissionsfrei sind, ist auch ein Elektroauto nicht klimaneutral“, betont Gieseke.
„Solange die Produktion des Fahrzeuges und der Strom zum Laden nicht emissionsfrei sind, ist auch ein Elektroauto nicht klimaneutral."
Jens Gieseke, CDU-Abgeordneter im EU-Parlament
Aber reicht das aus, um die deutsche Batteriezellenindustrie wettbewerbsfähig zu machen? „Batterien sind für die künftigen Autos die wichtigste Komponente. Wenn wir auch zukünftig die gesamte Wertschöpfungskette eines Autos bei uns halten wollen, muss man wettbewerbsfähige Standortbedingungen für die Batteriezellproduktion schaffen“, sagte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) der Deutschen Presse-Agentur und forderte einen Industriestrompreis, der auf dem Niveau anderer Länder liegt.
Einen konkreten Strompreis nannte Weil zwar nicht. Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer von Niedersachsen-Metall, erinnert in diesem Zusammenhang jedoch an die niedersächsische Bundesratsinitiative aus dem Februar 2022, die als Ziel einen „Industriestrompreis von etwa vier Cent“ ausgab. Durch die Strompreisbremse wird der Preis pro Kilowattstunde für Unternehmen aktuell bei 13 Cent gedeckelt. „Wir müssen diesen Wert dritteln. Die Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch, aber in Deutschland herrscht Abwarten vor“, bemängelt Schmidt.

Um große Industrieansiedlungen etwa von Batteriefabriken in Niedersachsen zu realisieren, reiche aber ein niedrigerer Industriestrompreis allein nicht aus. Der Interessenvertreter der Metall- und Elektrobranche dringt auch auf durchgreifende Abschreibungserleichterungen, großzügigere Verlustverrechnungen und eine Senkung der Unternehmenssteuersätze auf 25 Prozent. „Was wir jetzt brauchen sind klare und belastbare Rahmenbedingungen“, sagt Schmidt und fordert Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) zum Handeln auf. Der niedersächsische Wirtschaftsminister Olaf Lies habe im Unterschied zur Bundesregierung schon verstanden, dass man sich in einem Standortwettbewerb befinde.
„Der Industriestrompreis ist prinzipiell nicht zu hoch für Batteriezellproduktionen in Deutschland, aber andere Länder sind hier deutlich wettbewerbsfähiger. Elektromobilität wird aktuell durch den Strompreis gebremst“, bestätigt Prof. Kai Peter Birke vom Zentrum für digitalisierte Batteriezellenproduktion des Fraunhofer-Instituts. Als größten Kostenfaktor bei der Herstellung einer E-Auto-Batterie nennt er zwar die Materialien, die bei einem Lithium-Ionen-Akku zwischen 70 bis 80 Prozent ausmachen. „Relativ zu attraktiven Ländern ist der Strompreis in Deutschland aber zwei bis dreimal höher und das schlägt bei GWh-Fabriken für Batteriezellen immer noch empfindlich durch“, sagt Birke und fügt hinzu: „Das verhindert zum Beispiel aktuell die erfolgreiche Ansiedlung von großen Batteriezellproduktionen in Schleswig-Holstein.“
Da Windenergie an der Nordseeküste im Überschuss vorhanden ist, findet Birke das „völlig unmöglich“. „Hier könnte man über visionäre Präzedenzlösungen punkten. Die USA machen es uns mit dem Inflation Act auf viel einfacherer Basis vor“, sagt der Energieforscher. Um wieder Bewegung in die Sache zu bringen, schlägt er kurzfristig Subventionen für bestimmte Anwendungen vor. Langfristig müsse das Ziel der intelligente Ausbau der Erneuerbaren Energien sein.

„Ja, der Strompreis in Deutschland und Europa ist nicht mehr wettbewerbsfähig“, sagt auch Prof. Arno Kwade von der TU Braunschweig im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick. Der Leiter des Instituts für Partikeltechnik und Experte für Batterieforschung empfiehlt: „Neben niedrigen Strompreisen analog zu den USA müssen Maßnahmen vorangetrieben werden, den Strombedarf pro kWh-Zelle zu senken.“ Derzeit müssten etwa 30 bis 40 Kilowattstunden Strom aufgewendet werden, um eine Kilowattstunde einer Batteriezelle zu produzieren. Kwade sagt weiter: „Der Strompreis in der EU sollte sich nicht an der teuersten Herstellung orientieren wie in den letzten Monaten an den Gaskraftwerken, sondern an mittleren Erzeugungskosten. Zudem muss die Batterieindustrie Zugang zu eigenen nachhaltigen Wind- und Solarparks erhalten.“

Den hohen Anteil an Windkraft und Offshore-Windparks bewertet er als einen wichtigen Standortfaktor, der für Niedersachsen spricht. Zudem gebe es hier gut ausgebildetes Personal. „Insbesondere der professionelle Betrieb einer Zellfabrik zur Minimierung des Ausschusses überwiegt den Einfluss der Energiekosten. Die durch Ausschuss verursachten Kosten liegen in der Regel bei über 10 Prozent“, erläutert Kwade.