SPD und Grüne bereiten gerade ihren Koalitionsvertrag für die nächste niedersächsische Landesregierung vor. Was soll dort drin stehen? Die Rundblick-Redaktion unterbreitet den Unterhändlern Vorschläge. Heute der dritte Teil: die Landwirtschaftspolitik.

Ministerin Barbara Otte-Kinast nimmt von Tilman Uhlenhaut (BUND) die Forderungen des Aktionsbündnisses Niedersachsen zur Weideprämie entgegen. | Foto: ML

Wer beruflich Lebensmittel erzeugt, sieht sich äußerst widersprüchlichem Konsumentenhandeln ausgesetzt. Eigentlich will jeder bio, aber kaum einer will es bezahlen. Jeder findet den tierwohlfreundlichen Offenstall super, aber Geruch und Geräusche sollen bitte drinnen bleiben. Jeder ginge am liebsten zum Hofladen, aber geht dann doch schnell beim Discounter vorbei. Jeder findet die industriellen Schlachtbetriebe grässlich, aber keiner will einen kleinen Schlachtbetrieb um die Ecke haben.

Wenn es um den Preis geht, ist es vielleicht noch die Schere zwischen Wollen und Können. Vielfach ist es aber eher die Schere zwischen Wollen und Machen. Wenn die Grünen nun das Agrarressort übernehmen, stehen sie vor der Chance aber auch der Aufgabe, endlich zu machen, was die vorangegangene Große Koalition nicht (mehr) geschafft hat: Die Kluft zwischen Verbrauchern und Erzeugern zu schließen.

Quelle: ML

Als im niedersächsischen Landtag der sogenannte „niedersächsische Weg“ für mehr Arten- und Gewässerschutz beschlossen wurde, haben die Grünen zwar zugestimmt. Aber eigentlich zählen sie zu den vehementesten Gegnern dieses Sonderweges, der es zum Ziel hat, Landwirtschafts- und Umweltverbände an einen Tisch zu bringen, um einen auf Kooperation ausgerichteten Weg zu finden, die Umwelt zu schützen und dennoch Landnutzung zu erlauben. Das Konzept ist zumindest in Niedersachsen weithin anerkannt, ruft nach einer Fortsetzung und vor allem: nach einer Erweiterung.

Im letzten der 15 Punkte des Vertrages, den die Landesregierung damals mit den Spitzen vom Landvolk, der Landwirtschaftskammer, dem Nabu und dem BUND geschlossen hat, ist der weitere Weg vorgezeichnet. Der Dialog soll ausgeweitet werden auf die Verbraucherseite, den Lebensmittelhandel und andere Akteure entlang der Wertschöpfungskette. Das ist freilich nicht einfach, zumal die Verbraucherseite ja in keinem Verein organisiert ist, der mit den anderen vergleichbar wäre. Angedacht wird die Verbraucherzentrale, doch deren bindende Wirkung in Richtung der Lebensmittelkunden dürfte gering sein.


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Spannender wird jedoch der Austausch mit dem Lebensmittelhandel sowie den anderen Akteuren, also Verarbeitern und Vermarktern von landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Zum einen muss es darum gehen, dass die gestiegenen Anforderungen sowohl an den Umweltschutz als auch ans Tierwohl dem Landwirt bezahlt werden. Dass die Erzeuger aber immer wieder am kürzeren Hebel sitzen, haben die Schweine-Krisen der vergangenen Jahre sehr deutlich vor Augen geführt. Zum anderen geht es dabei dann also auch um eine Systemfrage: Wollen wir ein System, in dem wenige Lebensmittelketten den Markt unter sich aufteilen und dadurch den Preis diktieren? Wollen wir ein System, in dem wenige Großkonzerne den Fleischmarkt dominieren, weil sie die wesentlichen Schlachtkapazitäten des Landes besitzen?

Hier kommen wir wieder zu dem zu Beginn skizzierten Widersprüchen: Kaum jemand möchte wirklich, dass Lebewesen in industrieller Manier – im Akkord, in riesigen Fabriken – geschlachtet und weiterverarbeitet werden, um dann zu billig in der Fleischtheke zu landen. Der moderne Niedersachse hat sich aber daran gewöhnt, dass er von all dem wenig bis gar nichts mitbekommt. Wenn er es dann doch mitbekommt, ist er entsetzt. Aber möchte der moderne Niedersachse den dezentralen Klein-Schlachter in der Nachbarschaft und können sich Direktvermarkter gegen die bequemen Ketten behaupten?

„Wir bedienen hier die Nische, die es immer geben wird“: Oliver Loges betreibt den kleinen, regionalen Schlachthof Holzminden. | Foto: Landvolk Niedersachsen

Möchte die nächste Landesregierung dieses Problem überwinden, sollte sie zweierlei tun: Zum einen muss der Dialog, der im Vertrag zum „niedersächsischen Weg“ angelegt ist, fortgesetzt werden. Wie das dann neu besetzte Agrarressort dieses ausgestaltet, bleibt vielleicht der Kreativität der Pressestelle überlassen. Dialog-Formate hat man dort zuletzt ja mehrere ausprobiert. Viel wichtiger ist zum anderen aber noch, dass die neue Hausspitze konkret wird. Wer A will, muss B akzeptieren – diese Klarheit muss Teil des neuen Dialogs sein.

Das Ergebnis der partiellen Umgestaltung der Nutztierhaltung (und ihrer Schlachtung und Vermarktung) wird kein niedersächsisches Bullerbü sein. Dieser Illusion sollte man sich bloß nicht hingeben, denn sie entspräche weder dem Wesen der Bevölkerung noch wäre ein abrupter, unkoordinierter Rückbau der Landwirtschaft sozialverträglich. Aber es wäre schon ein verdammt großer Schritt, wenn die Lücke zwischen Verbrauchern und Erzeugern und am besten auch den Verarbeitern verringert würde. Wenn man hier einem Abgleich von Wollen, Können und Machen näherkommt, hätte die Landesregierung schon viel erreicht.

Bundesminister a. D. Jochen Borchert und Cem Özdemir beim Treffen der Borchert-Kommission. | Foto: BMEL

Mit all diesen Schritten, die nur kleine Bausteine in einem eigentlich riesigen Monument sind, müsste irgendwann auch der lang diskutierte Umbau der Nutztierhaltung einhergehen. Doch darüber an dieser Stelle zu schreiben, erscheint müßig: Die Probleme sind etwa von der Borchert-Kommission längst beschrieben worden, die Lösungsvorschläge liegen auf dem Tisch, die Finanzierungsmodelle wurden durchgerechnet – jetzt muss nur auf Bundesebene entschieden werden. Erste Weichenstellungen wurden getan. Als in Land und Bund zwei Große Koalitionen regierten, kam man nicht voran. Vielleicht können die rot-grüne und die Ampel-Regierung da ja mehr bewegen? Wünschenswert wäre es – für die Landwirtschaft in Niedersachsen und die Existenzen, die daran hängen.